ICE-Zug am Berliner Hauptbahnhof
APA/AFP/John Macdougall
Bericht über Deutsche Bahn

Nur jeder fünfte ICE „voll funktionsfähig“

Beschwerden über die Deutsche Bahn (DB) häufen sich nicht nur im österreichischen Nachbarland. Interne Dokumente, die dem ARD-Magazin „Kontraste“ zugespielt wurden, sollen nun beweisen, dass es tatsächlich enorme Mängel bei dem deutschen Verkehrsunternehmen gibt. So soll nur jeder fünfte Intercity-Express (ICE) „voll funktionsfähig“ sein. Das sorge für Verspätungen – und Unmut bei Bahnreisenden.

Diese frappierende Zahl finde sich in internen Dokumenten des Aufsichtsrats der DB-Tochter Fernverkehr von Juni, so die ARD. In aktuellen Unterlagen für die Sondersitzung am Donnerstag heiße es zwar, die DB habe seit 2016 eine Steigerung der Reparaturen um 45 Prozent abgearbeitet, jedoch werde der Erfolg „überkompensiert“.

Das bedeute, dass „der Schadenseingang im gleichen Zeitraum anstieg“ – also mehr schadhafte ICE-Züge in den Werkstätten eingetroffen sein sollen, als Schäden ausgemerzt werden konnten. Die Quote jener Züge, die die Werkstatt sogar wieder mit Schäden verlassen würden, liegt laut ARD gar bei 17 Prozent.

Teufelskreis der Verspätungen

Grund sei, dass zu wenig Zeit bleibe, die Züge zu reparieren. Sie kämen bereits verspätet im Instandhaltewerk an – ein Teufelskreis von Verspätungen also. Abgearbeitet würden dann nur jene Schäden, die die Sicherheit gefährden würden. Für die Reparatur „kleinerer“ Schäden wie etwa kaputte Toiletten, Innentüren und Klimaanlagen sei einfach keine Zeit bzw. nicht genügend Personal vorhanden, so „Kontraste“. Und wenn die Züge dann auch die Werkstatt mit Verspätung verlassen, käme es in Folge zu immer größeren Verzögerungen, die auch Passagierinnen und Passagiere zu spüren bekommen.

Anzeigetafel am Berliner Hauptbahnhof
Reuters/Fabrizio Bensch
Gerade bei ICE-Zügen kommt es bei der DB täglich zu Verspätungen

Personalmangel gebe es überdies im „betriebskritischen Bereich“, der direkt für den Zugsverkehr zuständig ist. Dort fehlten 5.800 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, zitierte „Kontraste“ weiter aus den internen Dokumenten. Es fehle dem Konzern etwa an Lokführern und -führerinnen wie auch IT-Spezialisten und -Spezialistinnen. Während manche Bahnreisende die Mängel mit Humor nehmen, ärgern sich insbesondere Pendlerinnen und Pendler über die ständigen Verspätungen. Der Vorsitzende der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer, Claus Weselsky, reagierte gegenüber „Kontraste“ mit scharfer Kritik: Das Eisenbahnsystem drohe zu „kollabieren“, wenn es über Jahre mit Sparprogrammen überzogen werde.

Zielsetzung „Pünktlichkeit“ offenbar vertagt

Insbesondere die „umgekehrte Wagenreihung“, von der Zugreisende in Deutschland ein Lied singen können, sorge regelmäßig für chaotische Szenen auf den Bahnsteigen. Zugbegleiter erklären gegenüber der ARD das Problem: Die Nachtbereitschaftsdiensthabenden seien nicht ausreichend besetzt. Es finde sich also kein Lokführer, der in der Nacht mit dem Zug die nötige „Drehfahrt“ mache, damit der ICE in der Früh in der richtigen Reihenfolge einfahre. Die DB hatte eigentlich ein „Pünktlichkeitsziel“ von 82 Prozent aller Fahrten formuliert. Dieses hätte 2018 erreicht werden sollen, was nun laut ARD auf 2025 verschoben wurde. Aktuell liege die Quote bei 73 Prozent.

Auch beim Netz der Bahn, berichtete „Kontraste“, gebe es einen „hohen Investitionsrückstau und Modernisierungsbedarf“. Das Netz sei an der Auslastungsgrenze. Der Investitionsrückstau belaufe sich auf 32 Milliarden Euro. Das sei auch eine Folge davon, dass der Bund erst vor zwei Jahren die Mittel für den Erhalt des Netzes aufgestockt habe.

Betriebsrat fordert Ende des Ausgabenstopps

Der „Spiegel“ (Onlineausgabe) hatte vergangene Woche berichtet, der Vorstand der Bahn verlange bis zu sieben Milliarden Euro pro Jahr vom Eigentümer Bund für den Unterhalt von Zügen und Gleisen. Das Magazin zitierte ebenfalls aus einer Vorlage für die Aufsichtsratssitzung am Donnerstag. Der Vorstand wolle 200 neue Züge kaufen und neues Personal in den Wartungswerken einstellen. Derzeit wird die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung für die Jahre 2020 bis 2025 zwischen Bahn und Bundesregierung ausgehandelt.

Der Konzernbetriebsrat forderte ein Ende des im September verhängten Ausgabenstopps – und zwar zum 31. Dezember. Der Tritt auf die Kostenbremse habe den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht die dringend notwendige Entlastung gebracht. „Im Gegenteil, er hat die Beschäftigten noch einmal unter zusätzlichen Druck gesetzt“, hieß es vom Betriebsrat der DB. Die Effekte, die der Ausgabenstopp erzielt hat, seien vergleichsweise gering.

Bahn will Störungen in Zügen schneller beheben

Die DB reagierte auf den Bericht und will die Wartung und Instandhaltung ihrer Züge möglichst schnell verbessern. Dem Aufsichtsrat des Konzerns seien dazu „detaillierte und umfassende Vorschläge vorgelegt“ worden, teilte ein Sprecher am Donnerstag auf Anfrage mit. Die internen Unterlagen wolle man „grundsätzlich nicht“ kommentieren, sagte der Sprecher.

Er fügte hinzu, ein Zug gehe schon dann als „nicht fehlerfrei“ in die Statistik ein, wenn eine Wagentür defekt sei oder eine Kaffeemaschine nicht funktioniere. Klar sei aber auch: „Mit dem aktuellen Stand der Fehlerbeseitigung in unserer Zugsflotte sind wir selbst nicht zufrieden.“ Deshalb wolle man „kurzfristig zusätzliche Ressourcen für die Wartung und Instandhaltung der Züge aufbauen.“