Türkische Polizisten mit einem Hund suchen die Leiche Kashoggis
Reuters/kemal Aslan
Türkei

Heikle Suche nach Khashoggis Leiche

Der Fall des verschwundenen saudischen Journalisten Jamal Khashoggi (Dschamal Chaschukdschi) bleibt sowohl für die Türkei als auch für Saudi-Arabien äußerst heikel. Die türkischen Behörden suchen die sterblichen Überreste Khashoggis an mehreren Orten. Sollte die Leiche gefunden werden, muss die saudische Seite rasch eine plausible Erklärung präsentieren.

Die bisherigen Ermittlungen ließen laut türkischer Polizei vermuten, dass die sterblichen Überreste womöglich im Belgrader Wald am Rande von Istanbul sowie in einem ländlichen Gebiet in der Nähe der Stadt Yalova südlich der Metropole am Marmarameer seien. Das erfuhr die Nachrichtenagentur Reuters am Donnerstag von zwei Insidern.

Einer von ihnen sagte zudem, bei der Durchsuchung des saudi-arabischen Konsulats und der Residenz des Konsuls seien zahlreiche Proben genommen worden. Sie würden nun auf DNS-Spuren des Journalisten hin untersucht.

Fall Khashoggi: Weiterhin Unklarheiten

Es wird befürchtet, dass Khashoggi in Istanbul ermordet wurde. Laut „New York Times“ ist Saudi-Arabien nun auf der Suche nach einem Sündenbock.

Kronprinz im Rampenlicht

Die Türkei geht davon aus, dass Khashoggi, der in den USA für die „Washington Post“ schrieb, am 2. Oktober in dem Konsulat getötet und seine Leiche zerstückelt und fortgeschafft wurde. Es soll sogar Audioaufnahmen seiner Tötung geben, die den türkischen Ermittlern vorliegen sollen. 15 Personen seien darin verwickelt gewesen. Khashoggi hatte das Gebäude in Istanbul betreten, um Dokumente für seine Hochzeit mit einer Türkin abzuholen. Seither ist er verschwunden.

Die „Washington Post“ hatte vor einer Woche Geheimdienstdokumente veröffentlicht, die zeigen sollen, dass der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman die Entführung Khashoggis angeordnet habe. Als Motiv für eine Ermordung gilt laut „Post“, dass der Regierungskritiker die von Saudi-Arabien verhasste und verbotene Bewegung der Muslimbrüder verteidigt hatte. Saudi-Arabien weist bisher die Vorwürfe zurück.

Erklärung gesucht

Wie CNN berichtete, sollen die Saudis planen, Khashoggis Tod als Unfall aussehen zu lassen. Die Schriftführer der Königsfamilie sollen einen entsprechenden Bericht vorbereiten, ein Geständnis stehe im Raum. Ein Verhör und eine „versuchte Entführung“ sollen „schiefgegangen“ sein, wie CNN berichtete. Dabei beruft sich der Sender auf zwei anonyme Quellen.

Für Saudi-Arabiens Kronprinz würde ein Mordfall Khashoggi einen Ansehensverlust bedeuten – er galt in den vergangenen Jahren als Reformer im erzkonservativen Staat. Die Türkei hat mit Saudi-Arabien ein äußerst schlechtes Verhältnis, will aber wegen ihrer wirtschaftlichen Nöte auch keinen endgültigen Bruch riskieren. Beide brauchten im Fall des Auffindens einer Leiche eine Erklärung, die die Gesichter beider Staaten wahrt.

USA wollen Riad Zeit geben

Seit Khashoggis Verschwinden steigt auch der internationale Druck auf Saudi-Arabien: Auch US-Präsident Donald Trump geht inzwischen davon aus, dass Khashoggi tot ist. „Es sieht sicherlich danach aus für mich“, antwortete Trump am Donnerstag auf eine entsprechende Frage von Reportern. Die Reaktion müsse „sehr strikt“ sein. Bei dem Fall handle es sich um eine „schlimme, schlimme Sache“.

US-Außenminister Mike Pompeo sagte am Donnerstag nach der Rückkehr von Besuchen in Riad und Ankara, die saudische Führung habe ihm „eine vollständige, gründliche Ermittlung“ zugesagt. Er habe deshalb Trump gesagt, dass „wir ihnen noch ein paar Tage geben sollten, um das abzuschließen“. Für Trump ist der Fall Khashoggi überaus delikat, da er für das Vorgehen gegen den Iran und für eine Lösung des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern auf enge Zusammenarbeit mit Riad setzt. Auch ist Saudi-Arabien ein großer Abnehmer von US-Rüstungsgütern.

Trumps Anhänger kratzen an Khashoggis Image

Andere Staaten waren nicht so geduldig: Sie sagten etwa ihre Teilnahme an einer Investorenkonferenz in Saudi-Arabien ab. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erklärte, sein Land setze „bestimmte politische Besuche nach Saudi-Arabien aus“, bis das Verschwinden Khashoggis aufgeklärt sei.

Auch zwei renommierte Museen in New York wollen nun ihre Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien überdenken. Das Metropolitan Museum und das Brooklyn Museum wollen finanzielle Mittel von Gruppen, die der saudischen Regierung nahestehen, anders als zuvor geplant nicht nutzen.

Khashoggi oder Chaschukdschi?

Bei der Transkription arabischer Namen gibt es im Wesentlichen zwei journalistische Schulen: Eine versucht, den Namen mit Hilfe des Englischen wiederzugeben, die andere, mit Hilfe des Deutschen. ORF.at hat sich schon vor Jahren für die zweite Variante entschieden und ist um größtmögliche Konsistenz dabei bemüht. In einigen Fällen löst das allerdings Irritationen aus, vor allem, wenn Namen nur in der englischsprachigen Transkription bekannt sind. In diesem Sinn verwendet ORF.at ab sofort ebenfalls die Schreibweise Jamal Khashoggi.

Verbündete Trumps kratzen indes an dem liberalen Image Khashoggis und weisen auf Verbindungen zu Islamisten hin. Abgeordnete der Republikaner hätten in den vergangen Tagen rechte Medienberichte über Khashoggis Nähe zur islamistischen Muslimbruderschaft und über seine Berichterstattung über den 2011 getöteten Al-Kaida-Chef Osama bin Laden ausgetauscht, berichtete die „Washington Post“ am Donnerstag (Ortszeit) unter Berufung auf Parteikreise. Die Kritik an dem Journalisten solle Trumps Versuche stützen, ein gutes Verhältnis zu den Saudis aufrechtzuerhalten.

"Mit Bin Laden herumgetrieben“

„Khashoggi hatte Verbindungen zur Muslimbruderschaft“, sagte Fox-News-Nachrichtensprecherin Harris Faulkner laut „Post“ in einer Sendung am Donnerstag. Einem örtlichen Radiosender sagte der republikanische Senatskandidat für den US-Staat Virginia, Corey Stewart, laut dem Blatt: „Khashoggi war selbst kein guter Kerl.“ Trumps Sohn Donald Jr. hatte erst vor einer Woche einen Tweet weiterverbreitet, in dem ein Journalist Khashoggi vorwirft, sich mit Bin Laden „in Afghanistan herumgetrieben“ zu haben. „Er ist nur ein demokratischer Reformjournalist, der ein Rollenspiel mit Dschihadisten spielt.“

Ruf nach unabhängiger Untersuchung

Khashoggis frühere Sympathien für Islamisten sind bekannt, aber auch sein Wandel zu einem Kritiker der saudischen Regierung, der sich für Reformen, Demokratie und Pressefreiheit aussprach. Er ist saudischer Staatsbürger und war im vergangenen Jahr ins US-Exil gegangen. Dort schrieb er unter anderem eine Kolumne für die „Washington Post“. Vier Organisationen für Menschenrechte und Pressefreiheit forderten die Türkei am Donnerstag auf, eine UNO-Ermittlung des Falls zu beantragen. Eine solche Untersuchung werde endlich Licht in die Affäre bringen.

Für Kneissl „Gipfel des Horrors“

Auch in Wien ist das Verhältnis zu Saudi-Arabien wieder Thema. FPÖ-Außenministerin Karin Kneissl drängte am Freitag auf umfassende Aufklärung. Der Fall sei der „Gipfel des Horrors“. Sie habe daher bereits am Dienstag letzter Woche eine gesamtumfassende Aufklärung in dieser Causa gefordert.

In den letzten zwei Jahren sei es zu einer massiven Verschlechterung der Menschenrechtssituation in Saudi-Arabien gekommen, mittlerweile gebe es über zehntausend politische Häftlinge, kritisierte die Ministerin. So seien etwa Anfang Juni zahlreiche Frauen verhaftet worden, deren einziges Verbrechen die Teilnahme an Kongressen gewesen sei. Sie habe dieses Thema auch immer wieder bei ihren EU-Kollegen angesprochen, aber bezüglich einer gemeinsamen Vorgangsweise auf Granit gebissen. Es scheine aber so, dass es nun zu einem Umdenken komme.

Der außenpolitische Sprecher der SPÖ, Andreas Schieder, übte am Freitag scharfe Kritik am König-Abdullah-Zentrum (KAICIID) in Wien. Mit der sich zunehmend verschlechternden menschenrechtlichen Situation in Saudi-Arabien stelle sich das Zentrum noch mehr infrage als schon bisher, so Schieder. Er verwies dabei neben dem Fall Khashoggi auch auf den Blogger Raif Badawi, der wegen eines Plädoyers für Religionsfreiheit zu zehn Jahren Haft und 1.000 Peitschenhieben verurteilt wurde.