Russische Agenten
AP/Dutch Defense Ministry
Chemiewaffenorganisation im Visier

Niederlande werfen Russen Spionage vor

Zwischen Russland und einigen europäischen Staaten tut sich erneut ein Konflikt auf: Russische Spione sollen in den Niederlanden die Chemiewaffenorganisation OPCW im Visier gehabt haben. Auch Großbritannien wirft dem „Pariastaat“ Russland vor, großangelegte Cyberattacken in aller Welt auszuführen. Für die EU wird die Angelegenheit zur Chefsache.

Vier Männer wurden aus den Niederlanden wegen Spionageverdachts ausgewiesen, wie die Regierung in Den Haag am Donnerstag bekanntgab. Bei den Russen handle es sich um Agenten des russischen Geheimdiensts GRU, die einen Einsatz gegen die in Den Haag ansässige Organisation für ein Verbot chemischer Waffen (OPCW) geplant hätten, sagte Verteidigungsministerin Ank Bijleveld bei einer Pressekonferenz. Die niederländischen Geheimdienste hätten die Operation vereitelt.

Die russischen Agenten hatten den Angaben zufolge ein Auto voller elektronischer Geräte im Parkhaus eines Hotels neben dem OPCW-Sitz in Den Haag abgestellt, um in das Computersystem der Organisation einzudringen – ein „äußerst besorgniserregender“ Vorfall, wie es hieß. Russland solle die Cyberaktivitäten mit dem Ziel, westliche Demokratien zu unterminieren, beenden, so Bijleveld.

Weitere Attacken offenbar geplant

Bei der Pressekonferenz erläuterte Onno Eichelsheim vom niederländischen Militärgeheimdienst, die vier Russen seien im April ins Land gekommen und auch verhaftet worden. Sie hätten eine Weiterreise in die Schweiz geplant zu einem Giftstofflabor, in dem die OPCW chemische Stoffe untersuchen lässt. Die Ausweisung von zwei der vier Männer war schon im September bekanntgeworden, als sie auf dem Weg in die Schweiz aufgegriffen wurden. Der militärische Geheimdienst machte nun die Fotos und Namen aller vier Männer bekannt.

Hackerausrüstung in einer Tasche
AP/Dutch Defense Ministry
Mit diesem Equipment sollen die vier Russen versucht haben, die OPCW zu hacken

Die niederländischen Ermittler hätten ihre Laptops und Handys beschlagnahmt und untersucht. Daraus wurde deutlich, so die Ermittler, dass auch Hackerattacken in der Schweiz und auf die strafrechtliche Untersuchung zum Abschuss des Passagierfluges MH17 geplant waren.

Moskau wehrt sich: „Gab keine Attacke“

Zur Zeit der Verhaftungen untersuchte die OPCW gerade die Giftattacke im britischen Salisbury gegen den früheren russischen Spion Sergej Skripal und seine Tochter. Auch eine mutmaßliche Giftgasattacke im syrischen Duma war Untersuchungsgegenstand der Organisation. Die mit Russland verbündete syrische Regierung wird verdächtigt, diese Waffen eingesetzt zu haben. Der russische Geheimdienst „ist aktiv hier in den Niederlanden, wo sich viele internationale Organisationen befinden“, so Eichelsheim.

OPCW-Gebäude in Hague
AP/Peter Dejong
OPCW-Hauptsitz in Den Haag: Die Organisation untersuchte zahlreiche Vorwürfe gegen Russland

Das russische Außenministerium bezeichnete die Vorwürfe als „unwürdig“. Sie seien Teil einer Desinformationskampagne, um russischen Interessen zu schaden, und stammten von Menschen mit einer „blühenden Fantasie“. Die Nachrichtenagentur RIA zitierte eine ungenannte Quelle aus dem Ministerium: „Es gab keine Attacke.“ Man sei selbst Teil der Struktur der OPCW, „also wieso sollten wir sie hacken? Wir haben Zugang, das gesamte Netzwerk steht uns offen. Das ist nur eine weitere Absurdität“, hieß es. Der Westen leide an „Spionagemanie“, die sich immer weiter ausbreite. Das Ministerium kündigte an, dass zu der Angelegenheit noch ein „amtlicher Kommentar“ folgen werde.

NATO stellt sich gegen Moskau

Die NATO ist allerdings alarmiert: Generalsekretär Jens Stoltenberg forderte Russland auf, unverzüglich die Hackerangriffe auf ausländische Computer und Datennetze einzustellen. „Moskau muss seine rücksichtslose Verhaltensweise beenden“, sagte er am Donnerstag nach Beratungen bei einem Verteidigungsministertreffen in Brüssel. Er verwies zudem darauf, dass Großbritannien und die Niederlande bei ihrem Vorgehen gegen derartige Angriffe die Solidarität der Bündnispartner haben.

Der mächtige Bündnispartner USA warf Russland ebenfalls erneut schwerwiegende Cyberattacken vor. Das US-Justizministerium verkündete am Donnerstag in Washington eine Anklage gegen sieben GRU-Agenten. US-Justizminister Jeff Sessions sagte, staatlich gesteuerte Hackeraktionen und Desinformationskampagnen seien eine ernste Bedrohung für die US-Gesellschaft und die Sicherheit des Landes. Dagegen gehe man entschieden vor.

Briten halten neue Sanktionen für möglich

Auch Großbritannien äußerte am Donnerstag neue Vorwürfe gegen Russland: Der Geheimdienst GRU führe großangelegte Cyberattacken in aller Welt aus und sei nachweislich verantwortlich für Hackerangriffe auf politische Institutionen, Unternehmen, Medien und Sportinstitutionen. Das sagte der britische Außenminister Jeremy Hunt. Die britische Agentur für Cybersicherheit (NCSC) habe GRU-Mitarbeiter als Verantwortliche für eine Reihe großangelegter Computerattacken ausgemacht. Der GRU missachte dabei internationales Recht. Hunt hält auch weitere Strafmaßnahmen gegen Russland für möglich. Verteidigungsminister Gavin Williamson kritisierte, Russland verhalte sich wie ein „Pariastaat“.

Viele der Angriffe waren bereits mit Russland in Verbindung gebracht worden – etwa die Erpressersoftware „BadRabbit“, die 2017 unter anderem den Flughafen von Odessa in der Ukraine sowie russische Medien zum Ziel hatte, ein Cyberangriff auf die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) in der Schweiz und Cyberattacken auf die Demokratische Partei in den USA vor der Präsidentschaftswahl 2016. Die britische Regierung geht davon aus, dass letztlich der Kreml für die Attacken verantwortlich ist.

„Cyberspace ist nicht der Wilde Westen“

Auch die australische Regierung schloss sich den Vorwürfen aus London an. „Die russischen Streitkräfte und ihr Geheimdienstarm GRU sind verantwortlich für dieses Muster von niederträchtiger Cyberaktivität“, so Premierminister Scott Morrison und Außenministerin Marise Payne. Das russische Vorgehen sei „inakzeptabel“.

Russland verstoße auch gegen Normen, die es selbst mit vereinbart habe, fügten Morrison und Payne hinzu. „Der Cyberspace ist nicht der Wilde Westen. Die internationale Gemeinschaft – einschließlich Russlands – ist sich einig, dass internationale Gesetze und Normen für verantwortliches staatliches Handeln auch im Cyberspace gelten.“

Thema auf nächstem EU-Gipfel

Mahnende Worte gab es auch von den Spitzen der Europäischen Union: EU-Ratschef Donald Tusk, Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und die Außenbeauftragte Federica Mogherini sagten am Donnerstag, der „aggressive Akt“ demonstriere „Verachtung“ für die OPCW. Tusk kündigte auch an, das Thema auf die Tagesordnung des nächsten EU-Gipfels Mitte Oktober zu setzen. Tusk verglich Russland mit der Sowjetunion. „Der sowjetische Geist ist noch immer am Leben“, sagte er. Das habe auch die Nervengiftattacke in Salisbury gezeigt.