CDU-Chefin und Kanzlerin Angela Merkel und SPD-Chefin Andreea Nahles
Reuters/Axel Schmidt
Deutschland

Hessen als Schicksalswahl für Koalition

Am Sonntag wählt Hessen einen neuen Landtag – doch auf dem Spiel steht weit mehr: Nach dem desaströsen Ergebnis in Bayern wird die Wahl nun schon zur Schicksalswahl für die Große Koalition stilisiert. Sowohl CDU-Chefin und Kanzlerin Angela Merkel als auch SPD-Chefin Andrea Nahles haben viel zu verlieren. Allzu rosig sieht es für beide in Umfragen derzeit nicht aus.

CDU und SPD müssen bei der Hessen-Wahl herbe Verluste befürchten. In Umfragen liegt die CDU dort nur noch bei 26 Prozent, die Grünen kommen auf 20 bis 22 Prozent, die SPD auf 20, 21 Prozent. FDP und Linke erreichen laut Umfragen je rund acht Prozent. Die AfD käme auf zwölf Prozent der Stimmen. Damit wären sechs Parteien im Landtag vertreten.

Abseits der bundespolitischen Bedeutung ist damit die Wahl auch für sich genommen spannend genug. Denn glaubt man den Umfragen, erreicht das schwarz-grüne Regierungsbündnis unter Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) keine Mehrheit. Überhaupt wird es – so nicht eine Partei deutlich über den Umfrageergebnissen landet – kein Zweierbündnis geben, das regieren kann.

„Exotische“ Dreierkoalitionen möglich

Denkbar ist eine „Jamaika“-Koalition von CDU, Grünen und FDP genauso wie eine Dreierkoalition von SPD, Grünen und Linker – womöglich sogar angeführt von den Grünen, die auf Platz zwei vor der SPD liegen könnten. Denkbar wäre auch eine „Ampelkonstellation“ von SPD, Grünen und FDP – die Liberalen haben diesbezüglich aber eher abgewunken.

Hessen wählt am Sonntag

Laut Umfragen müssen bei der Landtagswahl im deutschen Bundesland Hessen CDU und SPD am Sonntag mit schweren Verlusten rechnen. Die AfD könnte erstmals in den hessischen Landtag einziehen.

Sollte die CDU jedenfalls eine Regierungsbeteiligung verlieren, würde das Merkel in Berlin wieder in Bedrängnis bringen. Bouffier setzte in der Schlussphase des Wahlkampfs verstärkt darauf, vor einem Linksbündnis zu warnen. Für Hessen als „wirtschaftsstarkem Land“ wäre eine solche Koalition eine „Katastrophe“, sagte der Ministerpräsident etwa bei einem gemeinsamen Auftritt mit Kanzlerin Merkel.

CDU-Parteitag im Dezember

Für die schlechten Umfragewerte der CDU von deutlich unter 30 Prozent macht er allerdings auch die Querelen in Berlin verantwortlich: „Im Augenblick überlagert die Bundespolitik die politische Diskussion.“ Die CDU werde deshalb in der Schlussphase des Wahlkampfs deutlich machen, „dass es nicht um Berlin geht“, kündigte er bereits in der vergangenen Woche an.

Deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier
Reuters/Hannibal Hanschke
Ministerpräsident Bouffier mit Merkel

Etwaige CDU-Verluste werden aber den Parteitag der Christdemokraten im Dezember spannend machen. Schon jetzt wird darüber spekuliert, ob Merkel bei dem Delegiertentreffen ein ernstzunehmender Gegenkandidat oder gar die Abwahl drohen. Kommt die CDU mit einem blauen Auge davon, dürfte dies der Kanzlerin eine Atempause verschaffen.

Verschnaufpause nach CSU-Debakel

Seit der Bayern-Wahl und dem schlechten Abschneiden der CSU sind die Stimmen der Kritikerinnen und Kritiker an Merkel allerdings leiser geworden. Das liegt zum einen am beschlossenen Burgfrieden bis zur Hessen-Wahl. Zum anderen aber scheint sich die politische Stimmung etwas zu drehen, seitdem klar geworden ist, dass CSU-Chef Horst Seehofer im Kampf gegen die AfD mit dem Asylthema auf das falsche Pferd gesetzt hat.

Nahles will kämpfen

Wesentlich dramatischer scheint die Situation bei der SPD. Angesichts des grünen Höhenflugs könnte sie in Hessen auf Platz drei landen. Schaffen die Sozialdemokraten noch dazu nicht mehr als 20 Prozent, könnte das ohnehin schon beständige Rumoren in der Partei sehr laut werden. Weil Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel keine schlechte Figur machte, dürften etwaige SPD-Verluste Parteichefin Nahles angelastet werden.

Nahles kündigte zuletzt an, kämpfen zu wollen: „Ich bin entschlossen, den Rücken geradezumachen, die Ärmel hochzukrempeln und nun wieder zu kämpfen.“ Beinahe verzweifelt klangen ihre Versuche, auf die „Erfolge“ der SPD in der Regierungspolitik hinzuweisen: Sie verwies auf Weichenstellungen in der Pensions- und Gesundheitspolitik und auch im Teilzeitrecht, die von der SPD in der Bundesregierung durchgesetzt worden seien. „Liebe Leute, es spricht nur keine Sau darüber“, sagte Nahles.

Doppeltes Dilemma für SPD

Seit Wochen schon mehren sich die Stimmen in der SPD, die auf einen Ausstieg aus der Großen Koalition drängen. Doch die Partei befindet sich in einem doppelten Dilemma: Bleibt man in der Regierung, drohen die Umfragewerte weiter zu fallen – oder sich jedenfalls nicht zu erholen. Sprengt man die Koalition, so stehen wohl Neuwahlen an – und die Chance, einen erfolgreichen Neustart hinzulegen, ist wohl geringer als das Risiko, real in einer Wahl zu verlieren und nicht nur in Umfragen. Ähnliches gilt für den Parteivorsitz: Schon Nahles’ Kür im April fiel wenig berauschend aus, und auch unter ihr kam die Partei nicht vom Fleck. Allerdings drängt sich keine andere Person auf, der zugetraut wird, die SPD schnell aus der Krise zu führen.

Merkel und Nahles spielen Bedeutung herunter

Dass Merkel und Nahles selbst die Wahl herunterspielen, ist nicht weiter überraschend: „Ich sehe das nicht als Schicksalswahl für mich und auch nicht als Schicksalswahl insgesamt“, sagte Nahles in einem Interview des Radiosenders hr-Info. Ähnlich hatte sich kurz davor auch Merkel geäußert. Auf die Frage, ob die Große Koalition in Berlin auch nach der Hessen-Wahl Bestand haben werde, sagte Nahles: „Ich kann überhaupt nichts garantieren, aber wenn ich jetzt darauf wetten würde, würde ich sagen: Ja.“

CDU-Granden zeigten sich deutlich besorgter: CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer brachte bereits Neuwahlen ins Spiel, falls das Bündnis nach Hessen zerbrechen sollte. CDU-Vize Julia Klöckner (CDU) sagte, Union und SPD seien in jedem Falle „dazu verpflichtet, unser Land für vier Jahre gut zu regieren“. CSU-Vize Manfred Weber mahnte: „Die Große Koalition muss halten.“ Das sei zentral für die Frage, ob Deutschland stabil bleibe.