Das Wrack jenes VW Phaeton, in dem Jörg Haider verunglückt ist.
APA/Gert Eggenberger
11. Oktober 2008

Haiders Todesfahrt und ihre Folgen

Die erste Meldung über den Unfall erging um 2.59 Uhr per Mail vom Roten Kreuz: „Auf der Rosentaler Straße, Höhe Lambichl, kam es zu einem Verkehrsunfall. Aus bis jetzt noch ungeklärter Ursache überschlug sich ein Fahrzeug, dabei wurde der Fahrzeuglenker so schwer verletzt, dass er noch an der Unfallstelle verstarb.“ Dieser Tod sollte Österreich noch lange beschäftigen.

Eine Stunde nach der Erstinformation teilte die Polizeidirektion Klagenfurt Medien mit, dass es sich bei dem Opfer um Kärntens Landeshauptmann Jörg Haider (BZÖ) handelte. Er hatte zu dem Zeitpunkt laut Autopsie 1,8 Promille Alkohol im Blut.

Nach einem langen Arbeitstag und einem abschließenden nächtlichen Besuch in der Klagenfurter Szenebar Stadtkrämer hatte sich Haider noch hinter das Steuer seines VW Phaeton gesetzt, um ins Bärental zu fahren, wo die Familie am nächsten Tag den 90. Geburtstag seiner Mutter feiern wollte. Angebote von Lokalgästen, den offenkundig alkoholisierten Landeshauptmann nach Hause zu bringen, hatte er ausgeschlagen, seinen Chauffeur schon Stunden zuvor außer Dienst gestellt. Kurz nach 1.00 Uhr war Haider tot.

Schwer beschädigtes Fahrzeug von Jörg Haider
APA/AFP/Daniel Raunig
Das Unfallauto, ein Phaeton V6 mit Allradantrieb, wurde bei dem Crash total beschädigt

Keine Überlebenschance

Sein Phaeton war nach einem Überholmanöver von der Loiblpass-Bundesstraße abgekommen. Das Fahrzeug überschlug sich mehrmals – die Unfallspur zog sich über 150 Meter –, bis es schließlich völlig zerstört quer zur Fahrbahn zum Stillstand kam. Haider dürfte mit weit mehr als 140 km/h unterwegs gewesen sein, erlaubt ist an dieser Stelle 70 km/h. Haider war zwar angeschnallt, trotzdem erlitt er schwerste Kopf-, Brust- und Wirbelsäulenverletzungen. Rettungskräfte waren binnen Minuten am Unfallort und brachten Haider ins Landeskrankenhaus, dort aber konnte nur mehr sein Tod festgestellt werden.

Dörflers erstes Statement

„Die Sonne ist in Kärnten vom Himmel gefallen“, sagte Haiders Stellvertreter Gerhard Dörfler. Er habe einen großen Freund verloren.

Kärnten verfiel in Schockstarre, Haiders engste politische Freunde rangen um Fassung und Worte. BZÖ-Landeshauptmann-Stellvertreter Gerhard Dörfler sagte in einem ersten Statement, in Kärnten sei „die Sonne vom Himmel gefallen“, die Uhren seien „stehen geblieben“. Alle Veranstaltungen des Landes wurden abgesagt, die Fahnen auf Halbmast gesetzt. „Ich kann nicht begreifen, was geschehen ist“, schluchzte wenig später Haiders Sprecher, Stefan Petzner, auf einer Pressekonferenz. Haider sei der beste Freund gewesen, den er je gehabt habe, sagte Petzner: „Er war mein Lebensmensch“, und „Jörg war die Sonne, ich bin um ihn gekreist“.

Petzners tränenreicher Abschied

Haider war sein Lebensmensch, teilte Stefan Petzner bei einer Pressekonferenz mit: „Danke Jörg, wo immer du jetzt auch bist.“

Beileidsbekundungen aus allen Lagern

Beileidsbekundungen ergingen von dem damals amtierenden Bundespräsidenten Heinz Fischer und Kanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) abwärts aus allen politischen Lagern, auch Kritiker seiner Gesinnung kamen nicht umhin, Haider als einen der prägendsten politischen Akteure der österreichischen Innenpolitik in den letzten Jahrzehnten zu bezeichnen. Vor dem Amt der Landesregierung in Klagenfurt legten Trauernde Blumen und Briefe nieder und zündeten Kerzen an, drinnen trugen sich binnen Tagen Tausende in ein aufgelegtes Kondolenzbuch ein. Der Unfallort Lambichl entwickelte sich zur Pilgerstätte für Verehrer Haiders, täglich bildeten sich dort kilometerlange Kolonnen.

Fotostrecke mit 5 Bildern

Menschen stellen Kerzen an der Unfallstelle von Jörg Haider auf
APA/Barbara Gindl
Tausende Kerzen wurden am Unfallort Lambichl in den Tagen nach Haiders Tod entzündet
Menschen stehen zwischen Kränzen Schlange, um von Jörg Haider Abschied zu nehmen
Reuters/Miro Kuzmanovic
Der Sarg des Verstorbenen wurde im Klagenfurter Landhaus aufgebahrt, es bildeten sich teils lange Schlangen
Trauerfeierlichkeiten für Jörg Haider am Neuen Platz in Klagenfurt
APA/Roland Schlager
Als Klagenfurt Trauer trug: Der Neue Platz bei den Trauerfeierlichkeiten für Haider eine Woche nach seinem Tod
Gerhard Dörfler, Heinz Fischer, Alfred Gusenbauer und Wilhelm Molterer bei den Trauerfeierlichkeiten für Jörg Haider
APA/Barbara Gindl
Die gesamte Staatsspitze zollte Anerkennung
Gedenkstätte für Jörg Haider in Feistritz
APA/Gert Eggenberger
Bei der Grabstelle im Bärental findet auch am zehnten Todestag die Gedenkfeier des offiziellen Kärntens statt

Krude Verschwörungstheorien

Noch ehe die offiziellen Trauerfeierlichkeiten für Haider begonnen hatten, kamen erste Verschwörungstheorien rund um seinen Unfalltod auf – zu unwürdig schien vielen der Abgang ihres Idols. Klaus Ottomeyer, langjähriger Psychologieprofessor an der Alpen Adria Universität Klagenfurt, hielt dazu fest: „Die Verschwörungstheorie biegt Fakten zurecht, damit der Glaube – in den ich sehr viel investiert habe – erhalten bleiben kann und auch mein Selbstwertgefühl in keine Krise kommt.“ „Reduktion einer kognitiven Dissonanz“ würde das in der Fachsprache genannt.

Vor allem im Internet kursierten wilde Gerüchte, viele orteten ein politisch motiviertes Attentat hinter Haiders Tod. Der ehemalige FPÖ-Abgeordnete Karlheinz Klement etwa verdächtigte explizit den israelischen Geheimdienst Mossad, bemüht wurden auch die Freimaurer. Andere vermuteten die „Hochfinanz“ darunter und verwiesen auf eines von Haiders letzten Interviews, in dem er die Banken als riesige Mafia bezeichnete, die die Welt vernichten würde. Der deutsche Autor Gerhard Wisnewski tat sich als einer der aktivsten Verbreiter von Verschwörungstheorien hervor, diese fanden in dem Buch „Jörg Haider – Unfalltod, Mord oder Attentat?“ Niederschlag.

Menschen stehen zwischen Kränzen Schlange, um von Jörg Haider Abschied zu nehmen
Reuters/Miro Kuzmanovic
Zwei Tage lang war Haiders Leichnam im Landhaus aufgebahrt, Tausende Trauernde fanden sich ein

„Das unruhige Herz hat zu schlagen aufgehört“

Am Donnerstag nach der Todesfahrt wurde Haiders Leichnam im Großen Wappensaal des Klagenfurter Landhauses aufgebahrt, die Warteschlangen waren bis Freitagabend beträchtlich. Am 18. Oktober wurde am Neuen Platz eine Trauerfeier abgehalten – rund 25.000 Menschen nahmen daran teil, darunter auch die Spitze der Bundesregierung. Bei der anschließenden Totenmesse im Dom waren nur 600 geladene Gäste zugelassen. „Er war ein Brennender, ein über sein Lebensalter hinaus mit jugendlicher Dynamik ausgestatteter Mensch“, würdigte der steirische Diözesanbischof Egon Kapellari den Verstorbenen. „Nun hat das unruhige, dynamische Herz des Jörg Haider zu schlagen aufgehört.“

TV-Hinweis

Am Donnerstag widmet sich „Menschen & Mächte“ in ORF2 um 21.05 Uhr dem Leben und dem Tod Jörg Haiders – mehr dazu in tv.ORF.at.

Die Einäscherung von Haiders sterblichen Überresten war noch für Oktober geplant, wurde aber auf Wunsch der Familie verschoben und fand schließlich am 10. November 2008 statt. Die Urne wurde bei der Kapelle Alt-Sankt Michael im Bärental beigesetzt. Ein Jahr nach seinem Tod wurde am Unfallort in Lambichl ein Marterl enthüllt, zeitgleich eine Haider-Ausstellung im Klagenfurter Bergbaumuseum eröffnet – der Erfolg war enden wollend.

Das Wrack des Unglücksautos wurde um 40.000 Euro vom BZÖ erstanden, der ursprüngliche Plan des inzwischen zum Landeshauptmann gewählten Dörfler, es auf Landeskosten anzukaufen, stieß auf zu viel Widerstand. Die Überreste des Phaeton werden seither an immer wechselnden Orten aufbewahrt, derzeit befindet es sich im Lavanttal unter Obhut des FPÖ-Nationalratsabgeordneten Christian Ragger.

Jörg Haider
APA/Roland Schlager
Haider war unumstritten der Vorreiter des grassierenden Rechtspopulismus in Europa

Teure Hinterlassenschaft

Der Kult, der um Haider nach seinem Tod getrieben wurde, ließ über die Jahre rapide nach. Zu sehen ist das etwa bei der Gedenkstätte in Lambichl, wo kaum mehr Kerzen brennen. Brennen dagegen muss das Land Kärnten: Allein für die Pleite der Hypo Alpe Adria sind 1,2 Milliarden Euro aufzubringen, zum Zeitpunkt von Haiders Unfall hatte das Bundesland Haftungen für die Bank im Umfang von 24 Milliarden Euro ausständig. Auch die Haider-Projekte Wörthersee Stadion und Seebühne erwiesen sich als finanzielles Desaster – ersteres steht leer, die Bühne wurde inzwischen demontiert. Kärnten hat nach wie vor den höchsten Pro-Kopf-Schuldenstand und die geringste Kaufkraft aller Bundesländer.

„Nach jener von Lazarus ist meine Auferstehung die eklatanteste der Geschichte, glaube ich“, sagte Haider wenige Tage vor seinem Tod, nachdem er das dahindümpelnde BZÖ bei der Nationalratswahl am 28. September als Spitzenkandidat zu einem beachtlichen Erfolg geführt hatte. Eine erneute Auferstehung wäre ihm angesichts seines Erbes wohl nicht mehr geglückt.