Trägerrakete mit Sonde
ESA
Start am Samstag

Europas erste Mission zum Merkur

Nach fast 20 Jahren Vorbereitung startet Samstagfrüh (3.15 Uhr MESZ) die bisher herausforderndste Mission in der 40-jährigen Geschichte der Europäischen Weltraumorganisation (ESA): Die europäisch-japanische Raumsonde „BepiColombo“ wird auf ihren Flug zum sonnennächsten Planeten Merkur geschickt – dem kleinsten und am wenigsten bekannten Planeten unseres Sonnensystems.

Die Reise bis zur Zielumlaufbahn dauert sieben Jahre. Aufgrund der enormen Schwerkraft der Sonne erfordert es viel Energie, die Raumsonde so zu bremsen, dass sie in die angepeilte Umlaufbahn einschwenken kann. Zur Entschleunigung wird die Raumsonde ab 2021 allein sechsmal am Merkur vorbeifliegen, zuvor – 2020 – wird sie die Erde passieren, dann zweimal die Venus.

„Jeder Vorbeiflug an einem Planeten braucht ein paar Monate intensive Vorbereitungszeit“, sagte der Leiter der ESA-Abteilung für interplanetare Missionen, Andrea Accomazzo. Das Projekt wird gemeinsam mit der Japanischen Weltraumbehörde (JAXA) durchgeführt.

„Kolumbus des 21. Jahrhunderts“

Die 6,4 Meter hohe und 4,1 Tonnen schwere „BepiColombo“ startet mit einer Ariane-5-Trägerrakete vom Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guyana. Die Leiterin des Flugkontrollteams, Elsa Montagnon, verglich die Mission mit einem „Christoph Kolumbus des 21. Jahrhunderts“. Der Merkur ist der kleinste Planet und der am nächsten zur Sonne stehende. Die mittlere Entfernung zur Sonne beträgt rund 58 Millionen Kilometer. Die Oberflächentemperaturen variieren stark zwischen 430 Grad plus und 180 Grad minus.

Trägerrakete mit Marssonde vor dem Start in Kourou
ESA
Die Sonde startet mit einer Ariane-5-Trägerrakete vom Weltraumbahnhof Kourou

Die 1,3 Milliarden Euro teure Mission wurde nicht zuletzt aufgrund der unwirtlichen Bedingungen in der Nähe des Merkur jahrelang vorbereitet. Die ESA spricht von einer „höllischen Umgebung“. Um das Überleben der Sonde zu ermöglichen, musste eine Reihe neuer Technologien entwickelt werden. Entsprechend heikel ist das Projekt: „Ein einziger Fehler könnte die ganze Mission zum Scheitern bringen“, sagte der Leiter des ESA-Missionsbetriebs, Paolo Ferri.

Heikle 48 Stunden

Besonders heikel ist die erste Stunde nach dem Start. Auch in den folgenden 47 Stunden müsse das Raumflugkontrollzentrum im deutschen Darmstadt sehr schnell reagieren, wenn etwas schiefgeht, so Accomazzo. Die erste größere Hürde ist nach drei Tagen geschafft. Etwa 80 Fachleute in Darmstadt sind in dieser Zeit rund um die Uhr mit dem Gelingen der Mission befasst. Die nächste kritische Phase wird für Mitte Dezember erwartet, wenn die Ionentriebwerke zum ersten Mal betrieblich eingesetzt werden.

Bepi Colombo

Der italienische Mathematiker (1920–1984) ist Namensgeber der Mission. Er berechnete die Grundlagen für eine Flugbahn zum Merkur und war maßgeblich an der US-Merkurmission „Mariner 10“ in den 1970er Jahren beteiligt.

Auch der Energiebedarf ist enorm. Obwohl die Entfernung der Erde zum Pluto größer ist als zum Merkur, ist mehr Energie erforderlich als für einen Flug zum Pluto, sagte die ESA. Grund für den hohen Energiebedarf sei die Anziehungskraft der Sonne. Besonders anspruchsvoll sind auch die 24 Triebwerke der Raumsonde.

Erstmals sind vier elektrische Ionenantriebe darunter. Sie werden von – insgesamt 42 Quadratmeter großen – Solarzellen versorgt. Die Außentemperatur auf dem Merkur beträgt laut Montagnon rund 350 Grad, die Panele mit den Solarzellen könnten aber nur bis 200 Grad aushalten: „Sie müssen ständig von der Sonne weggedreht werden.“

Entwicklung von Merkur verstehen

Geht alles nach Plan, erreicht die Sonde im Dezember 2025 die Zielumlaufbahn des Merkur. Dann können die Forschungen begonnen werden. Die zwei selbstständigen Wissenschaftssatelliten sollen sich dann von ihrer Transportsonde trennen und den Planeten aus unterschiedlichen Umlaufbahnen erforschen. Der ESA-Satellit MPO (Mercury Planetary Orbiter, „Bepi“) untersucht die Oberfläche des Merkur. Der japanische Satellit MMO (Mercury Magnetospheric Orbiter, „Mio“) nimmt das Magnetfeld ins Visier.

Trägerrakete mit Sonde
ESA/Manuel Pedoussaut
Die Vorbereitungszeit für die Mission dauerte 20 Jahre

„Wir wollen verstehen, wie unser Sonnensystem entstanden und geformt ist“, beschreibt ESA-Wissenschaftler Johannes Benkhoff das übergeordnete Ziel. Dafür habe der Merkur, der so nah an der Sonne ist, eine besondere Bedeutung. Die Mission soll einen Einblick geben, warum die Entwicklung auf dem Merkur seit seiner Entstehung so anders verlaufen ist als auf der Erde.

Die Satelliten haben auch Technik aus Österreich mit an Bord. Das Magnetfeldmessgerät des japanischen Satelliten wurde vom Grazer Institut für Weltraumforschung (IWF) entwickelt und gebaut. Auch bei zwei weiteren Messgeräten war das IWF beteiligt.

„Sachen entdeckt, die niemand erklären kann“

Die Wissenschaftler vermuten, dass das Magnetfeld des Planeten wie bei der Erde durch einen flüssigen Kern entsteht. Die Ursachen dafür sind aber noch unklar, obwohl es schon in den 1970er und 2010er Jahren Vorbeiflüge von US-Sonden gegeben hatte. Benkhoff: „Sie haben Sachen entdeckt, die niemand erklären kann.“

Dazu zählen etwa Aushöhlungen an der Oberfläche, die ein Zeichen dafür sein könnten, dass Gas entwichen sein könnte. An Stellen, wo die Sonne nicht hinkommt, gebe es auch Hinweise auf Wassereis in den Kratern. Die Forschungen sind für ein Jahr geplant, der Satellit MPO könnte bis zu vier Jahre überstehen, dann wird er voraussichtlich verglühen, so die ESA. Der japanische Orbiter soll nach etwa dreieinhalb Jahren auf dem Merkur zerschellen.