Britische Premierministerin Theresa May und EU-Ratspräsident Donald Tusk
APA/AFP/Emmanuel Dunand
„Brexit“-Gipfel

EU-27 wollen grünes Licht geben

Nach 17 Monaten schwieriger Verhandlungen können Großbritannien und die EU am Sonntag ihr „Brexit“-Abkommen unterzeichnen. Die EU-27 werden damit beim gemeinsamen Sondergipfel mit der britischen Premierministerin Theresa May in Brüssel grünes Licht für den Austritt Londons geben.

Am Samstag war der letzte Stolperstein beiseitegeräumt worden. Der spanische Regierungschef Pedro Sanchez gab nach einer Einigung mit London zu Gibraltar seinen Widerstand auf und kündigte an, das Abkommen bei dem EU-Sondergipfel in Brüssel ebenfalls zu unterzeichnen. EU-Ratspräsident Donald Tusk erklärte, die Europäische Union habe all ihre Verhandlungsziele erreicht und „den Test der Einheit und Solidarität bestanden“. Für die Lösung der Gibraltar-Frage war – im Gegensatz zur eigentlichen Forderung Spaniens – nun doch keine Änderung des „Brexit“-Vertrages notwendig.

„Konstruktive“ Gespräche

Nach Angaben von Diplomaten in Brüssel bekommt Spanien nun aber eine Reihe von Zusicherungen sowohl der übrigen EU-Länder als auch der EU-Spitzen und der britischen Regierung, dass Spanien künftige Vereinbarungen mit Blick auf Gibraltar im Voraus prüfen und billigen darf.

Ein britischer Regierungssprecher sicherte derweil zu, auch nach dem „Brexit“ Spanien in Entscheidungen über Gibraltar einzubinden. Die britische Regierung habe mit Madrid „konstruktive“ Gespräche über bestimmte Aspekte geführt, die Gibraltar betreffen, sagte der Sprecher. In der Zukunft wolle London „dieselbe Herangehensweise“ verfolgen.

Die Verkündung der spanischen Regierung, Madrid habe ein „historisches“ Abkommen zur Rückeroberung der Souveränität über Gibraltar erreicht, löste in Gibraltar selbst heftigen Widerspruch aus. „Gibraltar ist voll und ganz britisch und bleibt es auch“, sagte Gibraltars Regierungschef Fabian Picardo am Samstagabend.

Letzter großer Stolperstein

Das Gebiet am Südzipfel der Iberischen Halbinsel steht seit 1713 unter britischer Souveränität, wird aber von Spanien beansprucht. Wirtschaftlich ist Gibraltar eng mit Südspanien vernetzt. Tausende spanische Pendler arbeiten dort. Die Bevölkerung Gibraltars sprach sich beim „Brexit“-Referendum am 23. Juni 2016 mit einer deutlichen Mehrheit gegen einen Austritt des Vereinten Königreiches aus der Europäischen Gemeinschaft aus.

Karte zeigt Gibraltar
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Tusk verschickt offizielle Einladung

Unmittelbar nach Bekanntwerden der Einigung mit Madrid veröffentlichte EU-Ratspräsident Donald Tusk die offizielle Gipfeleinladung und kündigte an, er werde die Annahme des Vertragspakets zum geplanten EU-Austritt Großbritanniens 2019 empfehlen. Neben Tusk war zuvor auch EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker intensiv in die Verhandlungen mit Madrid eingebunden.

Kurz erleichtert

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zeigte sich nach der Einigung im Gibraltar-Streit und damit der planmäßigen Abhaltung des „Brexit“-Sondergipfels erleichtert. „Ich bin froh, dass morgen das Sondertreffen des Europäischen Rates zum Abschluss der ‚Brexit‘-Verhandlungen in Brüssel stattfinden wird“, schrieb Kurz am Samstag auf Twitter. „Als Ratsvorsitz werden wir weiterhin alles tun, um die Einheit der EU-27 zu gewährleisten.“

„Mit Theresa May werden wir im Anschluss über die weiteren Schritte sprechen“, sagte Kurz, der die britische Premierministerin am Donnerstag in London besucht hatte. Neuerlich betonte er, dass in den „Brexit“-Verhandlungen „das bestmögliche Ergebnis“ erzielt worden sei. Kurz dankte auch EU-Chefverhandler Michel Barnier für seine „ausgezeichnete Arbeit“. Der österreichische EU-Ratsvorsitz werde ihn weiterhin unterstützen, versprach der Kanzler.

Finale Gesprächsrunde mit May

In Brüssel trafen Tusk und Juncker am Samstagabend nochmals mit der britischen Premierministerin May zusammen. EU-Diplomaten betonten aber bereits im Vorfeld, dass das keine substanziellen Verhandlungen mehr seien. Geht alles nach Plan, wird damit am Sonntag das seit mehr als eineinhalb Jahren währende „Brexit“-Ringen Londons mit Brüssel offiziell beendet.

Damit der „Brexit“-Vertrag auch umgesetzt werden kann, muss er allerdings noch im Dezember vom britischen Parlament abgesegnet werden. Ob May noch die dafür notwendige Mehrheit findet, ist derzeit mehr als offen. Offen ließ May bisher aber auch, ob sie anderenfalls zurücktreten werde.

Dazu kommt, dass die nun erzielte Einigung in einigen – gerade den strittigsten – Fragen vieles offenlässt und auf die künftigen Verhandlungen in der Übergangsphase verschiebt. Angesichts der zahlreichen, auch EU-internen und innerbritischen Konfliktlinien war aber Konkreteres in dieser Phase möglicherweise schlicht nicht erreichbar. Auch wenn May eine Mehrheit für den nunmehrigen Deal im eigenen Land erhält – schwierige Verhandlungen und Streit sind auch in den nächsten Jahren garantiert.