Spanischer Premier Pedro Sanchez
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Gibraltar-Frage gelöst

Weg frei für „Brexit“-Sondergipfel

In Brüssel wird am Sonntag wie geplant im Rahmen eines Sondergipfels der zwischen der EU und Großbritannien ausverhandelte Scheidungsvertrag offiziell abgesegnet. Das Treffen der Staats- und Regierungschefs stand am Samstag noch auf der Kippe. Hintergrund war noch offene Fragen rund um die britische Exklave Gibraltar – Spaniens Vetodrohung ist aber wieder vom Tisch.

Wie der spanische Premier Pedro Sanchez am Samstagnachmittag in Madrid mitteilte, habe Spanien seine Bedenken gegen den „Brexit“-Vertrag fallen gelassen. Vorangegangen war eine Einigung zwischen Spanien, der EU und Großbritannien über das Verfahren für künftige Verhandlungen über Gibraltar.

„Europa und das Vereinigte Königreich haben die Forderungen Spaniens akzeptiert. Infolgedessen hebt Spanien sein Veto auf und wird morgen für den ‚Brexit‘ stimmen“, wie Sanchez dazu sagte. Für die Lösung der Gibraltar-Frage war – im Gegensatz zur eigentlichen Forderung Spaniens – nun doch keine Änderung des „Brexit“-Vertrages notwendig.

„Konstruktive“ Gespräche

Nach Angaben von Diplomaten in Brüssel bekommt Spanien nun aber eine Reihe von Zusicherungen sowohl der übrigen EU-Länder als auch der EU-Spitzen und der britischen Regierung, dass Spanien künftige Vereinbarungen mit Blick auf Gibraltar im Voraus prüfen und billigen darf.

Ein britischer Regierungssprecher sicherte derweil zu, auch nach dem „Brexit“ Spanien in Entscheidungen über Gibraltar einzubinden. Die britische Regierung habe mit Madrid „konstruktive“ Gespräche über bestimmte Aspekte geführt, die Gibraltar betreffen, sagte der Sprecher. In der Zukunft wolle London „dieselbe Herangehensweise“ verfolgen.

Letzter großer Stolperstein

Das Gebiet am Südzipfel der Iberischen Halbinsel steht seit 1713 unter britischer Souveränität, wird aber von Spanien beansprucht. Wirtschaftlich ist Gibraltar eng mit Südspanien vernetzt. Tausende spanische Pendler arbeiten dort. Die Bevölkerung Gibraltars sprach sich beim „Brexit“-Referendum am 23. Juni 2016 mit einer deutlichen Mehrheit gegen einen Austritt des Vereinten Königreiches aus der Europäischen Gemeinschaft aus.

Karte zeigt Gibraltar
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Sanchez hatte zuletzt mehrfach mit einem Veto gegen das „Brexit“-Vertragspaket gedroht und pochte auf eine Klarstellung, wonach es vor jeder Vereinbarung, die Gibraltar betrifft, zuerst eine Einigung zwischen Madrid und London geben muss. Die Gibraltar-Frage war nach Angaben von Diplomaten der letzte große Stolperstein vor der Zustimmung der EU-Staats- und Regierungschefs zu dem zwischen Brüssel und London ausverhandelten „Brexit“-Scheidungsvertrag sowie der politischen Erklärung zu den künftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU.

Der „Brexit“-Vertrag enthält zwar ein Protokoll zu Gibraltar, in dem der Umgang mit Pendlern, Steuerfragen und Fischereirechten geregelt wird. Madrid stieß sich aber an Artikel 184 des Austrittsvertrags, in dem die Verhandlungen über die künftigen Beziehungen Großbritanniens mit der EU angesprochen werden, ohne Gibraltar zu erwähnen.

Tusk verschickt offizielle Einladung

Unmittelbar nach Bekanntwerden der Einigung mit Madrid veröffentlichte EU-Ratspräsident Donald Tusk die offizielle Gipfeleinladung und kündigte an, er werde die Annahme des Vertragspakets zum geplanten EU-Austritt Großbritanniens 2019 empfehlen. Neben Tusk war zuvor auch EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker intensiv in die Verhandlungen mit Madrid eingebunden.

Kurz erleichtert

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zeigte sich nach der Einigung im Gibraltar-Streit und damit der planmäßigen Abhaltung des „Brexit“-Sondergipfels erleichtert. „Ich bin froh, dass morgen das Sondertreffen des Europäischen Rates zum Abschluss der ‚Brexit‘-Verhandlungen in Brüssel stattfinden wird“, schrieb Kurz auf Twitter. „Als Ratsvorsitz werden wir weiterhin alles tun, um die Einheit der EU-27 zu gewährleisten.“

„Mit Theresa May werden wir im Anschluss über die weiteren Schritte sprechen“, sagte Kurz, der die britische Premierministerin am Donnerstag in London besucht hatte. Neuerlich betonte er, dass in den „Brexit“-Verhandlungen „das bestmögliche Ergebnis“ erzielt worden sei. Kurz dankte auch EU-Chefverhandler Michel Barnier für seine „ausgezeichnete Arbeit“. Der österreichische EU-Ratsvorsitz werde ihn weiterhin unterstützen, versprach der Kanzler.

Finale Gesprächsrunde mit May

In Brüssel trafen Tusk und Juncker am Samstagabend nochmals mit der britischen Premierministerin Theresa May zusammen. EU-Diplomaten betonten aber bereits im Vorfeld, dass das keine substanziellen Verhandlungen mehr seien. Geht alles nach Plan, wird damit am Sonntag das seit mehr als eineinhalb Jahren währende „Brexit“-Ringen Londons mit Brüssel offiziell beendet.

Damit der „Brexit“-Vertrag auch umgesetzt werden kann, muss er allerdings noch im Dezember vom britischen Parlament abgesegnet werden. Ob May noch die dafür notwendige Mehrheit findet, ist derzeit mehr als offen. Offen ließ May bisher aber auch, ob sie anderenfalls zurücktreten werde.