Straßenszene in London
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„Brexit“

London richtet „No Deal“-Finanzpolster ein

Das Vereinigte Königreich legt nach Regierungsangaben Mittel für den Fall eines chaotischen EU-Austritts zurück. Die Regierung plane in ihrem Haushaltsentwurf eine „Fiskalrücklage“ ein, sagte Finanzminister Philip Hammond am Sonntag dem Sender BBC.

Es handle sich dabei um eine Reserve für die Kreditfähigkeit des Landes. Ziel sei es, der britischen Wirtschaft nach einem möglichen „Brexit“ ohne Austrittsvertrag („No Deal“, Anm.) oder nach „anderen unvorhergesehenen Ereignissen“ unter die Arme greifen zu können.

Unter welchen Bedingungen genau die Regierung von den Rücklagen Gebrauch machen werde, ließ Hammond offen. „Das hängt von der Entwicklung der Märkte ab, es hängt von den Umständen zu dem Zeitpunkt ab.“ Der Finanzminister stellt am Montag im britischen Unterhaus den letzten Haushaltsentwurf der Regierung vor dem „Brexit“ vor.

Keine „absolute Garantie“

Großbritannien will am 29. März kommenden Jahres die EU verlassen. Noch ist unklar, ob sich Brüssel und London vertraglich auf eine Fortführung enger Wirtschaftsbeziehungen einigen können oder ob es einen harten Bruch geben wird, welcher die britische Wirtschaft schwer belasten dürfte.

Großbritanniens Finanzminister Philip Hammond
Reuters/Jeff Overs
Hammond glaubt weiter an eine Einigung mit Brüssel, Garantie dafür gebe es allerdings keine

Im Fall eines ungeordneten „Brexits“ müsse die Regierung über eine „andere Strategie“ für die Zukunft der britischen Wirtschaft nachdenken, forderte Hammond. Dann sei auch ein neuer Haushalt nötig. Allerdings zeigte er sich zuversichtlich, dass eine Einigung mit Brüssel weiterhin möglich sei. Diese werde die „negativen Auswirkungen“ des EU-Austritts verringern. Eine „absolute Garantie“ für eine Einigung könne er jedoch nicht geben.

Warnung vor Konsequenzen

Gegenüber Sky News warnte Hammond am Sonntag unterdessen auch vor den unmittelbaren Folgen, die ein ungeregelter EU-Austritt mit sich ziehen würde. Ein Ende der britischen Sparpolitik sei in diesem Fall nicht absehbar. Ohne ein „Brexit“-Abkommen ist Hammond zufolge auch die Umsetzung seiner Pläne zum Ausbau der öffentlichen Dienste nicht möglich.

In einem solchen Fall wäre ein neues Budget mit einer anderen Zukunftsstrategie notwendig. Großbritannien hat seit der Finanzkrise vor zehn Jahren zwar die Neuverschuldung reduziert, das Gesamtschuldenniveau ist dennoch weiterhin hoch.

Britische Notenbank fordert Bildung von Reserven

Die britische Notenbank sieht unterdessen auch die Banken des Vereinigten Königreichs gefordert. Erst vor wenigen Tagen rief die Bank of England die britischen Geldinstitute zum Aufbau von Barmittelreserven für den EU-Ausstieg des Landes auf.

Die Banken sollten bis März genug Polster angelegt haben, um auch die Auswirkungen eines ungeregelten „Brexits“ auf die Finanzmärkte ausgleichen zu können, sagte der Vizechef der Bank of England, Sam Woods, am Donnerstagabend vor Bankern in London. Es müsse ausreichend Liquidität geben, um bei einer negativen Entwicklung auch schwere Erschütterungen der Finanzmärkte abfedern zu können. „Wir müssen auf eine Reihe von möglichen Entwicklungen vorbereitet sein.“

„95 Prozent fertig“

Das „Brexit“-Abkommen mit der EU ist aus Sicht der britischen Premierministerin Theresa May zu 95 Prozent fertig. Seit dem informellen EU-Gipfel in Salzburg vor einem Monat sind May zufolge wichtige Fortschritte etwa bei den Themen Sicherheit, Dienstleistungen und Transport gemacht worden. Ob es die an sich schon Mitte Oktober beim EU-Gipfel in Brüssel anvisierte Einigung noch geben wird, ist nach wie vor offen: Weiter ungeklärt ist die Irland-Frage und damit die wohl noch größte Hürde.

Fitch schlägt Alarm

Angesichts der nach wie vor ausstehenden Einigung zwischen London und Brüssel in zentralen Punkten wie der Frage der Irland-Grenze schlug mehrten sich zuletzt die Befürchtungen vor einem ungeregelten EU-Austritt Großbritanniens. Geht es nach der Ratingagentur Fitsch, sei nur mehr bedingt mit einem reibungslosen „Brexit“ zu rechnen.

Damit sei die Wahrscheinlichkeit eines "verbitterten und disruptiven „No-Deal-Brexits“ und damit einer weiteren Herabstufung der britischen Kreditfähigkeit gestiegen. Fitch bewertet Großbritannien derzeit mit „AA“ und einem negativen Ausblick.

Frage nach künftiger Rolle bei WTO

Abseits der schwierigen Verhandlungen mit der EU gibt es mittlerweile auch Bedenken rund um Großbritanniens künftige Beziehung zur Welthandelsorganisation (WTO). Einem AFP-Bericht zufolge haben zuletzt 27 Länder gegen das von London gewünschte Vorgehen „Bedenken“ geäußert.

Großbritannien drängt darauf, nach dem „Brexit“ im Rahmen der WTO nach denselben Regeln Handel treiben zu dürfen wie bisher, mit ein paar technischen Veränderungen. Großbritannien ist Mitglied in der WTO, seit Jahrzehnten wird es dort jedoch durch die EU vertreten. Die von der EU ausgehandelten Regeln will London auch nach dem „Brexit“ beibehalten und damit möglichst störungsfrei die künftigen bilateralen Handelsbeziehungen zu anderen WTO-Ländern gestalten.

Eine Verzögerung bei dem Abschluss neuer bilateraler Freihandelsabkommen nach dem EU-Austritt könnte wirtschaftliche Auswirkungen auf das Vereinigte Königreich haben. Die WTO spielte die Bedeutung der Einwände jedoch herunter und erklärte, die 27 Länder hätten sich lediglich das Recht vorgemerkt, „sich mit den Briten hinzusetzen“ und mögliche Verhandlungen in den kommenden Monaten zu diskutieren.