Haus in Casteldaccia, in dem neun weitere Leichen gefunden wurden
APA/AFP/Alessandro Fucarini
Italien

Unwetter machen Bausünden sichtbar

Seit Tagen wüten in Italien Unwetter, mehr als 30 Menschen sind bisher ums Leben gekommen. Neun Mitglieder einer Familie starben allein bei der Überflutung eines Hauses auf Sizilien – das Gebäude aber hätte nie gebaut werden dürfen. Es wurde, wie viele Gebäude in Italien, an den Behörden vorbei errichtet.

Die Bilanz der schweren Unwetter ist erschütternd: Seit dem 5. Oktober kamen in Italien 34 Personen bei Erdrutschen, durch Überschwemmungen oder durch Windböen ums Leben, wie die römische Tageszeitung „Il Fatto Quotidiano“ am Montag berichtete. Nach zwölf Todesopfern allein auf Sizilien am Wochenende wurde noch nach einem Vermissten in Corleone nahe Palermo gesucht.

Sizilien bereitete sich zudem auf die Trauerfeier für neun Mitglieder einer Familie vor, die am Samstag in einem überschwemmten Landhaus in Casteldaccia nahe Palermo ums Leben gekommen sind. Die Familie aus Palermo hatte das Wochenende in dem gemieteten Gebäude verbracht. Der daneben liegende Bach namens Milicia trat nach schweren Regenfällen am Samstagabend über die Ufer und flutete das Haus rasch mit Wasser und Schlamm. Am Dienstag ist die Trauerzeremonie in der Kathedrale von Palermo angesetzt.

Abriss 2008 angeordnet

Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft: Das Haus hätte längst abgerissen werden sollen, da es entgegen den Bauvorschriften zu nah an einem Fluss errichtet worden war. Das sagte der Bürgermeister des Ortes, Fabio Spatafora, am Montag. Die behördliche Abrissanordnung von 2008 sei einfach ignoriert worden. Nichtsdestoweniger war das Haus vermietet worden – und die Bewohner wussten von dem Risiko offenbar nichts.

Luftaufnahme vom überfluteten Casteldaccia
AP/ANSA/Ruggero Farkas
Casteldaccia nach der Flut: Der Bach Milicia trat über die Ufer und überschwemmte Teile der Ortschaft

„Warum wurden wir nicht gewarnt?“, fragte der Familienvater, der sich als Einziger aus dem Haus retten konnte, vor Journalisten. Er verlor Medienangaben zufolge seine Frau, zwei Kinder, seine Eltern und Geschwister. Seine Tochter überlebte, weil sie zum Zeitpunkt des Unglücks mit zwei weiteren Angehörigen Süßigkeiten kaufen gegangen war.

Gemeinden mit Geldsorgen

Bürgermeister Spatafora beklagte sich über das weit verbreitete Problem des Bauens ohne Genehmigung. Seine Verwaltung habe wenig Handlungsspielraum, wenn die Besitzer die Aufforderungen zum Abriss ignorierten: „In diesem Fall muss die Stadt das Anwesen kaufen oder es selbst abreißen lassen“, sagte er. „Oft hat sie dafür aber nicht das Geld – so wie Casteldaccia“, zitiert ihn die Nachrichtenagentur AFP.

Unwetter in Italien: Debatte über Bausünden

Auf Sizilien wurde rund die Hälfte der Häuser – oder Teile davon – ohne Genehmigung gebaut, der italienische Durchschnitt liegt bei rund 20 Prozent.

Nach Angaben der italienischen Statistikbehörde ISTAT wird in Italien rund jedes fünfte neue Gebäude ohne Baugenehmigung errichtet, die allermeisten im Süden des Landes. Spitzenreiter ist die Region Kampanien, wo 64 Prozent aller neuen Gebäude illegal errichtet werden. Nach Angaben des Zivilschutzes sind sogar 70 Prozent der italienischen Gemeinden wegen nicht genehmigter Bauten und abgeholzter Wälder von Überschwemmungen bedroht.

Rom will Hilfen freigeben

Tragödien wie die in den vergangenen Tagen müssten ein Ende haben, forderte die Umweltschutzorganisation WWF in Italien. Sie rief die Regierung in Rom auf, die Regionen und Kommunen mit Mitteln auszustatten, um effizient auf extreme Wetterereignisse zu reagieren.

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Entwurzelte Bäume schwimmen in einem Fluss bei Belluno, im Nordosten von Italien
AP/Vigili del Fuoco
In der Region Belluno wurden Tausende Bäume entwurzelt und weggeschwemmt
Entwurzelte Bäume bei Belluno, im Nordosten von Italien
AP/Vigili del Fuoco
Schwerer Sturm riss Schneisen in die Wälder
Touristen gehen auf einem improvisierten Steg über das Wasser am Marcusplatz in Venedig
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Bereits Anfang der Woche hatte es etwa in Venedig schwere Überschwemmungen gegeben
Touristen waten durch das Wasser am Marcusplatz in Venedig
AP/Luca Bruno
Unter anderem stand der Markusplatz unter Wasser
Wasser steht vor dem Colosseum in Rom
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Auch in Rom hatten Unwetter gewütet und für schwere Schäden gesorgt. In der Hauptstadt hat sich die Wetterlage mittlerweile beruhigt.
Boote liegen beschädigt im Hafen von Rapallo, in Norditalien
AP/Antonio Calanni
In Ligurien wurden über 200 Jachten beschädigt, darunter auch ein Schiff von Ex-Premier Silvio Berlusconi

Die Regierung in Rom kündigte Unterstützung für die betroffenen Gebiete an. Das Kabinett will diese Woche 250 Millionen Euro für erste Hilfen freigeben. Eine Milliarde Euro soll im Rahmen des Haushaltsplans zur Vorbeugung von Naturkatastrophen aufgebracht werden, hieß es in Rom.

Neuer Regen prognostiziert

Zur Beurteilung der Unwetterschäden können die italienischen Behörden ab sofort auch Satellitendienste der EU nutzen. Der Copernicus-Dienst für Katastrophen- und Krisenmanagement (EMS) wurde auf Wunsch Italiens aktiviert. Darüber können unter anderem Lagekarten erstellt werden, die ein detailliertes Ausmaß der Schäden zeigen.

Aufatmen kann Italien aber noch nicht: Neue heftige Regenfälle wurden für Sizilien gemeldet. Überschwemmungsgefahr bestand zudem noch in Küstenregionen des Latiums, in Venetien, im Piemont und in der Emilia-Romagna.