Ein Mann stellt die britische und EU-Fahne auf
APA/AFP/Emmanuel Dunand
Sondergipfel in Brüssel

EU nimmt „Brexit“-Abkommen an

Die 27 Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union haben den Austrittsvertrag mit Großbritannien angenommen. Das teilte EU-Ratspräsident Donald Tusk am Sonntag mit. Auf dem Sondergipfel in Brüssel wurde die Einigkeit der Staaten betont. Großbritanniens Premierministerin Theresa May warb unterdessen bei der britischen Bevölkerung um Unterstützung für den „Brexit“-Deal.

Die Staaten billigten den Austrittsvertrag und eine politische Erklärung über die künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien. May muss nun die Zustimmung des britischen Parlaments für den Deal gewinnen.

Die Vereinbarung soll am 30. März 2019 in Kraft treten. Der Gipfel rief die EU-Kommission, das EU-Parlament und den EU-Ministerrat auf, „die nötigen Schritte zu setzen, um sicherzustellen, dass die Vereinbarung am 30. März 2019 in Kraft treten kann, um so für einen geordneten Austritt zu sorgen“.

Auch Erklärung für künftige Beziehungen gebilligt

Der Gipfel billigte zudem die politische Erklärung für die künftigen Beziehungen zwischen der EU und London. Die Staats- und Regierungschefs unterstrichen ihre Entschlossenheit „für eine so eng wie mögliche Partnerschaft mit dem Vereinigten Königreich“. Die EU-Position werde durch die bisherigen Leitlinien definiert.

In dem insgesamt drei kurze Absätze umfassenden Dokument mit den Schlussfolgerungen des Gipfels wird außerdem EU-Chefverhandler Michel Barnier gedankt. Darin werden seine „unermüdlichen Bemühungen“ als Verhandler hervorgehoben und sein Beitrag, die 27 verbleibenden EU-Staaten vereint zu halten.

„Das ist der einzige Deal“

In einer Pressekonferenz zu Mittag sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker über das Abkommen: „Das ist der bestmögliche Deal für Großbritannien und die EU. Das ist der einzig mögliche Deal.“ Es sei ein „trauriger Moment“ für die EU, aber auch Großbritannien – „die Zukunft wird das zeigen“.

Jetzt beginne jedenfalls der „größte Teil“ der Arbeit, so Juncker. Auf die Frage eines Journalisten, ob der „Brexit“ noch rückgängig machbar sei, sagte er, dass er das britische Unterhaus nicht belehren möchte. Gefragt nach einer Neuverhandlung bei einer möglichen Ablehnung wiederholte er: „Das ist der einzige Deal.“ Schon im Vorfeld wollte sich Juncker nicht zu „Was wäre wenn“-Szenarien äußern: „Wenn der Esel eine Katze wäre, würde er sich täglich in der Baumkrone aufhalten.“

May sieht „rosige Zukunft“ für Großbritannien

In einer Pressekonferenz zeigte sich Großbritanniens Premierministerin May zufrieden mit dem ausgehandelten Abkommen. Der Deal ermögliche eine „rosige Zukunft“ („bright future“) für Großbritannien. Die Premierministerin appellierte an die britischen Parlamentarier, auch im Hinblick auf Junckers Aussagen, dem Deal zuzustimmen. Sie kündigte eine Abstimmung noch vor Weihnachten an. Ein zweites Referendum über den „Brexit“ schloss die konservative Regierungschefin erneut definitiv aus.

Tim Cupal über den „Brexit“-Deal

Die Entscheidung über den „Brexit“-Deal liegt mit dem EU-Votum nun in London. ORF-Korrespondent Tim Cupal berichtet aus Brüssel über den unklaren weiteren Fahrplan des Ausstiegs der Briten aus der EU.

In ihrem Statement wandte sie sich direkt an die Bevölkerung. Das Abkommen würde bei „Grenzen, Gesetzen und Geld“ der britischen Bevölkerung nützen. Trotz eines Ausscheidens aus Binnenmarkt und Zollunion werde es künftig eine enge Zusammenarbeit Großbritanniens mit der EU geben. Das sei ebenfalls gut für das nationale Interesse und die Wirtschaft.

Betonte Einigkeit vor Sondergipfel

Die EU betonte vor Beginn des Sondergipfels in Brüssel die Einigkeit beim Thema „Brexit“. So sagte etwa Barnier, dass „wir mit den Briten und niemals gegen die Briten verhandelt haben“. „Wir bleiben Verbündete, Partner und Freunde“, so Barnier. Auch EU-Ratspräsident Tusk setzte auf „Freundschaft“ und zog für den Gipfel gar ein Zitat der Band Queen als Motto heran: „Freunde werden Freunde sein, bis zum Ende“ („Friends will be friends, right till the end“).

Abkommen für Kurz „Take-it-or-leave-it“-Situation

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sagte nach dem Gipfel, dass sich Großbritannien keine weiteren Zugeständnisse erwarten könne. „Es ist eine Take-it-or-leave-it-Situation“, so Kurz. Sowohl die Republik Österreich als auch die EU wären auf ein „No Deal“-Szenario und auf einen „harten Brexit“ vorbereitet, so Kurz. Schon im Vorfeld sagte er, dass es wichtig gewesen sei, dass die EU-27 geeint aufgetreten seien und sich Spanien im Streit um Gibraltar wieder eingereiht habe. Es wäre absurd gewesen, wenn ein EU-Land die „Brexit“-Erklärung verhindert hätte, so Kurz.

Macron ortet Reformbedarf der EU

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte, dass der „Brexit“ zeige, dass die Europäische Union fragil sei und eine grundlegende Reform brauche. „Unsere Fischer werden gut geschützt, das ist eine Priorität unserer zukünftigen Beziehungen“, und das werde auch in den Schlussfolgerungen sehr präsent sein, so Macron. Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel sagte unterdessen, sie empfinde „Trauer“ angesichts des „Brexits“, aber auch eine „gewisse Erleichterung“, dass es eine Einigung gebe.

EU-Parlamentschef Antonio Tajani versicherte unterdessen, dass es vonseiten der EU eine parlamentarische Mehrheit für den „Brexit“-Deal gibt. „Es wird eine Mehrheit geben.“ Das Parlament werde im Jänner oder „spätestens im Februar“ über den Deal abstimmen, kündigte Tajani vor dem „Brexit“-Gipfel an. Nachverhandlungen schloss Tajani aus: „Es ist unmöglich, den Text noch einmal aufzumachen.“ Er erklärte jedoch, das Austrittsgesuch nach Artikel 50 des EU-Vertrags könnte von Großbritannien zurückgezogen werden, wenn beide Seiten dem zustimmen würden.

Kritik aus London und Nordirland

In der britischen Politik sorgte das Vertragspaket für scharfe Kritik. Nach Ansicht des früheren Parteichefs der Konservativen Partei, Iain Duncan Smith, wird es „sehr, sehr schwer“ werden, den Deal zu unterstützen. Es sei „viel zu viel an die EU gegeben worden“, sagte er dem Sender Sky News.

Die nordirische DUP, auf deren Stimmen May angewiesen ist, drohte sogar, die Unterstützung für May einzustellen. Sollte das britische Parlament das Abkommen im Dezember verabschieden, müsse die DUP ihre Unterstützung für May nochmals „überdenken“, sagte DUP-Chefin Arlene Foster der BBC.

May verfasste Brief an britische Bevölkerung

In einem Brief versuchte die britische Premierministerin, für die Einigkeit der britischen Bevölkerung zu werben. „Ein neues Kapitel in unserem nationalen Leben beginnt“, schrieb die Regierungschefin. Nach dem EU-Austritt Ende März 2019 werde es zunächst einen Moment der „Erneuerung und Versöhnung“ für das ganze Land geben. Die Befürworter und Gegner der Loslösung von der EU müssten wieder ein Volk werden.

Der „Brexit“ müsse für Großbritannien der Punkt sein, an dem „wir die Kategorien ‚Leave‘ und ‚Remain‘ hinter uns lassen und wieder zusammenfinden als ein Volk“, so May. „Um das zu bewerkstelligen, müssen wir mit dem ‚Brexit‘ weitermachen und uns somit diesem Abkommen anschließen.“ May wendet sich seit einigen Tagen vermehrt an die Öffentlichkeit und an die Wirtschaft. Britische Medien vermuten, dass sie auf diese Weise den Druck auf das Parlament in London erhöhen will.

Tory-Abgeordneter: Neues Referendum möglich

Nach Ansicht des britischen Tory-Abgeordneten Dominic Grieve verbessern sich indes mit dem Austrittsvertrag die Chancen für eine neue Volksabstimmung in Großbritannien über den „Brexit“. „Ein zweites EU-Referendum ist jetzt durchaus eine Möglichkeit. Die Aussicht darauf ist erheblich gewachsen, weil das Parlament Theresa Mays ‚Brexit‘-Deal ablehnen wird. Ich glaube an ein zweites Referendum“, sagte Grieve der „Welt am Sonntag“ laut Vorausbericht.

Auch Die Tory-Abgeordnete Sarah Wollaston rief zu einem zweiten Referendum auf. Das von May ausverhandelte Abkommen mit der EU bedeute „keine hellere Zukunft, sondern Düsternis und Schrumpfung“, warnte sie. Der „Sunday Telegraph“ berichtet unterdessen über einen möglichen „Plan B“ für den „Brexit“. Laut dem Blatt soll im Hintergrund an einem entsprechenden Abkommen gearbeitet werden. So sollte eine Vereinbarung ähnlich wie zwischen der EU und Norwegen getroffen werden.