Freiwillige Helferinnen beim Aufbau von Notbetten
APA/Erwin Scheriau
Internationales Monitoring

Zivilgesellschaft in Österreich „eingeengt“

Die Aktivitäten der Zivilgesellschaft in Österreich sind schwieriger geworden. Zu diesem Befund kommt das internationale Netzwerk Civicus. Es stufte am Dienstag das Zivilgesellschaftsrating in Österreich von bisher „offen“ auf „eingeengt“ herab. Das Netzwerk begründet das mit den Entwicklungen von einem Jahr ÖVP-FPÖ-Regierung. Einfach war der Kontakt zwischen Regierung und Zivilgesellschaft aber auch davor nicht.

„Die Qualität des Dialogs hat sich verschlechtert“, sagte Franz Neunteufl, Sprecher des Bündnisses für Gemeinnützigkeit mit derzeit 18 Verbänden und über 1.000 Mitgliederorganisationen gegenüber ORF.at. Wirklich befriedigend sei das Verhältnis der Zivilgesellschaft mit der Regierung in Österreich aber nie gewesen, so Neunteufl, im Hauptberuf Geschäftsführer der Interessenvertretung Gemeinnütziger Organisationen (IGO) und selbst Mitglied bei Civicus.

Der Raum für die Zivilgesellschaft hat sich verschlechtert, konstatierte Civicus. Ein eingeengter Status bedeute, dass Staaten ihren Bürgern und Bürgerinnen und zivilgesellschaftlichen Organisationen zwar erlaubten, ihre Rechte auf freie Vereinigung, Versammlung und Meinungsäußerung auszuüben, es zugleich aber bereits Beschränkungen gebe.

Kein „strukturierter Dialog“

Die österreichische Regierung habe sich für die Spaltung statt den Dialog entschieden, so Cathal Gilbert von Civicus. Insgesamt gibt es fünf Bewertungsstufen bei Civicus: offen, eingeengt, beschränkt, unterdrückt und geschlossen. Wie Österreich auf der zweiten Stufe sind etwa laut „Standard“ Frankreich, die USA und Argentinien.

Das Netzwerk kritisierte „verbale Attacken“ und „Übergriffe“ auch auf Medienfreiheit. Bemängelt wurde auch die bereits unter der SPÖ-ÖVP-Regierung 2017 auf den Weg gebrachte Novelle des Versammlungsrechts. Damit wurde die Anmeldefrist für Demonstrationen von 24 auf 48 Stunden verlängert und die Möglichkeit einer Schutzzone von bis zu 150 Metern bei einer Versammlung festgelegt.

Civicus

Das 1993 gegründete internationale Netzwerk mit Sitz in Johannesburg in Südafrika sieht es als seine Aufgabe, die Zivilgesellschaft weltweit zu stärken. Inzwischen hat es Mitglieder in mehr als 145 Ländern – darunter auch Österreich.

Die neue Regierung habe sich „standhaft geweigert, mit der Zivilgesellschaft in einen strukturierten Dialog zu treten“, ergänzte Civicus die Argumentation für seine Entscheidung. Als ein Beispiel für eine mangelnde Einbindung von zivilgesellschaftlichen Akteuren wurde von Civicus die Diskussion über das Standortentwicklungsgesetz genannt, das die Mitwirkung von Umwelt-NGOs einschränken soll.

„Angegriffen wie nie zuvor“

Zudem hätten sich die „abfälligen Bemerkungen“ gegenüber NGOs von Politikern gehäuft. Konkret nannte das Netzwerk Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP), der vor wenigen Wochen der Organisation Ärzte ohne Grenzen vorwarf, mit dem Schiff „Aquarius“, das Menschen aus dem Mittelmeer rettet, mit Schmugglern zu kooperieren. Die NGO wies den Vorwurf zurück. Die Präsidentin von Ärzte ohne Grenzen Österreich, Margaretha Maleh, sprach von einer zunehmenden Kriminalisierung. Man werde von Politikern „angegriffen wie nie zuvor“.

Rettungsschiff Aquarius
AP/Claude Paris
Mit seiner Aussage zu Ärzte ohne Grenzen, die das Rettungsschiff „Aquarius“ mit betreibt, sorgte Kanzler Kurz für Aufsehen

„Dialog wurde zurückgefahren“

Diskreditierende Bemerkungen gegenüber NGOs gab es in den vergangenen Monaten mehrfach. So meinte etwa der niederösterreichische Landesrat Gottfried Waldhäusl (FPÖ) in Zusammenhang mit der Rückkehrberatung von Asylwerbern vor einigen Monaten: „Der Caritas oder auch der Diakonie solche Aufgaben zu übertragen ist, wie kleine Kinder mit dem Feuer spielen zu lassen.“ Im Mai 2017 forderte Kurz, dass der „NGO-Wahnsinn“ im Mittelmeer beendet werden müsse.

Die derzeitige Regierungsarbeit finde „weitgehend unter Ausschluss der Zivilgesellschaft statt“, so Neunteufl: „Der Dialog wurde zurückgefahren. Lange gab es überhaupt keine Termine. Hohe Beamte halten sich im Kontakt zur Zivilgesellschaft mehr als früher zurück.“ Es sei besorgniserregend, dass einzelne Organisationen herausgepickt und öffentlich angepatzt würden. Neunteufl sprach von einem „Klimawandel“ im Verhältnis von Regierung und Zivilgesellschaft: „Die wichtige Rolle einer kritischen Zivilgesellschaft gilt nicht mehr als selbstverständlich.“

Kanzleramt: „Regelmäßiger Austausch“

Die NGOs wünschen sich einen Ansprechpartner in der Regierung. Dieser sei schon vom früheren Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) 2014 in Aussicht gestellt worden, wurde aber bisher nie realisiert. Neunteufl: „Einzelne Mitglieder des ÖVP-Verhandlungsteams (für die Regierungsbildung, Anm.) haben unsere Vorschläge nach der Wahl zunächst freundlich aufgenommen. Im Regierungsprogramm war davon dann aber keine Rede mehr.“ Zudem fordert er eine verpflichtende Gesetzesbegutachtung von mindestens sechs Wochen.

In einer Stellungnahme sagte das Büro von Regierungssprecher Peter Launsky-Tieffenthal, dass NGOs die Möglichkeit hätten, „sich im Rahmen der gesetzlichen Begutachtung stets mit ihren Positionen in den Gesetzgebungsprozess einzubringen“. Die Arbeit von NGOs stelle einen wichtigen zivilgesellschaftlichen Beitrag dar, so das Büro des Regierungssprechers. Ein eigener Ansprechpartner für die Zivilgesellschaft, wie er in anderen Länder bereits Usus ist, ist für Österreich offenbar nicht geplant: „Die Bundesregierung ist sowohl durch die Ressorts je nach Zuständigkeit als auch durch das Büro des Regierungssprechers im regelmäßigen Austausch mit Vertreterinnen und Vertretern diverser NGOs auf allen Ebenen.“