Friedrich Merz von der CDU
Reuters/Hannibal Hanschke
Merkel-Nachfolge

Friedrich Merz und die Giftküche

Friedrich Merz will Vorsitzender der deutschen Regierungspartei CDU und damit Nachfolger seiner Intimfeindin, der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, die den Parteivorsitz abgibt, werden: Merz muss allerdings gegen das Image eines Wirtschaftslobbyisten ankämpfen, das ihm seit Jahren anhaftet. Seine Kritiker und Kritikerinnen wittern Interessenkonflikte und noch so einiges in der Giftküche.

Dennoch würden etwa gleich viele Deutsche dem ehemaligen CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden im deutschen Bundestag Merz und der bisherigen CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer eine erfolgreiche deutsche Kanzlerschaft zutrauen. 36 Prozent könnten sich am ehesten Merz als deutscher Kanzler vorstellen, knapp dahinter liegt Kramp-Karrenbauer mit 33 Prozent, geht aus einer Umfrage von Kantar EMNID im Auftrag der Funke Mediengruppe (Donnerstag-Ausgabe) hervor.

Gegen die beiden Bewerber um die Nachfolge von Merkel an der Spitze der Partei sprachen sich jedoch noch mehr Befragte aus. 46 Prozent lehnen Merz im Kanzleramt ab, bei Kramp-Karrenbauer sind es 48 Prozent. Der Rest der Befragten legte sich nicht fest.

Friedrich Merz und Angela Merkel, nach einem Parteitag der CDU 2001
AP/Eckehard Schulz
Friedrich Merz und Angela Merkel im Jahr 2001, damals war die Welt noch in Ordnung – bis Merkel den CDU-CSU-Fraktionsvorsitz für sich selbst in Anspruch nahm und Merz daraufhin aus Protest die Politik für die Wirtschaft tauschte

ZDF-„Politbarometer“: Kramp-Karrenbauer vorne

Der dritte Bewerber um den CDU-Vorsitz, der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn, schneidet deutlich schlechter ab: Nur 17 Prozent glauben, dass Spahn ein guter Kanzler wäre, 65 Prozent sind anderer Meinung. Im ZDF-„Politbarometer“ liegt indes Kramp-Karrenbauer sowohl in der Gesamtbevölkerung als auch bei den CDU-Anhängern vor Merz. Spahn ist hingegen mit seinen Zustimmungswerten weit abgeschlagen, wie die am Freitag veröffentlichte Umfrage ergab.

Für Kramp-Karrenbauer als Merkel-Nachfolgerin an der CDU-Spitze seien unter allen Befragten 31 Prozent und bei den Unionsanhängern 35 Prozent. kommt bei allen Befragten auf 25 Prozent Zustimmung. Bei den Unionsanhängern liegt er mit 33 Prozent knapp hinter Kramp-Karrenbauer. Die Forschungsgruppe Wahlen befragte von 6. bis 8. November 1.200 zufällig ausgewählte Wahlberechtigte.

Merz will Abgeordnete überzeugen

Merz versucht nun, sich mit den CDU-Abgeordneten gutzustellen. Nach einem Bericht der „Welt“ traf sich der 62-Jährige am Donnerstagmorgen mit Parlamentariern und Parlamentarierinnen, die erst in den vergangenen Jahren in den Bundestag eingezogen sind. Merz sagte für den Fall seiner Wahl zum neuen CDU-Vorsitzenden Merkel einen „fairen, anständigen und loyalen“ Umgang zu. Merz erklärte am Samstag, dass die CDU und ihr künftiger Vorsitzender auch weiter „in der Mitte“ stehen müssten. Einen Rechtsruck der CDU schloss er aus.

Merz geht jedoch nicht gerade unbeschadet in des Rennen um den CDU-Vorsitz. Die derzeitigen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Köln beim weltgrößten Vermögensverwalter Blackrock richten sich allerdings nicht gegen Merz selbst, den Aufsichtsratsvorsitzenden für Deutschland. Gegen Merz lägen „keine Verdachtsmomente für die Begehung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit vor“, teilte die Behörde am Mittwoch mit.

Kratzer am Image

Merz ist seit 2016 Aufsichtsratschef von Blackrock Deutschland. Die umstrittenen „Cum-Ex“-Geschäfte betreffen nach Angaben des Vermögensverwalters den Zeitraum 2007 bis 2011 – also die Jahre vor der Übernahme des Spitzenamtes. Blackrock arbeite mit den Ermittlungsbehörden zusammen, bekräftigte ein Konzernsprecher. Merz selbst versprach ebenfalls völlige Aufklärung. Die Affäre schwelt schon sei Jahren. „Warum aber genau jetzt die Durchsuchung?“, fragte sich die konservative „Welt“ und gab auch gleich indirekt die Antwort und spekulierte über mögliche – parteiinterne – Ermunterung für die Aktion der Staatsanwaltschaft.

Kratzer hinterlassen die Ermittlungen am Image von Merz allemal: Politisch unangenehm sei das natürlich trotzdem für den Kandidaten Merz, wie eine Reaktion der Grünen zeige, schrieb etwa die „Süddeutsche Zeitung“ („SZ“). Der grüne Bundestagsabgeordnete Gerhard Schick habe Merz mit 13 Fragen konfrontiert – sie wirkten fast wie ein Verhör, so die „SZ“ weiter. Zum Beispiel hieß es mit Bezug zu „Cum-Ex“: „Haben Sie als Vorsitzender des Aufsichtsrats von Blackrock Deutschland Fragen gestellt oder eigene Untersuchungen angestellt? Falls nein, warum nicht?“

Ruf als „Vertreter der gierigen Finanzindustrie“

Auch die „Wirtschaftswoche“ kritisierte Merz als „blauäugig“. „Dass ihn das Thema ‚Cum-Ex‘ bei BlackRock irgendwann einholen wird, hätte Merz aber wissen können.“ Das Magazin verwies darauf, dass es schon in den Jahren 2011 und 2012 immer wieder das Thema gab, dass Blackrock rund um den Dividendenstichtag Wertpapierleihe betreibe und dieses im großen Stil mache. Und diese Wertpapierleihe sei die Voraussetzung für die „Cum-Ex“-Geschäfte gewesen.

Der Politikwissenschaftler und Parteienforscher Elmar Wiesendahl sieht einen einormen Imageschaden für Merz. „Die ganze Sache lässt ihn als Mann des Finanzkapitals erscheinen, als Vertreter der gierigen Finanzindustrie, und nicht – wie es für einen CDU-Vorsitzenden wichtig wäre – als Wirtschaftsfachmann“, so Wiesendahl im „Tagesspiegel“. Er sieht Merz schwer angeschlagen.

Weitere „Leichen im Keller“?

Der Bundesparteitag der CDU ist schon in wenigen Wochen. So schnell werde er das Thema nicht los, so Wiesendahl. Er sei das Opfer von Entwicklungen, die er nicht steuern kann. Es könne zwei Jahre dauern, bis die Staatsanwaltschaft ihre Untersuchungen abgeschlossen habe, so Wiesendahl. Bis dahin stehe Merz’ Integrität in Zweifel. Da könne er sich auch nicht mit einer Ehrenerklärung aus der Affäre ziehen. So kurz vor dem Parteitag hat er aber auch einfach Pech mit dem Timing.

Gegner und Gegnerinnen von Merz fragen sich nun, ob noch weitere „Leichen“ aus Merz’ beruflichem Leben an die Oberfläche kommen, denn Merz ist Multifunktionär und gilt als Netzwerker. So führt auch den Aufsichtsrat des Unternehmens WEPA, das etwa Toilettenpapier herstellt. Außerdem leitet Merz das Kontrollgremium des Flughafens Köln-Bonn und ist Aufsichtsratsmitglied bei der Privatbank HSBC Deutschland.

Skandal auch bei HSBC

Auch die HSBC kam in Deutschland in die Schlagzeilen – ebenfalls mit „Cum-Ex“-Geschäften zulasten der Steuerbehörde. Bei diesen Geschäften ließen sich Anleger und Anlegerinnen eine einmal gezahlte Kapitalertragssteuer auf Dividendenerlöse mehrmals erstatten.

Merz sitzt zudem im Verwaltungsrat des Schweizer Zugsbauers und Siemens-Konkurrenten Stadler Rail. Seit Anfang Jänner 2018 ist Merz „Brexit“-Beauftragter der CDU-geführten Landesregierung in Nordrhein-Westfalen. Er soll außerdem die Beziehungen zum schwierigen Partner USA unter Präsident Donald Trump stärken. Seine Aufsichtsratsmandate will er dem Vernehmen nach niederlegen, sollte er im Dezember zum neuen CDU-Vorsitzenden gewählt werden.

Merz geht in die Offensive

Merz wehrte sich Ende letzter Woche auch gegen Kritik an seinen Tätigkeiten in der Finanzwirtschaft. Zugleich verurteilte er Steuertricks zulasten der Staatskasse. „Aktiengeschäfte wie ‚Cum-Ex‘ und ‚Cum-Cum‘ dienen letztlich dazu, die Steuerzahler auszunehmen“, sagte der frühere Unionsfraktionschef der „SZ“. Derartige Geschäfte seien „vollkommen unmoralisch“, unabhängig von der juristischen Bewertung. „Dieser Meinung war ich schon immer und habe dies auch immer zum Ausdruck gebracht.“

Mit 5.000 Euro pro Tag in den Schlagzeilen

Auch die geplante Privatisierung der Landesbank von Nordrhein-Westfalen, der WestLB, war vor fast einem Jahrzehnt in die Schlagzeigen gekommen. Die NRW-Landesbank war im Zuge der Finanzmarktkrise in eine Schieflage geraten, der Staat musste das Institut stützen. Geplant war der Verkauf an einen privaten Investor. Merz wurde 2010 vom staatlichen deutschen Bankenrettungsfonds (SoFFin) zum „Veräußerungsbevollmächtigten“ bestellt – er sollte die Anteile der Landesbank verkaufen, die damals beim Bund, dem Bundesland Nordrhein-Westfalen und den dortigen Sparkassen lagen. Ein Komplettverkauf des Instituts scheiterte am Ende, die Landesbank wurde zerschlagen, und der Job von Merz endete nach einem Jahr.

Die mit Merz vereinbarte Höhe des Honorars lag bei 5.000 Euro pro Kalendertag, außerdem wurden zusätzliche Kosten für weitere Berater wie etwa Investmentbanker und Unternehmensberatungen übernommen, wie aus dem Bericht des parlamentarischen Untersuchungsausschusses des NRW-Landtags zu den Vorgängen rund um die WestLB hervorgeht. Das sei „nicht gerade ein billiges Angebot“ gewesen, sagte der frühere NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans als Zeuge vor dem Ausschuss. Merz selbst sagte als Zeuge aus, das Honorar habe „Standardstundensätzen“ entsprochen.

Lobbycontrol fordert Transparenz

Die Organisation Lobbycontrol fürchtet nun Interessenkonflikte, wenn Merz zum neuen CDU-Vorsitzenden gewählt wird. Es müsse sichergestellt werden, „dass er seinen bisherigen Arbeitgebern keinen bevorzugten Zugang zur Politik bietet“. So müsse geklärt werden, bei welchen Themen er sich für Blackrock politisch eingesetzt habe.

Merz müsse sich eigentlich um Transparenz bemühen, habe das aber in der Vergangenheit vermissen lassen, kritisierte Lobbycontrol mit Blick auf die Klage des CDU-Politikers gegen die Offenlegung seiner Nebeneinkünfte in seiner Zeit als Abgeordneter. Auch die Antikorruptionsorganisation Transparency Deutschland äußerte sich angesichts der Kandidatur von Merz kritisch über dessen Tätigkeiten in der Wirtschaft.