Frau mit blauen Flecken auf den Oberschenkeln
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Gewalt gegen Frauen

Der blinde Fleck in der Gesellschaft

Anlässlich des Internationalen Tages gegen Gewalt gegen Frauen muss man nach wie vor auf erschreckende Zahlen blicken. Im vergangenen Jahr wurden in Österreich 36 Mädchen oder Frauen ermordet – Österreich rangiert damit mit an der Europaspitze. Zudem ist eine von fünf Frauen sexueller und/oder körperlicher Gewalt ausgesetzt. Trotzdem wird das Thema weiter bagatellisiert.

Es sind Zahlen, die nicht nur bei Opferschutzorganisationen die Alarmglocken schrillen lassen. Auffällig ist der Anstieg, vor allem bei Morddelikten: 2010 gab es im Vergleich 22 Morde, in den Tiefstandsjahren 2014 und 2015 17 Morde. Was an Österreich ebenfalls auffällt: Hierzulande werden im EU-Vergleich wesentlich mehr Frauen und Mädchen als Männer und Buben ermordet, wie im Magazin Kripo.at der Vereinigung Kriminaldienst auf Basis der Eurostat-Zahlen und der Kriminalstatistik von 2015 analysiert wird. Der Trend hält sich auch im Jahresvergleich, so das Magazin.

Neben dem starken Anstieg der Mordzahlen zeigt die kürzlich veröffentlichte Kriminalitätsstatistik des Bundeskriminalamts auch eine Zunahme bei Vergewaltigungs- und Missbrauchsdelikten. Sichtbar wird auch, dass Gewalt gegen Frauen und Mädchen vor allem in Partnerschaft und Familie stattfindet: Zwei Drittel der rund 42.000 Anzeigen wegen Tötung, sexuellen Übergriffen und Körperverletzung standen im Zusammenhang mit Beziehungen. Diese Tendenz zeigt sich auch eindeutig bei Morddelikten.

Abgetan als „Beziehungsdrama“

Nach Schätzung der Polizei werden bis zu 90 Prozent aller Gewalttaten in der Familie und dem nahen sozialen Umfeld ausgeübt. Betroffen sind alle Altersgruppen und Bevölkerungsschichten. Das zeigt sich auch bei der Nationalität, wie eine Auswertung der Morddelikte des vergangenen Jahres durch das Bundeskriminalamt zeigt: 28 der 36 Opfer im Jahr 2017 waren Österreicherinnen, vier EU-Bürgerinnen und vier Bürgerinnen aus Drittstaaten. Bei den Mordverdächtigen verhält sich die Verteilung ähnlich – 76 waren aus Österreich, sieben aus EU-Staaten und vier aus Drittstaaten, wobei sich letztere Zahlen auf alle Morde beziehen.

Hilfe für Betroffene

Beim Themenkomplex Gewalt in Familie und Partnerschaft muss man laut Opferschutzorganisationen von einer hohen Dunkelziffer ausgehen: Nach wie vor ist Gewalt in der Partnerschaft und der Familie vielfach ein Tabuthema, im öffentlichen Diskurs werden Morde im Paarbereich oftmals als privat zu betrachtende „Beziehungstat" oder gar "-drama“ abgetan. Viele Frauen haben nach wie vor eine enorm hohe Hemmschwelle, sich Hilfe zu suchen oder verspüren falsche Scham über ihre Situation.

Auch in Fachkreisen herrscht nach wie vor der Eindruck, dass die Problematik bagatellisiert wird. „Leider wird insbesondere Gewalt in der Familie oft als Familienstreit verharmlost“, kritisierte etwa Rosa Logar vom Verein Wiener Interventionsstelle gegen familiäre Gewalt im Ö1-Mittagsjournal bei der Veröffentlichung der Zahlen. Sie fordert nicht nur bessere Prävention und Aufklärung, sondern auch konkrete Maßnahmen in gefährlichen Situationen – denn diese könnten Leben retten.

Verhängung von U-Haft als Knackpunkt

Die Behörden seien dazu verpflichtet, potenzielle Opfer bei Anzeichen von Gewalt aktiv zu schützen, so Logar. Und diese gebe es vor einer Eskalation nahezu immer – oft kündigen sich die Gewalttaten über Jahre hinweg an, in Form von Misshandlungen, Drohungen und psychischer oder physischer Gewalt. „Wenn bestimmte Symptome oder Dinge vorliegen, die auf eine erhöhte Gefährlichkeit hinweisen, müssen die Fachleute rasch reagieren“, so Logar. Sie fordert, dass bei eindeutigen Warnsignalen öfter U-Haft verhängt wird. Das könne Taten tatsächlich verhindern – im Gegensatz zu Wegweisungen und Anzeigen auf freiem Fuß, bei denen die Möglichkeit besteht, Tatpläne trotzdem durchzusetzen – Audio dazu in oe1.ORF.at.

Karoline Edtstadler (ÖVP), Staatssekretärin im Innenministerium, bejahte, dass es Fälle gebe, in denen eine Wegweisung nicht ausreiche. Für eine etwaige U-Haft sei aber wesentlich, dass die Strafverfolgungsbehörden alle Informationen vor Augen habe. Und man müsse dem Täter auch klar machen, dass er alleine Schuld an der Situation hat, und nicht etwa das Opfer. Sie verwies auf die Taskforce Strafrecht, die an strengeren Strafen und an der Opferstärkung arbeite. Es ginge auch darum, „die Täter-Opfer-Umkehr aus der Gesellschaft zu bringen“, sagte Edtstadler. „Das Opfer muss so selbstbewusst sein, dass es sich auch wehrt“, so die Staatssekretärin weiter.

Kritik an Budgetkürzungen

Doch die jüngsten Budgetkürzungen für Frauenvereine und Familienberatungsstellen sorgen in diesem Zusammenhang für Kritik, unter anderem bei SPÖ-Frauensprecherin Gabriele Heinisch-Hosek. Der Budgetplan für 2019 sieht 230.000 Euro weniger vor. Frauenministerin Juliane-Bogner-Strauß (ÖVP) begründete die Kürzung zwar mit einer „Umschichtung“ zur Gewaltprävention. Doch die Gewaltschutzzentren wiesen das zurück und sprachen von „Inflationsabgeltung“ – Gewaltschutz solle zudem nicht in Konkurrenz zu Gleichstellungsposition stehen.

„Die Frauenministerin hat die drastischen Kürzungen bei den Frauenorganisationen damit gerechtfertigt, den Fokus auf den Gewaltschutz legen zu wollen. Davon ist bisher nichts zu sehen“, so Klaudia Frieben, Vorsitzende des Österreichischen Frauenrings. Zudem wurden die Fallkonferenzen abgeschafft, bei denen bisher einmal im Monat Hochrisikofälle zwischen Polizei und Interventionsstellen besprochen worden sind. Die Polizei sprach davon, dass der Mehrwert im Vergleich zu anderen Projekten nicht erkennbar sei.

Neues Frauenhaus für Wien

Ausgebaut wird hingegen in Wien, und zwar in Form eines fünften Frauenhauses. Die Einrichtungen dienen nach wie vor als eines der wichtigsten Auffangnetze für Opfer: In 26 Frauenhäusern wurden im vergangenen Jahr insgesamt 3.341 Personen betreut, davon waren 1.634 Frauen und 1.707 Kinder. Allein in Wien waren es 624 Frauen und 640 Kinder. Aufgrund des starken Bevölkerungswachstums, eines gestiegenen Bewusstseins unter anderem auch bei Migrantinnen, aber auch der alarmierenden Zahlen wurde für Wien der Bau eines fünften Frauenhauses angekündigt. Dieses soll 50 zusätzliche Plätze bieten. Der Baubeginn wird 2020 erfolgen, die Eröffnung ist für 2022 vorgesehen – mehr dazu in wien.ORF.at.

Allerdings gibt es laut Volksanwältin Getrude Brinek erhebliche Wissenslücken betreffend der Hilfsangebote. Nur jede fünfte Frau wisse, an welche Einrichtungen sie sich im Fall einer Gewalttat wenden könne, kritisierte Brinek. Aus diesem Grund seien Bewusstseins- und dringend Aufklärungskampagnen notwendig.