Leopoldtower in Wien
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Höher wohnen

Das Hochhaus als Spaltpilz in Wien

Wien und das Hochhaus – das ist eine lange und eher komplizierte Beziehung. Zahlreiche Projekte scheiterten an Widerständen oder verzögerten sich um Jahre. Doch nun gibt es einen kleinen Boom bei Wohnhochhäusern: Gleich etliche Projekte sind in Planung oder befinden sich schon im Bau. Doch damit könnte es bald wieder vorbei sein.

Die Liste der umstrittenen oder gar gescheiterten Projekte in Wien ist lang: Der geplante Leseturm im MuseumsQuartier wurde nie realisiert, lange gestritten wurde über Projekte auf den Komet-Gründen in Meidling. Zuletzt ließen das Projekt auf den Althangründen im neunten Bezirk und besonders das Heumarkt-Projekt mit dem Streit über das UNESCO-Weltkulturerbe die Wogen hochgehen.

Warum Hochhäuser in Wien einen schweren Stand haben, lässt sich zum einen mit der historischen Stadtentwicklung erklären. Mit dem frühen Gründerzeitboom bestand über Jahrzehnte schlicht kein Bedarf – und auch wenig Platz. Zum anderen müssen Hochhäuser auf sehr vielen Ebenen funktionieren: architektonisch, funktional und auch städtebaulich. Expertinnen und Experten sehen bei den meisten Projekten der Vergangenheit deutliche Schwächen auf mindestens einer Ebene.

Symbole des „bösen Bauens“?

Hochhäuser hätten „unweigerlich ikonischen Charakter“, sagt Wolfgang Amann vom Institut für Immobilien, Bauen und Wohnen gegenüber ORF.at. In Wien seien auch einige ziemlich schwache Bauten entstanden. Auch Stadtforscher Robert Temel urteilt ähnlich, auch wenn der Standpunkt oft ein ideologischer sei: Hochhäuser seien für manche „Symbole des bösen Bauens“ und ein Sinnbild der Anonymität der Großstadt.

Ein Hochhaus, das ist laut Wiener Bauordnung ein Gebäude mit einer Höhe ab 35 Metern. Davon gibt es in Wien immerhin mehr als 250. Die ersten entstanden in den 1930er Jahren mit dem Hochhaus in der Herrengasse als Aushängeschild – mehr dazu in wien.ORF.at.

Hochhaus Herrengasse
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Das Hochhaus in der Herrengasse als Vorreiter in der Stadt

Hohe Siedlungen

Viele der in den folgenden Jahrzehnten gebauten Hochhäuser – etwa jenes am Matzleinsdorfer Platz – fallen, gut ins Stadtbild integriert, heute gar nicht auf. Doch in den 60er Jahren war zunächst Schluss: „Es änderten sich die städtebaulichen Leitbilder, die Erhaltung und Weiterentwicklung gewann an Bedeutung gegenüber dem modernistischen Stadt-Neubau“, so Stadtforscher Temel gegenüber ORF.at.

Hoch gebaut wurde in den 60er, 70er und 80er Jahren vor allem in den großen Wohnhausanlagen – mit unterschiedlichem Erfolg: Wurden die Siedlungen wie am Schöpfwerk und am Rennbahnweg vor allem als problematisch wahrgenommen, gilt der Wohnpark Alterlaa mit seinem Konzept der „gestapelten Einfamilienhäusern“ von Architekt Harry Glück heute als ikonisch.

Wohnpark Alterlaa
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Alterlaa wird heute als gelungenes Beispiel gewertet

Der Traum der Metropole

Die Zeit der wirklich hohen Hochhäuser sollte in Wien nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nach 1989 folgen. Beflügelt von der Idee Wiens als Metropole und Drehscheibe zwischen West und Ost wurden die luftigen Höhen entdeckt – allerdings vor allem für Büros statusbewusster Firmen und Konzerne. Wohntürme waren eher rar gesät, und erst nach 2005 entstanden mehr und mehr Hochhäuser als Wohnraum.

Doch nun ist gleich eine Reihe an entsprechenden Projekten in Planung oder schon im Bau. Nach Protesten von um ihr Sonnenlicht fürchtenden Anrainern – ausgerechnet aus dem benachbarten Hochhaus Neue Donau – wurde über den potenziell höchsten Wohnturm Österreichs lange gestritten. Doch im April erfolgt der Baubeginn für Danube Flats an der Reichsbrücke. Rund 160 Meter hoch wird das 49-stöckige Bauwerk – mehr dazu in wien.ORF.at.

„Geschwister“ für den DC Tower

Wiens höchstes Gebäude, der DC Tower auf der Donauplatte, soll gleich zwei Geschwister bekommen, die mit 175 und 100 Metern ebenfalls imposant ausfallen – und zumindest teilweise als Wohnraum verwendet werden – sollen. In der Donaustadt erfolgte heuer im Februar der Baubeginn für das Quartier Vienna Twentytwo, bei dem neben einem 145 Meter hohen Büroturm auch ein Wohnhochhaus mit 110 Meter Höhe entsteht.

Hotspot Leopoldstadt

Um Jahre verzögert hat sich der Bau des Marina Tower im zweiten Bezirk. Nach dem Spatenstich 2015 wird nun gebaut. 640 Wohnungen entstehen in dem rund 130 Meter hohen Turm – mehr dazu in wien.ORF.at. Gleich sechs Hochhäuser sind nach derzeitigem Stand im Nordbahnviertel, also auf dem Gelände des ehemaligen Nordbahnhofs, geplant. Ursprünglich waren acht Türme vorgesehen. Das höchste Gebäude soll 95 Meter erreichen, die weiteren rangieren zwischen 60 und 80 Metern. Zwei weitere Hochhäuser sollen in der Leopoldstadt, im Viertel Zwei bei der Trabrennbahn Krieau, entstehen. Ein 90 Meter hoher Turm ist als Hochhaus geplant, einer mit 120 Metern als Bürokomplex. Die Fertigstellung soll 2023 erfolgen.

Zwei mal drei in Erdberg

Gleich zwei spektakuläre Projekte entstehen in Landstraße. Am Donaukanal wird bereits am Projekt Triiiple gebaut: drei Wohntürme mit einer Höhe von jeweils über 100 Metern. Nur ein paar hundert Meter entfernt entsteht in Erdberg nahe der Autobahnausfahrt St. Marx ein Ensemble aus drei Türmen mit einer Höhe zwischen 100 und 125 Metern.

Die Nachfrage nach Wohnen im Turm gibt es jedenfalls, heißt es aus der Immobilienbranche. „Die ersten Wiener Hochhäuser waren wie Pilotprojekte, bei welchen alle neue Erfahrungen gesammelt haben“, sagt Helga Mayer vom Österreichischen Siedlungswerk gegenüber ORF.at. Hier seien viel Aufklärungsarbeit geleistet und Potenziale aufgezeigt worden, die anfängliche Skepsis sei gewichen.

Grundstückspreise als Auslöser

Auch Sandra Bauernfeind von EHL-Immobilien, die unter anderen die Wohnungen im Projekt Triiiple vermarktet, berichtet von einer starken Nachfrage. Die „fantastischen Ausblicke“ und das „ganz besondere Flair“ würden die Wohnform beliebter machen. Wien könne damit auch als moderne Metropole im internationalen Vergleich punkten. Angesprochen fühlten sich – neben einem internationalen Publikum – vor allem junge, urbane Menschen, wenngleich nicht unbedingt junge Familien, so Bauernfeind zu ORF.at. Beide Maklerinnen verweisen auf die Baugrundknappheit und die stark gestiegenen Grundstückspreise, die Projektentwickler eher in die Höhe bauen lassen, um dem steigenden Wohnbedarf zu begegnen.

Kritik am „Investorenstädtebau“

Stadtforscher Temel sieht das nur bedingt so: Die hohen Bodenpreise seien sicher für Immobilienentwickler im Einzelfall ein Argument für hohe Gebäude, aus stadtplanerischer Sicht sei das aber nicht die richtige Antwort. Auch eine Verdichtung des Wohnraums werde damit kaum erreicht, meint Temel und verweist darauf, dass bei den Auflagen die Lichtverhältnisse der umliegenden Wohnhäuser eine große Rolle spielen. Kurz gesagt: Was an Wohndichte durch ein Hochhaus erreicht wird, muss in der unmittelbaren Umgebung durch Freiflächen wettgemacht werden.

Monte Laa Hochhäuser
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Hoch 33 und MySky in Wien-Favoriten

Der meistdiskutierte Punkt in Sachen Hochhäuser ist ihre städtebauliche Rolle. Kritiker sprechen von „Investorenstädtebau“, bei dem die kommerziellen Interessen der Bauträger im Vordergrund stehen. Dieser richte sich an ein Publikum, das Wohnen vor allem als Wertanlage sehe. Und beim Bau selbst werde eben zu wenig auf Infrastruktur wie Verkehrsanbindung und funktionale Freiflächen geachtet.

Eine Frage der Nutzung

Stadtforscher Temel sieht bei vielen Projekten vor allem funktionale Schwächen: Die meisten würden „extrem monofunktional“ genutzt, also nur für Wohnen oder für Büros. Eine Mischnutzung wird von allen Experten gefordert – dem stehen aber oft die Wünsche der Bewohner gegenüber: Eine Öffnung des Hauses für „Hausfremde“ wird häufig als Unsicherheitsfaktor erlebt.

Zumindest wird bei neueren Projekten auf unterschiedliche Wohnformen gesetzt: Beliebt ist es, einige Stöcke als Studentenwohnungen zu nutzen, wie es etwa in einem der Triiiple-Türme geplant ist. Ebenfalls beliebt sind „Serviced Apartments“, als voll eingerichtete Wohnungen als Alternative zum Hotel, die vor allem Geschäftsleute ansprechen sollen. Mayer vom OESW sagt gegenüber ORF.at, der Nutzungsmix habe sich etwa beim Leopoldtower und beim Projekt Haus Hoch 33 in Favoriten bewährt.

Hochhaus Citygate in Wien
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Citygate und Leopoldtower prägen Floridsdorf

Auf die Infrastruktur kommt es an

Experten sehen die Infrastruktur als entscheidenden Faktor für den Erfolg von Hochhausprojekten: Nur mit einer guten Anbindung an den öffentlichen Verkehr seien Hochhäuser argumentierbar, meint Temel. EHL-Maklerin Bauernfeind verweist auf die Gestaltung der Erdgeschoßzone, dort müsse die Nahversorgung, aber auch die soziale Infrastruktur wie Kindergärten und Ärzte gegeben sein. Die Expertin glaubt, dass solche Projekte ihren Teil zur Lageentwicklung beitragen und für eine Belebung des Standorts sorgen. Ähnlich argumentiert auch Maklerin Mayer am Beispiel Leopoldtower, wo ein ganzes Grätzl geschaffen worden sei, „das die gesamte Gegend aufwertet“.

Hochhauskonzept als Antwort der Stadt Wien

Auch in Reaktion auf die Hochhausdebatten hat die Stadt Wien in ihrem 2014 beschlossenen Hochhauskonzept die Auflagen verschärft. Ein Architekturwettbewerb wurde vorgeschrieben, in Sachen Sicherheit herrschen strenge Auflagen. Zudem wurde die Stadt in sechs Zonen geteilt, für die jeweils Empfehlungen für die Hochhauserrichtung formuliert wurden. Besonders behutsam ist man dabei im Bereich der „konsolidierten Stadt“, die im Wesentlichen die Bezirke innerhalb des Gürtels und ihre städtebaulichen Ausläufer mit Gründerzeithäusern umfasst. Von „Respekt und Zurückhaltung gegenüber der Qualität des Bisherigen“ ist die Rede.

Wohnhaus Kundratstraße K6
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Das rund 67 Meter hohe, ellipsenförmige Hochhaus K6 in der Kundratstraße wird von Expertinnen und Experten regelmäßig gelobt

Häuser sollen „Stadt etwas geben“

Thomas Madreiter, Planungsdirektor der Stadt Wien, sagt dazu gegenüber ORF.at, dass es eben oft nicht sinnvoll sei, in einer kompakten Stadtstruktur Hochhäuser zu erbauen. Mit dem Konzept der Stadt sei der Rahmen „sehr, sehr eng“ formuliert worden. Penible Kriterien und besondere Qualitätsmerkmale müssten erfüllt werden.

Die Gebäude dürften sich nicht einfach in der Stadt „visuell breitmachen“, sie müssten auch der Stadt etwas „geben“. Städtebaulich würden sie besondere Orte markieren, architektonisch müssten sie eine besondere Qualität aufweisen, und sie sollten öffentlichen Raum zurückgewinnen, wo es diesen vorher nicht gab. Die Allgemeinheit – entweder durch die Gestaltung oder durch die Nutzung – solle auch partizipieren können. Madreiter verweist als Beispiel auf den als Hotel genutzten Design Tower von Jean Nouvel in der Praterstraße.

Generell sei die Haltung der Stadt zu Hochhäusern pragmatisch und differenziert: Es gebe zweifellos mehr Nachfrage nach Wohnungen in Hochhäusern, dem trage die Stadt Rechnung. Allerdings werde es sicher keine Massen an Hochhäusern in Wien geben, das sei auch nicht das Ziel der Stadt. Dafür sorgten die hohen Auflagen.

Zufriedene Bewohner

Wenig zu Wort kamen bisher all jene, die dann tatsächlich in den Hochhäusern wohnen: Die erste große Studie dazu wurde erst 2014 von Christoph Reinprecht und Cornelia Dlabaja vom Institut für Soziologie der Uni Wien veröffentlicht. Darin wurde eine hohe Wohnzufriedenheit festgestellt – und das quer durch sehr unterschiedliche Wohnhausanlagen. In der Studie heißt es, dass sich die Bewohner vor allem durch einen individualisierten Lebens- und Wohnstil beschreiben lassen.

Gerade im höherpreisigen Segment würden Hochhäuser das „stärker individualisierte und anonymisierte, privatisierte ‚Zellenwohnen‘ mit maximal reduzierter Wahrscheinlichkeit nicht geplanter Begegnungen“ fördern, sagt Reinprecht gegenüber ORF.at. Gemeinschaftsräume – abgesehen vom Pool auf dem Dach – würden in den meisten Fällen kaum frequentiert. Aussicht und Prestige wurden in Befragungen als Vorteile der Wohnform genannt, als Nachteil war bauliche Sicherheit ein zentrales Thema – und damit verbunden zum Teil hohe Betriebskosten. Notwendig sei eine professionelle Hausbetreuung. Auch die Beeinträchtigung durch Außeneinflüsse wie Wind, Hitze und Lärm sei ein sensibles Thema.

Hochhaus Monte Verde in Wien
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Monte Verde ist Teil des Hochhausensembles auf dem Wienerberg

„Viertel ohne Wiedererkennungswert“

In der Studie wird aber auch auf den anderen zentralen Punkt verwiesen: die stadträumliche Einbettung. Der öffentliche Raum um die Hochhäuser sei oft von „versiegelten Flächen ohne Aufenthaltsqualität“ gekennzeichnet. Es handle sich oftmals um „Viertel ohne Wiedererkennungswert“. Genau diese Punkte seien auch bei neueren Projekten häufig nicht optimal: Bei Quartiereinbettung, Freiraumgestaltung, Kostentransparenz und partizipatorischen Aspekten sei er weiter sehr skeptisch, so Reinprecht.

Neue Flächenwidmung als Einschnitt

Im Herbst sorgte die neue Flächenwidmungskategorie „geförderter Wohnbau“ für hitzige Debatten. Bei allen größeren Wohnprojekten auf entsprechend gewidmeten Flächen müssen zu zwei Dritteln „leistbare“ Wohnungen errichtet werden – mit Obergrenzen sowohl bei den Grundkosten als auch bei den Mietpreisen. Dass die neue Flächenwidmungskategorie auch für Hochhäuser gelten soll, bestätigt Planungsdirektor Madreiter gegenüber ORF.at. Welche Folgen das im Einzelfall haben kann, lässt er offen: Wenn Projekte die Auflagen erfüllen können, dann stehe auch neuen Hochhäusern – neben den sonstigen Vorgaben – nichts im Wege.

Bau nicht mehr rentabel?

Aus der Wiener Opposition und auch aus der Baubranche kam laute Kritik an der neuen Flächenwidmungskategorie. Auch EHL-Maklerin Bauernfeind sieht „Schnellschüsse“ der Stadt Wien. Die ersten entsprechenden Projekte würden wohl in der Konzeptionsphase bei der Kostenerstellung zum Rechenbeispiel werden: Wenn es sich finanziell für Bauträger nicht ausgeht, würden die Projekte einfach nicht umgesetzt.

Madreiter deutet aber einen Ausweg an: Der Anteil der geförderten Wohnungen müsse nicht nur im Hochhaus selbst entstehen, denkbar sei auch, dass diese im selben „Quartier“ gebaut werden. Aber natürlich könnte die neue Regelung auch zur Folge haben, dass eben Hochhausprojekte nicht realisiert werden.