Schülerinnen auf dem Weg zum Klassenzimmer
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Noten für Groß und Klein

Viel Kritik und offene Fragen bei Schulpaket

Inhalt, Zeitdruck, Auswirkung: Am „Pädagogikpaket“ der Regierung sind etliche Kritikpunkte laut geworden. So stößt vielen die Pflicht zu Ziffernnoten ab Ende der zweiten Volksschulklasse sauer auf. Auch die Einteilung unterschiedlicher Leistungsniveaus in der Mittelschule ist kontrovers. Tadel kommt von unterschiedlicher Seite, wie auch die Einschätzungen von Industrie und Wirtschaftskammer zeigen.

Mit Freitag endet die Begutachtungsfrist für das Gesetz, das Maßnahmen in Volks- und Mittelschule umfasst sowie ein freiwilliges zehntes Schuljahr an Polytechnischen Schulen. Vier Wochen lang konnten Gruppen, Ämter und Einzelpersonen Stellungnahmen abgeben.

Derer sind rund 70 eingelangt, beladen mit vielen Kritikpunkten. Der Verfassungsdienst etwa macht auf manchen Rechtschreib- und Grammatikfehler aufmerksam und fordert Korrekturen ein. Inhaltlich herrscht bei vielen Stellungnahmen Skepsis bei den Plänen von ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann, mit Ende der zweiten Klasse Volksschule verpflichtend Ziffernnoten einzuführen.

Derzeit können es sich die Volksschulen in den ersten drei Jahren aussuchen, ob sie mit Noten oder verbal beurteilen, in der vierten Klasse sind Ziffernnoten verpflichtend. Auch das Sitzenbleiben gibt es erst ab der vierten Klasse.

„Ergebnisse der Forschung ignoriert“

Das neue Gesetz sieht hingegen eine „Notensystematik basierend auf der Ziffernbeurteilung“ in den Volksschulen ab Ende der Stufe zwei vor. Bis zum Halbjahreszeugnis der zweiten Klasse kann zwar grundsätzlich auch ausschließlich alternativ beurteilt werden – in diesem Fall haben aber Eltern das Recht, auf einer Ziffernnote zu bestehen. Ab dem Ende der zweiten Klasse müssen ab 2019/20 verpflichtend Ziffernnoten vergeben werden, zusätzlich gibt es aber jedenfalls die Verbalbeurteilung. Außerdem werden alle Eltern zu Bewertungsgesprächen über Leistungsstärken und Leistungsstand eingeladen (bisher nur bei alternativer Beurteilung), bei Bedarf können Schülerinnen und Schüler auch zu Förderunterricht verpflichtet werden.

Ab der zweiten Klasse können Schüler und Schülerinnen auch wieder sitzenbleiben: Mit einem Fünfer können sie noch automatisch aufsteigen, ab zwei „Nicht genügend“ entscheidet darüber die Schulkonferenz. Viele Lehrerinnen und Lehrer sehen mit der Novelle ihr jahrelanges Engagement für alternative Beurteilungsformen zunichtegemacht. Für die Unabhängigen Lehrergewerkschafter werden mit der Reform „zentrale Ergebnisse der Bildungsforschung ignoriert“.

Leistungsdruck auf Kinder befürchtet

Auch die Arbeiterkammer zeigte sich ablehnend: Sie „lehnt den Großteil der vorliegenden Gesetzesentwürfe ab“. Durch die Ziffernnotenpflicht werde die Autonomie der Schulen verringert. Zudem sei „zu befürchten, dass diese Maßnahmen den Leistungsdruck auf die Kinder weiter erhöhen“ werde.

Auch Neuerungen an den Neuen Mittelschulen (NMS), die künftig nur noch „Mittelschulen“ heißen, werden in den Stellungnahmen kritisiert. Auch hier steht die künftige Art der Beurteilung im Fokus: Diese soll die siebenteilige Ziffernskala durch ein Fünfermodell ersetzen. Derzeit gibt es an den NMS in den dritten und vierten Klassen eine quasi siebenstufige Notenskala in den Hauptfächern Deutsch, Mathematik und Englisch. Wer in diesen Fächern die Basisbildung erreicht, wird nach der Notenskala für „grundlegende Allgemeinbildung“ beurteilt – wer komplexere Sachverhalte beherrscht, nach der Skala für „vertiefte Allgemeinbildung“.

Grafik zu Notenskalen für Schüler der Mittelschule
APA/ORF.at; Quelle: BMBWF

In Zukunft wird diese Zweiteilung schon ab der zweiten Klasse gelten – unterschieden wird nun in „Standard AHS“ und „Standard“. Für beide Leistungsniveaus gibt es je fünfteilige Notenskalen, wobei das „Nicht genügend“ beim „Standard AHS“ je nach Leistung wieder dem Dreier, Vierer oder Fünfer im „Standard“ entspricht. Neu: Es gibt künftig auch beim „Standard“ Einser und Zweier, die wiederum dem „Befriedigend“ bzw. „Genügend“ im „Standard AHS“ entsprechen. An der Aufstiegsberechtigung ändert sich dadurch nichts. In Deutsch, Mathematik und in der ersten lebenden Fremdsprache sollen Bewertungsraster eingesetzt werden.

Nun befürchten Kritikerinnen und Kritiker, dass das neue System vor allem für leistungs- und sozial schwächere Kinder Nachteile haben wird – „vor allem weil diese Trennung schon in der sechsten Schulstufe möglich sein soll“, moniert etwa der Tiroler Landesschulrat.

Skepsis beim Schulpaket

Am Freitag endet die Begutachtungsfrist für das kürzlich von Bildungsminister Faßmann vorgelegte Pädagogik-Gesetzespaket. Von einigen Seiten gibt es dazu Kritik.

Lehrergewerkschaft kritisiert Zeitdruck

Die Gewerkschaft der Pflichtschullehrerinnen und Pflichtschullehrer übt besonders an den Mittelschulplänen deutliche Kritik: In ihrer neunseitigen Stellungnahme macht die Teilgewerkschaft darauf aufmerksam, dass die Lehrerschaft bereits unter etlichen Schulreformen gelitten habe. Auch das Konzept der „Neuen Mittelschule“ sei ein Beispiel dafür gewesen: grundsätzlich gut, aber „musste dieses zu rasch und unter denkbar ungünstigen Voraussetzungen flächendeckend umgesetzt werden“. Ähnliches wird nun auch wieder befürchtet. Denn Teile des Gesetzes sollen schon mit Schulbeginn 2019/2020 in Kraft treten.

Eine seriöse Beratung sei so nicht möglich und „wird den Start des Pädagogikpakets nicht erleichtern!“, so die Lehrergewerkschaft. Sie kritisiert außerdem, dass auf das neue Beurteilungssystem umgestellt wird, bevor die als Basis dienenden neuen Lehrpläne vorliegen. „Daher ist eine pädagogische Bewertung im Moment genauso wenig möglich wie die Einschätzung des damit verbundenen Arbeitsaufwands und der daraus resultierenden Belastung für die Lehrerinnen und Lehrer.“

„Unnötige Arbeitsbeschaffung“

Mehrmals werden in der Stellungsnahme die Begrifflichkeiten angeprangert. So missfällt es der Gewerkschaft, dass im Gesetz Begriffe wie „niedrigeres Leistungsniveau“ vorkommen. Auch die Umbenennung der „Neue Mittelschule“ in „Mittelschule“ ist für die Gewerkschaft überflüssig. Diese „bedeutet eine massive Vergeudung von Steuergeldern und unnötige Arbeitsbeschaffung“.

Lob gab es für die Mittelschulpläne von mehreren Stellen hingegen für die Vorgabe, dass Schülerinnen und Schüler je nach Leistung flexibel zwischen den Leistungsgruppen „Standard“ und „Standard AHS“ wechseln können. Auch wird in keiner Stellungnahme eine Beibehaltung der aktuellen siebenteiligen Notenskala gefordert.

Wirtschaft um Lehrlingsschiene besorgt

Kritik wurde selbst auch vonseiten der Wirtschaftskammer (WKÖ) laut, auch wenn sie die Reform „als sehr wichtigen Schritt zu einer grundlegenden Reform des Bildungswesens“ begrüßt. Die Kammer aber stößt sich ebenso wie viele Lehrer und Lehrerinnen an der Bezeichnung „Standard AHS“ für das höhere Leistungsniveau.

Hier werde „eindeutig eine Wertung zu Gunsten der Bildungslaufbahn AHS“ vorgenommen – im Gegensatz etwa zur Lehrlingsausbildung. Man ersuche um einen neutralen Zugang, denn man brauche „ausreichend fachliche Leistungsträger“, so die WKÖ. Das könne nicht ausschließlich über die Bildungsschiene AHS abgebildet werden.

Industrie um AHS besorgt

Anders argumentiert wiederum die Industriellenvereinigung (IV), die nicht versteht, „warum die AHS nicht in den Geltungsbereich des Entwurfs miteinbezogen wurde“: So würden von einem verpflichtenden Förderunterricht etwa auch AHS-Schülerinnen und -Schüler profitieren. „Das Ausklammern der AHS könnte die Vermutung nahelegen, es bedürfe eben dort keiner pädagogischen Verbesserungen.“

Die IV sieht zudem die Gefahr, dass bereits in der Volksschule im Fall einer Klassenwiederholung betroffene Kinder stigmatisiert würden. Auch werde die Wirkung dieser Maßnahme in der Volksschule überschätzt. Auch bei den Mittelschulplänen ist die IV skeptisch: Die beiden geplanten Leistungsniveaus „Standard“ und „Standard AHS“ dürften „keinesfalls an den früheren A- und B-Zug anknüpfen – alle Entwicklungen in diese Richtung lehnt die IV entschieden ab“.

Die Ziele des Pakets, etwa eine größere Durchlässigkeit des Systems, würden unterstützt, heißt es in der Stellungnahme. „Wir sind allerdings der Ansicht, dass diese Ziele mit den geplanten Gesetzesänderungen nur teilweise erreicht werden“, so die IV, die ein umfassendes Konzept vermisst.

Lob für zehntes Jahr an der „Poly“

Explizites Lob kommt in vielen Stellungnahmen hingegen für die verpflichtenden Kinder-Eltern-Lehrer-Gespräche. Positiv wurde auch das freiwillige zehnte Schuljahr an Polytechnischen Schulen aufgenommen. Es soll jenen Jugendlichen zugutekommen, die in der neunten Schulstufe eine „falsche Schulwahl“ getroffen haben und die vor dem Wechsel aus einer berufsbildenden mittleren oder höheren Schule (BMHS) in eine Lehre oder andere weiterführende (Aus-)Bildung eine Orientierungsphase oder gezielte Förderung der Grundkompetenzen brauchen. Davon sollen laut Regierung mehr als 400 Schülerinnen und Schüler profitieren. Die Lehrergewerkschaft begrüßte etwa auch den Förderunterricht bei Bedarf an der „Poly“. Für sie wäre es auch wünschenswert, wenn auch andere Schülerinnen und Schüler ein freiwilliges zehntes Schuljahr an einer Polytechnischen Schule besuchen dürften.