Britische Premierministerin Theresa May
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Trotz Pakts mit Brüssel

„Brexit“-Widerstand in Madrid und London

Am Donnerstag ist zwischen Großbritannien und der EU eine Erklärung zu den künftigen Beziehungen zustande gekommen – ein letzter Baustein des „Brexit“-Vertragspakts. Der britischen Premierministerin Theresa May stehen aber weiterhin hohe Hürden im Weg. Spanien etwa will dem Deal ohne Klärung der Gibraltar-Frage nicht zustimmen. Und auch in London stieß sie erneut auf scharfe Kritik.

Für die europäische Seite ist Sonntag der Stichtag: Dann soll am Sondergipfel der „Brexit“-Deal mit Großbritannien unterschriftsreif sein. Ein 585 Seiten langes Grundsatzabkommen kam bereits vorige Woche zustande, am Donnerstag einigten sich die Unterhändler zudem auf eine Erklärung über die künftigen Beziehungen. Angestrebt wird darin eine „ehrgeizige“ und „tiefe“ wirtschaftliche und politische Partnerschaft.

Laut diesem Entwurf soll die Übergangsperiode um ein bis zwei Jahre verlängert werden können. Während dieser Zeit solle London ins EU-Budget einzahlen, heißt es. Die Übergangsphase soll dazu dienen, die künftigen Beziehungen der Europäischen Union und Großbritanniens nach dem „Brexit“ in Ruhe auszuhandeln und vertraglich zu regeln.

Streit um Fischereirechte ungelöst

Außerdem verpflichten sich beide Seiten in der Erklärung darauf, ein „ambitioniertes Zollabkommen“ umzusetzen. So sei die „Schaffung eines Freihandelsgebiets“ ohne Zölle, Abgaben und mengenmäßige Beschränkungen das Ziel. Die Klärung der Fischereirechte blieb vorerst offen, ebenso wie die Frage, ob britische Finanzdienstleistungen weiterhin im Rest der EU anerkannt werden. Von der künftigen Regelung der Wirtschaftsbeziehungen ist auch abhängig, ob eine dauerhafte Lösung für die Nordirland-Frage gefunden werden kann.

Eine ebenfalls noch offene Frage ist der Konflikt zwischen Spanien und Großbritannien um die Halbinsel Gibraltar. Diese gehört seit 1713 zu Großbritannien, wird aber von Spanien regelmäßig zurückgefordert. Nun will Madrid Diplomaten zufolge gegen den Entwurf des „Brexit“-Abkommens stimmen. Auch der am Donnerstag geschlossene „Zukunftspakt“ wird abgelehnt. Die Regelungen zum Umgang mit Gibraltar müssten gesondert zwischen Spanien und Großbritannien ausgehandelt werden, sagten spanische Diplomaten am Donnerstag.

Spaniens Regierungschef Pedro Sanchez machte am späten Abend seinen Standpunkt deutlich. „Unsere Positionen liegen weiterhin weit auseinander“, richtete Sanchez der britischen Premierministerin May via Kurznachrichtendienst Twitter aus. „Meine Regierung wird immer die Interessen Spaniens verteidigen. Wenn es keine Änderungen gibt, werden wir ein Veto gegen den Brexit einlegen.“

Endspurt in Brüssel

Spanien fordert bei Gibraltar die Festschreibung eines Vetorechts bei allen künftigen Entscheidungen zu dem Gebiet, auf das es Anspruch erhebt. London bekräftigt seinerseits weiterhin den britischen Anspruch auf das Territorium. Laut EU-Kommission könnte es noch zu einem trilateralen Treffen zwischen May, dem spanischen Premier und EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker kommen.

Dieses müsste noch vor dem Sondergipfel am Sonntag zu einer Lösung führen, denn dort sollen die Staats- und Regierungsspitzen der EU sowohl dem Austrittsvertrag als auch der Erklärung zu den künftigen Beziehungen ihren Segen geben. May plant für Samstag dafür noch eine letzte Verhandlungsrunde in Brüssel.

Eine Karte zeigt Gibraltar
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Corbyn ärgert sich über „Geschwafel“

Am Donnerstag trat May ungeachtet des Gibraltar-Streits vor das Londoner Unterhaus und warb für ihre Verhandlungsergebnisse. Ihre Regierung habe in Brüssel die „bestmögliche Vereinbarung“ ausgehandelt, so May. „Alle unsere Anstrengungen müssen nun darauf gerichtet sein, diesen Prozess in Zusammenarbeit mit unseren europäischen Partnern zu einem endgültigen Abschluss zu bringen“. Es sei der richtige Deal für Großbritannien. „Der Text, auf den wir uns nun geeinigt haben, würde eine neue Freihandelszone schaffen mit der EU – ohne Zölle, Abgaben, Gebühren oder mengenmäßige Beschränkungen.“

Cornelia Primosch (ORF) über den „Brexit“-Streit mit Spanien

Spanien droht in der Gibraltar-Frage mit einem Veto zum „Brexit“-Deal. Was das bedeutet, erläutert ORF-Korrespondentin Cornelia Primosch.

Doch im Parlament erntete sie am Donnerstag viel Kritik. Für den Chef der oppositionellen Labour-Partei, Jeremy Corbyn, ist die Erklärung über die künftigen Beziehungen ein Zeugnis des Versagens der Regierung. Es handle sich um „seitenweise Geschwafel“. Er kündigte an, seine Fraktion werde das Abkommen nicht unterstützen. Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon twitterte: „Jede Menge Einhörner, die an die Stelle von Fakten über die künftigen Beziehungen treten.“ Mit Einhörnern meinte sie unrealistische Ziele.

Im Parlament, das Anfang Dezember über den Austrittsvertrag abstimmen soll, scheint eine Mehrheit nicht in Sicht. Denn erheblichen Widerstand gibt es sowohl in Mays konservativer Partei als auch bei ihrem Partner im Parlament, der nordirischen DUP. Mays Torys verfügen seit den Wahlen im Vorjahr über keine eigene absolute Mehrheit mehr und stützen sich bei wichtigen Abstimmungen auf die DUP. Letztlich steht damit Mays Schicksal als Premierministerin auf dem Spiel.

Kurz optimistisch in London

Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) räumte am Donnerstag ein, dass der Ausgang der Abstimmung im britischen Parlament „noch vollkommen offen“ sei. Kurz war als derzeitiger Ratsvorsitzender nach London gereist, um May „den Rücken zu stärken“ und sich ein „realistisches Bild“ von den Chancen zur Annahme des Austrittsvertrags durch das Unterhaus in London zu machen.

Großbritanniens Premierministerin Theresa May und österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz in London
AP/Kirsty Wigglesworth
Ratsvorsitzender Kurz traf am Donnerstag auf Premierministerin May

Dennoch zeigte sich Kurz nach dem Treffen mit May „sehr optimistisch“, auch hinsichtlich einer Lösung in der Gibraltar-Frage. Es gebe „gute Gesprächskanäle in dieser Frage, und insofern hoffe ich sehr, dass es gelingt, bis Sonntag auch diese Frage noch auszuräumen“. Bei allem Verständnis für die Interessen einzelner EU-Mitgliedstaaten sei es „schon wichtig, festzuhalten, dass wir am Ende des Tages als Europäische Union geschlossen agieren müssen, und ich hoffe sehr, dass das auch gelingt, bin da aber sehr optimistisch“, fügte Kurz hinzu.