Arbeiter in Autofabrik
Reuters/Ralph Orlowski
Nach Midterms

Europa bangt vor Folgen

Die US-Midterms haben den Republikanern den Verlust des Repräsentantenhauses und damit einen Dämpfer beschert – dass US-Präsident Donald Trump deshalb von seiner „America First“-Politik abweicht, gilt dennoch als ausgeschlossen. Im Gegenteil: In Europa geht die Sorge vor einem Wiederaufflammen des Handelsstreits um. Ins Visier Washingtons könnte neuerlich die Autoindustrie geraten.

Gerade im wirtschaftlichen Bereich müsse Trump „seinen Wählern beweisen, dass er liefern kann“, sagte Fabian Zuleeg, Chefökonom des European Policy Centre (EPC) in Brüssel, gegenüber ORF.at. „Das hat mit dem Gefühl zu tun, dass die Arbeiter, die weniger von der Globalisierung profitiert haben, verteidigt werden müssen gegen das, was Trump als unfaire Praktiken bezeichnet.“ An der Agenda des US-Präsidenten werde sich deshalb wenig ändern, sagte Zuleeg. „Er wird weiterhin versuchen, innenpolitisch zu punkten, indem er Handelspartnern gegenüber stark auftritt.“

Das betrifft nicht nur China, mit dem die USA einen offenen Handelskrieg führen. Auch gegen Europa teilte Trump im Wahlkampf aus: „Die Europäische Union wurde gebildet, um uns beim Handel auszunutzen“, sagte er in einem Fernsehinterview. „Niemand behandelt uns viel schlechter als die Europäische Union.“

Anhänger der republikanischen Gouverneurskandidatin Kim Reynolds jubeln
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Feiernde Republikaner: Trump „muss beweisen, dass er liefern kann“ – vor allem im wirtschaftlichen Bereich

Handelsabkommen nicht in Sicht

Besonderen Groll hegt Trump gegen Deutschland. „Trump glaubt tief in seinem Innersten, dass die EU und speziell die Deutschen die USA hereinlegen wollen“, sagte der US-Außenpolitikspezialist Jeremy Shapiro vom European Council on Foreign Relations gegenüber Reuters. Ein Dorn im Auge ist dem US-Präsidenten das US-Handelsdefizit gegenüber der EU. Trump hatte deswegen mit US-Zöllen auf Importautos aus Europa gedroht.

Im Sommer gelang es EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker bei einem Besuch im Weißen Haus, ihre Einführung zu verhindern. Zwischen Brüssel und Washington wurde der Abbau aller Importabgaben und Handelsschranken für Industriegüter mit Ausnahme von Autos vereinbart. Die Verhandlungen darüber gerieten allerdings ins Stocken. US-Handelsminister Wilbur Ross forderte die EU Mitte Oktober auf, das Verhandlungstempo zu erhöhen. Die Gespräche seien nicht als Fünfjahresprozess gedacht, so Ross.

EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström warf der amerikanischen Seite vor, wenig Interesse an einem Abkommen zu zeigen. Was die angedrohten US-Zölle auf europäische Autos angehe, sei noch alles offen. Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) betonte nach dem EU-Außenhandelsrat am Freitag, die österreichische Ratspräsidentschaft werde „Tempo machen“ bei den Gesprächen mit den USA. Ziel sei es, bis Anfang nächsten Jahres „ein klares und starkes Verhandlungsmandat in der Hand zu haben“. Auch Malmström zeigte sich zuversichtlich. Sie wird nächste Woche zu Gesprächen nach Washington reisen.

„Trump bleibt Trump“

Bei gewissen Wählerschichten komme Trumps Protektionismus gut an, sagte Christoph Leitl, Präsident der Europäischen Wirtschaftskammer Eurochambres. So lange Trump Präsident sei, werde er sich wenig um Senat und Repräsentantenhaus scheren, so Leitl gegenüber ORF.at. Schon jetzt mache Trump von seinen Vollmachten als Präsident exzessiv Gebrauch. „Trump wird immer Trump bleiben. Da braucht er nichts zu verschärfen, weil recht viel verschärfen kann man an dieser Linie ohnedies nicht mehr“, sagte der frühere langjährige Präsident der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ).

Autozulieferer im Visier Washingtons?

In Brüssel und der Automobilbranche geht unterdessen laut einem Bericht des Magazins „Politico“ die Angst um, dass Trump in der europäischen Autozulieferindustrie „wildern“ will. Leidtragender könnte einmal mehr Deutschland sein. Viele deutsche Autokonzerne betreiben Fabriken in den USA und Mexiko. Die Teile für die Produktion stammen aber weiterhin größtenteils aus Europa.

Autofertigung
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Die US-Regierung soll es einem Magazinbericht zufolge auf Europas Autozulieferbranche abgesehen haben

Das könnte sich schon bald ändern: Vertreter der EU-Kommission und der Autoindustrie rechnen „Politico“ zufolge damit, dass Washington die Einführung eines Punktesystems plant, über das die Verteilung von Importquoten geregelt werden soll. Ein solches System ist bereits im USA-Mexiko-Kanada-Abkommen (USMCA) verankert, dem Nachfolgevertrag des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA).

Bevorzugt werden sollen Hersteller, die nicht nur die Fahrzeuge in den USA zusammenbauen lassen, sondern auch die Teile an Ort und Stelle erzeugen bzw. von inländischen Firmen beziehen. Offensichtliches Ziel des USMCA sei es, die Produktion so weit wie möglich in die USA zu verlagern, kritisierte Bernd Lange, der Vorsitzende des Handelsausschusses im EU-Parlament, gegenüber „Politico“. Bedenken äußerte dem Magazin gegenüber auch eine Sprecherin des deutschen Verbands der Automobilindustrie. Die Überlegungen seien „besorgniserregend“.

Konflikte programmiert

Außenpolitikexperte Shapiro geht zudem davon aus, dass Trump auf internationaler Ebene „Konfrontationen suchen“ wird, sobald er innenpolitisch auf größere Widerstände stößt. Spannungen zwischen Demokraten und Republikanern sind programmiert, auch wenn die Grand Old Party ihre Mehrheit im Senat bei den Midterms sogar ausbauen konnte.

Im Repräsentantenhaus können die Demokraten die Umsetzung einiger von Trumps wichtigsten Wahlkampfversprechen blockieren – etwa eine neuerliche Verschärfung der Einwanderungsgesetze, die Finanzierung der geplanten Mauer an der mexikanischen Grenze oder weitere Einschnitte im Gesundheitssystem. Will Trump seinen Kurs beibehalten, muss er per Dekret (Executive Order) regieren. Ein erster Konflikt zeichnete sich bereits am Tag nach den Midterms ab, als Trump die Demokraten davor warnte, mit ihrer neu gewonnenen Mehrheit weitere Ermittlungen gegen ihn und seine Regierung einzuleiten.