Demonstranten und Polizei in Bukarest
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Rumänien

Nächstes Vorsitzland als Problem für EU

Erstmals seit seinem Beitritt zur Europäischen Union wird Rumänien am 1. Jänner den EU-Ratsvorsitz übernehmen. Über der Premiere hängen dunkle Wolken: Politische Angriffe auf die Unabhängigkeit der Justiz und die Aufweichung von Antikorruptionsgesetzen haben das Land nach Polen und Ungarn zum nächsten Problemkind der EU gemacht.

„Rumänien hat in der Vergangenheit Fortschritte gemacht, eindrucksvolle Fortschritte sogar. Aber jetzt entwickelt es sich zurück auf eine Art und Weise, die nicht nur die rumänische Demokratie, sondern auch Rumäniens Ansehen als Mitgliedsstaat schädigen würde“, sagte EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans unlängst vor EU-Abgeordneten. Der Dialog mit Bukarest werde fortgesetzt. Sollten die gemeinsam vereinbarten Regeln aber weiter verletzt werden, werde man Rumänien vor Gericht bringen.

Als Rumänien 2007 EU-Mitglied wurde, hatte es die strengen Vorgaben, was das Justizsystem und den Kampf gegen die Korruption betrifft, noch nicht erfüllt. Brüssel leitete deswegen ein Kooperations- und Kontrollverfahren ein. Die EU unterstützt die rumänischen Behörden seither beim Aufbau effizienter Justiz- und Verwaltungsorgane und bei Antikorruptionsmaßnahmen. Die Fortschritte werden genau geprüft und in Berichten dokumentiert. Der nächste Report kommt im November heraus. Timmermans zufolge wird er alles andere als gut ausfallen.

Kampf gegen Korruption zeigt Erfolge

Der Abstieg Rumäniens vom Positivbeispiel zum Problemkind hat sich in den vergangenen eineinhalb Jahren in immer rascheren Schritten vollzogen. Im Jänner 2017 kam eine Koalition aus der sozialdemokratischen Partidul Social Democrat (PSD) und der liberalen Alianta Liberalilor si Democratilor (ALDE) an die Macht. Bereits einen Monat nach Amtsantritt versuchte sie ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das gewisse Vergehen im Bereich der Korruption straffrei gestellt hätte. Nach landesweiten Protesten ruderte die Regierung zurück.

Protestierende in Bukarest
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Bei Protesten im August ging die Polizei gewaltsam gegen Demonstrierende vor

Die Regierung wirft der Justiz Machtmissbrauch und die Überschreitung ihrer Kompetenzen vor und thematisierte wiederholt die ihrer Ansicht nach dubiose Rolle der Geheimdienste in Korruptionsermittlungen. Kritikerinnen und Kritiker orten dagegen Versuche der regierenden PSD, einigen ihrer Regierungs- und Parteimitglieder das Gefängnis zu ersparen – koste es, was es wolle.

Die rumänische Antikorruptionsbehörde (DNA) hat in den vergangenen Jahren Erfolge im Kampf gegen die Bestechlichkeit verzeichnen können. Tausende Fälle wurden vor Gericht gebracht, neun von zehn endeten mit einer Verurteilung. Auch die hohe Politik wurde von der Behörde nicht geschont: Ermittlungen liefen unter anderem gegen zwei Ministerpräsidenten, zahlreiche amtierende und ehemalige Ministerinnen und Minister und mehr als 50 Abgeordnete.

Der „Strippenzieher“

Seit Sommer haben die Spannungen zwischen Politik und Justiz noch einmal zugenommen. Die Regierung peitschte ein Gesetzespaket durchs Parlament, das den Strafverfolgungsbehörden die Ermittlungen in Korruptionsfällen erschwert. Im Juli wurde DNA-Leiterin Laura Codruta Kövesi nach langem Tauziehen zwischen der Regierung und Präsident Klaus Iohannis entlassen. Bei Massenprotesten gegen die Regierung einen Monat später ging die Polizei gewaltsam gegen Demonstrierende vor – Hunderte Menschen wurden verletzt.

Liviu Dragnea, Chef der Sozialdemokraten Rumäniens
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PSD-Chef Dragnea gilt als „Strippenzieher“ in der rumänischen Politik

Im Zentrum des Geschehens steht PSD-Chef und Parlamentspräsident Liviu Dragnea. Der 55-Jährige ist wegen Wahlmanipulation vorbestraft, das Amt des Ministerpräsidenten bleibt ihm deshalb verwehrt. Dennoch gilt er als „Strippenzieher“ in der rumänischen Politik, mächtiger auch als die derzeit amtierende Premierministerin Viorica Dancila. Dragnea griff die Justiz immer wieder scharf an. Er sprach von „korrupten Staatsanwälten“, verglich sie mit der früheren kommunistischen Geheimpolizei und kündigte an, „den Schmutz wegzumachen, den die Ratten hinterlassen“.

Doch auch Dragnea steht unter Druck: Im Juni verurteilte ihn ein Gericht wegen Anstiftung zum Amtsmissbrauch nicht rechtskräftig zu drei Jahren Haft. Mitte September forderten hochrangige Politikerinnen und Politiker der PSD in einem Brief seinen Rücktritt.

Artikel-7-Verfahren steht im Raum

Zum Druck von innen kommt der Druck der EU. Vergangene Woche beschäftigte sich das Europaparlament in Straßburg mit der Rechtsstaatlichkeit in Rumänien. Kommissionsvize Timmermans forderte Bukarest dabei auf, von weiteren geplanten Umbauten im Justizsystem Abstand zu nehmen. Die ebenfalls anwesende rumänische Premierministerin wies die Kritik an ihrer Regierung zurück, stellte einmal mehr die unrechtmäßige Zusammenarbeit zwischen Justiz und Geheimdiensten in den Raum und verteidigte das Vorgehen der Polizei gegen Demonstrierende.

Rumänische Premierministerin Viorica Dancila
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Rumäniens Premierministerin Dancila verteidigte ihre Regierung vor dem EU-Parlament

Scharfe Kritik kam aus den Fraktionen: ÖVP-Delegationsleiter Othmar Karas forderte ein Einlenken der rumänischen Regierung, andernfalls „soll ein Artikel-7-Verfahren eingeleitet werden“. Ein solches Rechtsstaatsverfahren, an dessen Ende dem Land das Stimmrecht auf EU-Ebene entzogen werden könnte, läuft bereits gegen Polen und Ungarn. Der liberale belgische EU-Abgeordnete Guy Verhofstadt warf Bukarest „Orban-Kaczynski-Stil“ vor, die deutsche Grünen-Abgeordnete Ska Keller sprach davon, dass Rumänien die Korruption legalisiere.

Problem für die Sozialdemokratie

„Wenn die Gefahr besteht, dass die Entwicklung, die wir derzeit in Ungarn und Polen sehen, auch auf Rumänien übergreift, müssen wir uns dem entschieden in den Weg stellen“, sagte der SPÖ-Abgeordnete Josef Weidenholzer. Für die Sozialdemokraten, in deren Parteienfamilie auch die PSD sitzt, könnte das Verhalten ihrer rumänischen Fraktionskolleginnen und -kollegen bei der Europawahl kommendes Jahr zur Belastung werden.

Einen Vorgeschmack bot in der Vorwoche die Rede von FPÖ-Delegationsleiter Harald Vilimsky vor dem Europaparlament. „Ziehen Sie nicht ein Theater hoch und vergleichen Rumänien mit Polen und Ungarn“, sagte Vilimsky an die Adresse der Sozialdemokraten gerichtet. „Die Sozialdemokraten müssen Ordnung im eigenen Stall machen.“

Antieuropäische Töne

Dragnea schreckt nicht vor zunehmend europafeindlichen Aussagen zurück. Am Wochenende wollte er ein umstrittenes Referendum über eine Verschärfung des Verbots der gleichgeschlechtlichen Ehe in Rumänien zu Anti-Europa-Propaganda nutzen. Seit Jahren würden „uns andere vorkauen, was gut für uns ist und wie wir zu leben haben. Es ist nunmehr an der Zeit, selbst zu entscheiden, was für eine Gesellschaft und was für ein Land wir wollen“, sagte Dragnea nach der Stimmabgabe. Das Referendum scheiterte an mangelnder Beteiligung – nur 20 Prozent der Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab, mindestens 30 Prozent wären notwendig gewesen. Beobachterinnen und Beobachter sprachen von einer „eindeutigen Ohrfeige für die PSD“.

Hoffen auf Einlenken

Im November will das EU-Parlament eine Resolution zur Lage in Rumänien verabschieden. Bis dahin hofft man offenbar auf ein Einlenken in Bukarest. „Rumänien soll den Reformprozess wieder auf den Weg bringen, sofort“, sagte Timmermans. „Ich glaube zutiefst an eine Umkehrung. Es ist noch nicht zu spät.“

Die von ORF.at befragte Politologin Angela Tacea glaubt nicht daran, dass gegen Rumänien letztlich ein Artikel-7-Verfahren eingeleitet wird. „Innerhalb der Sozialdemokraten gibt es den Willen zur Veränderung. Es gibt in der Partei Stimmen, die die Entwicklungen ablehnen“, sagt Tacea, die an der Freien Universität Brüssel lehrt.

Europaminister Victor Negrescu
European Union
Europaminister Negrescu, Rumäniens größtes politisches Nachwuchstalent

Ein weiterer Grund, warum es wohl nicht zur Einleitung von Sanktionen kommen werde, sei Europaminister Victor Negrescu (PSD). Der 33-Jährige gilt als überzeugter Proeuropäer und größtes Nachwuchstalent der rumänischen Politik und wurde bereits als Premierminister gehandelt.