Die britische Premierministerin Theresa May
Reuters/Toby Melville
„Brexit“

May hofft auf Deal in den nächsten Wochen

Die britische Premierministerin Theresa May hofft auf einen „Brexit“-Deal „in den nächsten Tagen und Wochen“. May erklärte Mittwochabend vor Beginn des Treffens der EU-Staats- und -Regierungsspitzen in Brüssel, seit dem letzten EU-Gipfel in Salzburg seien beträchtliche Fortschritte erzielt worden. Neue Vorschläge hatte die Premierministerin freilich nicht im Gepäck.

Die Teams beider Seiten hätten sehr hart gearbeitet. Die meisten Bereiche seien gelöst, „aber da ist noch die Frage des nordirischen Backstops“. Aber „jeder am Tisch will einen Deal. Wir arbeiten eng und intensiv. Ein Deal ist erreichbar.“ Für das gemeinsame Abendessen mit den EU-27 in Brüssel erwarte sie, dass über die Verhandlungsfortschritte gesprochen werde.

Angesprochen auf die Übergangsperiode sagte May: „Wir schauen, dass wir heute Nacht sehr gute Fortschritte erzielen.“ Bezüglich Irland bestünden noch Probleme, doch seien diese lösbar. Es liege im Interesse sowohl der EU als auch Großbritanniens, betonte die Premierministerin.

Keine neuen Kompromissvorschläge

Im Vorfeld des Gipfels hatte May Gespräche mit der EU-Spitze geführt. Mittwochnachmittag traf sie zunächst mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und später mit Ratspräsident Donald Tusk zusammen. Tusk hatte von May am Dienstag „konkrete Vorschläge“ gefordert, um die wegen der Nordirland-Frage blockierten „Brexit“-Gespräche „aus der Sackgasse“ zu führen.

Die hatte May freilich nicht im Gepäck. Das erklärte EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani Mittwochabend nach einer Rede Mays vor den EU-27. Die Stimmung sei entspannter gewesen als noch vor vier Wochen beim EU-Treffen in Salzburg. Es habe eine „Botschaft des guten Willens“ und Bereitschaft zur Einigung gegeben, und „ihre Körpersprache war positiver als in der Vergangenheit“. Inhaltlich habe er allerdings „nichts substanziell Neues erkannt“, sagte Tajani.

Die britische Premierministerin Theresa May gemeinsam mit EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker
Reuters/Francois Lenoir
Mittwochnachmittag traf May mit Kommissionspräsident Juncker zusammen

Großbritannien tritt Ende März aus der EU aus. Der Austrittsvertrag, der einen reibungslosen „Brexit“ ermöglichen soll, ist zu 90 Prozent ausverhandelt. Probleme bereitet aber seit Monaten die künftige Grenze zwischen Irland und der britischen Provinz Nordirland. Am Sonntag scheiterte eine erhoffte Einigung. Bis zum EU-Gipfel waren die Verhandlungen deshalb ausgesetzt worden.

„Großbritannien weiß nicht, was es will“

Nach den Worten der litauischen Präsidentin Dalia Grybauskaite muss die EU möglicherweise noch mehrere Gipfel zum „Brexit“ abhalten. Grybauskaite beklagte in Brüssel, dass es sehr schwer sei, mit einem Partner zu verhandeln, der nicht genau wisse, was er wolle. „Natürlich sind wir bereit zu Kompromissen, wenn wir wüssten, was Großbritannien genau will“, sagte sie.

Sondergipfel – oder nicht

Woran lassen sich Fortschritte bei den „Brexit“-Verhandlungen festmachen? ORF-Korrespondent Peter Fritz berichtet aus Brüssel vom Treffen der EU-Staats- und -Regierungsspitzen.

Der luxemburgische Premier Xavier Bettel erklärte, dass eine „Verlängerung um ein Jahr“ eine Möglichkeit sei. Es seien noch die beiden Fragen mit Irland und dem Binnenmarkt offen, aber „ich bin der Hoffnung, dass wir eine Lösung finden werden. Es gibt jedoch keine Garantie.“

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel bezeichnete eine Übereinkunft beim „Brexit“ als „besser für alle Seiten“. „Wir hätten uns gefreut, wenn das Austrittsabkommen schon ganz fertig gewesen wäre, so sind es nur 90 Prozent“, so Merkel. Sie merkte an, dass „ich mit dem Geist an die Sache herangehe, alles zu versuchen eine Übereinkunft zu finden“. „Wir haben eine Menge Fortschritte gemacht“, erklärte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Nun sei die Zeit gekommen, „ein gutes Abkommen“ auf den Weg zu bringen.

Kurz erwartet keinen Durchbruch

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sagte vor Gipfelbeginn, er gehe „nicht davon aus, dass es heute Abend den großen Durchbruch“ beim „Brexit“ geben werde. Dennoch hoffe er, dass es in den nächsten Wochen gelingen werde, den „Brexit“ abzuschließen. Alle gemeinsam müssten das Interesse haben, einen „Hard Brexit“ zu vermeiden.

Ein solcher wäre zum Nachteil aller. „Wir erwarten uns, dass Theresa May ihre Pläne ein bisschen nachschärft“, sagte Kurz. Es sei das große Ziel, noch „dieses Semester den ‚Brexit’“ abzuschließen. „Wenn es einen kleinen Schritt in die richtige Richtung gibt, würde ich das schon als Erfolg werten“, sagte der Bundeskanzler. Er sei „sehr zufrieden, dass es gelungen ist, die EU-27 zusammenzuhalten“. Am Ende brauche es Bewegungen von allen, aber jetzt sei einmal Großbritannien am Zug, sagte Kurz.

Es gebe schon in „ganz, ganz vielen Bereichen Einigkeit“, daher sei es kein Grund zu dramatisieren. Die schwierigen Fragen seien noch zu klären, aber es sei egal, ob das jetzt oder in ein paar Wochen geschehe. Daher bleibe er weiter optimistisch, denn niemand wolle, dass die Verhandlungen scheitern, weder May noch die EU-27.

Barnier informierte EU-27

Nachdem May den EU-Gipfel verlassen hatte, legte EU-Chefverhandler Michel Barnier den anderen Staats- und Regierungschefinnen und -chefs seine Sicht der Dinge dar. Barnier hatte zuletzt die Möglichkeit einer um ein Jahr verlängerten Übergangsphase nach dem „Brexit“ ins Gespräch gebracht, die Luxemburgs Premier Bettel am Mittwoch ebenfalls erwähnte. Sie läuft bisher bis Ende 2020. Großbritannien bleibt in dieser Zeit trotz EU-Austritts in Binnenmarkt und Zollunion. Die Übergangsphase soll einen harten Bruch für die Wirtschaft verhindern und mehr Zeit bringen, ein Abkommen über die künftigen Handelsbeziehungen auszuhandeln.