CDU-Parteitag
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Merkel-Rückzug

CDU vor turbulenten Zeiten

Der angekündigte Abschied auf Raten von Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel wird wohl für turbulente Zeiten in der CDU – und damit in Deutschland – sorgen. Schon jetzt ist ein Gerangel um ihre Nachfolge ausgebrochen, und das ohne klaren Favoriten. Ob Merkels Plan, nach Abgabe des CDU-Vorsitzes noch bis 2021 Kanzlerin zu bleiben, aufgeht, wird jetzt schon bezweifelt.

Wohl aus guten Gründen hat Merkel eine Ämterteilung von Parteivorsitz und Kanzlerschaft bisher abgelehnt. Und das Beispiel aus Bayern gab ihr recht: Die dortige Lösung, dass Markus Söder Ministerpräsident wurde, während Horst Seehofer CSU-Chef blieb, endete in Dauerstreit – und einer saftigen Wahlniederlage.

Im Fall Merkels wird es wohl darauf ankommen, wer am Parteitag im Dezember den CDU-Vorsitz übernimmt – und wie es mit den Machtansprüchen dieser Person in den Monaten danach aussieht. Doch dass das Verhältnis mehr als zwei Jahre friktionslos bleiben kann, wird angezweifelt.

Kanzlerwechsel schon vor 2021?

Sollte Merkel den Platz der Regierungschefin schon vor Ende der Legislaturperiode im Jahr 2021 räumen, bleibt die Frage, ob die Große Koalition – so sie da überhaupt noch besteht – mit einem neuen Kanzler oder einer neuen Kanzlerin weitergeführt werden kann. Neuwahlen wären dann genauso möglich wie ein fliegender Koalitionswechsel – etwa zu einem „Jamaika“-Bündnis. FPD-Chef Christian Lindner, an dem die Bildung einer solchen Regierung im Vorjahr gescheitert war, dürfte neues Interesse am Regieren gefunden haben. Zumindest für seine Parteikollegen in Hessen wünschte er sich ein solches Dreierbündnis.

Kramp-Karrenbauer und Spahn in den Startlöchern

Doch zunächst gilt es abzuwarten, wer sich im Machtkampf der CDU durchsetzen kann: Ihre Kandidatur für den Parteivorsitz angemeldet haben bereits Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer und Gesundheitsminister Jens Spahn. Kramp-Karrenbauer werden gute Chancen eingeräumt, Merkel zumindest als Parteichefin zu beerben. Die frühere saarländische Ministerpräsidentin gilt als Favoritin Merkels.

CDU-Parteitag
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Kramp-Karrenbauer ist Generalsekretärin der CDU – Merkel hatte diesen Posten auch inne, bevor sie Parteichefin wurde

Spahn hingegen hatte sich in den vergangenen Jahren immer wieder als konservativer Kritiker profiliert. Ihm wird parteiintern auch angekreidet, dass er mit Äußerungen etwa in der Flüchtlingspolitik zu stark innerhalb der CDU polarisiert habe.

Mögliches Merz-Comeback und mächtige Länder

Ein alter politischer Feind Merkels hat mittlerweile sein Antreten bestätigt: Friedrich Merz. Der 62-jährige Jurist und Finanzexperte stand von 2000 bis 2002 an der Spitze der Bundestagsabgeordneten von CDU und CSU – bis Merkel ihn aus diesem Amt verdrängte. Er gilt nach wie vor als ein Kopf der Konservativen in der Partei. Merz zog sich nach der Niederlage gegen Merkel aus dem Bundestag zurück und ist seither als Rechtsanwalt tätig.

Wer welche Chancen hat, wird wohl auch auf die Landesverbände ankommen. Und deren Präferenzen sind noch völlig unklar. Wahrscheinlich wird es auch eine Zeit dauern, bis die Entscheidungsfindung in den Ländern abgeschlossen ist. Eine gewichtige Stimme kommt traditionell aus Nordrhein-Westfalen. Und der dortige CDU-Ministerpräsident Armin Laschet wird ebenfalls als hoffnungsvoller Kandidat gehandhabt.

Außenseiter und Absagen

Vereinzelt wird dann noch Landwirtschafts- und Verbraucherschutzministerin Julia Klöckner als mögliche Kompromisskandidatin genannt. Und auch der ehemalige Innen- und Finanzminister Wolfgang Schäuble ist in allen Spekulationslisten deutscher Medien vertreten. Dass der 76-Jährige, der sich schon auf dem Rückzug aus der Politik befindet, noch einmal in die erste Reihe muss, ist eigentlich nur vorstellbar, wenn sich die Partei derart zerstreitet, dass ein Konsenskandidat als Übergangslösung übernehmen muss.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel
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Merkel und die CDU – für Jahre untrennbar miteinander verbunden

Bereits abgewunken hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, der man noch vor ein paar Jahren die besten Chancen auf die Merkel-Nachfolge nachgesagt hatte. Auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther will nicht für den Parteivorsitz kandidieren.

Keineswegs als sicher gilt, dass der oder die neue CDU-Vorsitzende auch automatisch Merkel im Kanzleramt beerbt oder als Spitzenkandidat in die nächste Wahl geht. Insofern könnte die Wahl zum Chefposten in der Partei eine Vorentscheidung bringen, gleichzeitig aber auch nur der Auftakt zu einem langen Gezerre um die Macht sein.

Erinnerung an Merkels Aufstieg

Auch bei Merkel selbst war die Nachfolge nach der Ära Helmut Kohl keineswegs reibungslos: Nachdem Kohl als Konsequenz aus der Schlappe bei der Bundestagswahl 1998 seinen Verzicht auf den CDU-Vorsitz erklärt hatte, wurde der damalige Fraktionschef Schäuble an die Spitze der Partei gewählt. Er war der Wunschkandidat Kohls, musste aber im Strudel der CDU-Spendenaffäre 2000 seinen Posten räumen.

Nach dem Rücktritt Schäubles begann hinter den Kulissen ein Macht- und Ränkespiel, in dem sich unter anderen Volker Rühe und Jürgen Rüttgers Chancen auf den Parteivorsitz ausrechneten. Das Rennen machte letztlich aber klar die damalige Generalsekretärin Merkel, die vor allem die CDU-Basis auf ihre Seite zog. Auch sie war damals eine Kandidatin, von der man anfangs nicht ausging, so lange an der Spitze der Partei und Deutschlands zu bestehen.

Auch CSU und SPD vor Umwälzungen

Merkels Rückzug dürfte allerdings nicht nur in der CDU Folgen haben: Ihre Ankündigung erhöht auch den Druck auf CSU-Chef Seehofer. Mehrere CDU-Politiker aus den Ländern fordern offen den Rückzug des Innenministers von der CSU-Spitze. Seehofer selbst kündigte an, er wolle spätestens Mitte November Vorschläge zur inhaltlichen, strategischen und personellen Zukunft der CSU vorlegen. Im Gespräch ist auch ein vorgezogener Sonderparteitag.

Merkels Schritt lenkte zudem von den Schwierigkeiten in der SPD ab. Parteichefin Andrea Nahles steht mehrfach unter Druck, immer lauter werden die Rufe, die Partei solle die Große Koalition verlassen. Ob sich das die Partei leisten kann, ist umstritten. Möglicherweise werden die Personal- und Richtungsentscheidungen in der SPD gleichzeitig mit denen in der CDU virulent werden.