Regisseur Bernardo Bertolucci
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1941–2018

Bernardo Bertolucci ist tot

Der italienische Meisterregisseur Bernardo Bertolucci ist tot, wie italienische Medien berichten. Erst 2013 hatte er mit dem Geschwisterdrama „Ich und du“ sein Leinwandcomeback gefeiert, insgesamt hinterlässt er 16 Spielfilme. Bertolucci wird für Meisterwerke wie „Der letzte Tango in Paris“ in Erinnerung bleiben.

Der Blick auf das Verbotene, das Verborgene, Voyeurismus in seiner kühnsten Form, so könnte man die Filme Bertoluccis umschreiben. „Der Voyeur ist dazu verdammt, ständig den entsetzten Blick zu wiederholen, den das Kind auf seine Eltern bei der Liebe wirft“, sagte er einmal über seine Arbeit. Diese zählt bereits heute zu den Klassikern der Moderne: Bertolucci galt schon lange als einer der letzten Meister des italienischen Nachkriegskinos.

Der erste große Wurf gelang ihm 1972 mit „Der letzte Tango in Paris“. Ein amerikanischer Kritiker schwärmte damals, das Werk sei „der stärkste erotische Film, der je gedreht wurde“. Heute mag das überholt sein, dennoch wurde der Streifen zum Kult – auch nachdem er in Italien verboten und Bertolucci mit einer Bewährungsstrafe belegt wurde. Der 1941 in Parma geborene Regisseur hatte genau den Nerv der Zeit getroffen – und das liberale Lebensgefühl der damaligen Generation auf Leinwand gebannt – „lüstern“, wie viele meinten.

Bernardo Bertolucci spricht mit Marlon Brando und Maria Schneider am Set von „Last Tango in Paris“
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Bernardo Bertolucci, Marlon Brando und Maria Schneider beim Dreh von „Der letzte Tango in Paris“

„Unvorhersehbarer Erfolg“

Ein mittelalter Amerikaner (Marlon Brando) streunt durch Paris und trifft dabei eine junge Französin, gespielt von der jungen Maria Schneider. Von da an dreht sich alles praktisch nur noch um Sex. Für Schneider war der Ruf, den ihr der „letzte Tango“ einbrachte, jedoch mehr Fluch als Segen. Sie litt später unter Alkohol- und Drogenproblemen und starb 2011 mit nur 58 Jahren. Bertolucci meinte: „Sie war tatsächlich zu jung, um den gewaltigen und unvorhersehbaren Erfolg ertragen zu können.“

Das dürfte aber nicht der einzige Grund gewesen sein, warum Schneider mit dem Film im Nachhinein haderte. 2013 wurde bekannt, dass die damals 19-jährige von Brando und Bertolucci vor einer brutalen Vergewaltigungsszene nicht gewarnt wurde, damit ihre Reaktion möglichst authentisch sei. Bertolucci rechtfertigte sich: „Ich wollte ihre Reaktion als Mädchen, nicht als Schauspielerin.“ Brando und er hätten die junge Frau manipuliert, sagte er, und ihr psychische Gewalt angetan: „Ich fühle mich deshalb schuldig.“

Fünfeinhalb-Stunden-Epos „1900“

Dem Regisseur brachte das umstrittene Werk jedenfalls eine Oscar-Nominierung und zahlreiche Preise ein und zudem das nötige Geld für eines seiner wohl ehrgeizigsten Projekte: den Film „1900“, ein fünfeinhalb Stunden langes Epos über die italienischen Bauern- und Klassenkämpfe Anfang des 20. Jahrhunderts. Trotz einer Traumbesetzung mit Stars wie Burt Lancaster, Donald Sutherland, Robert De Niro und Gerard Depardieu wurde dieser äußerst politische Film des erklärten Kommunisten Bertolucci wohl auch wegen seiner Länge kein Blockbuster.

Neun Oscars für „Der letzte Kaiser“

Seinen größten Erfolg feierte Bertolucci 1987. Der Film „Der letzte Kaiser“ ging mit neun Oscars und vier Golden Globes in die Kinogeschichte ein. In dem Epos geht es um das Leben des letzten chinesischen Imperators, der bereits als Dreijähriger an die Macht kam, von den Untertanen als Gott verehrt wurde und „wie ein Gefangener seiner eigenen Macht lebte“. Das Besondere: Bertolucci durfte als erster westlicher Regisseur an Originalschauplätzen in Peking drehen.

Bertoluccis zweiter Versuch mit fernöstlicher Thematik endete hingegen eher als Flop. „Little Buddha“ (1993), die Geschichte über die vermeintliche Reinkarnation des Religionsstifters, eröffnete zwar 1994 die Berlinale, aber die hohen Erwartungen enttäuschte er. Auch „Gefühl und Verführung“ („Stealing Beauty“) aus dem Jahr 1996 über die erste Liebeserfahrung einer jungen Amerikanerin auf einem Landsitz in der Toskana fiel trotz der bezaubernden Liv Tyler bei der Kritik durch. „Ein Altmänner-Film, ein schwelgerisches Stück Kino über die Nostalgie seines Urhebers“, schrieb die „Süddeutsche Zeitung“.

Regisseur Bernardo Bertolucci
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2013 leitete Bertolucci die Jury der Filmfestspiele von Venedig

„Kammermusik“ für das Kino

Lob bekam dafür „L’Assedio“ (1998) über die zärtlich-platonische Liebe eines Pianisten zu einer schönen Afrikanerin. Fast der gesamte Streifen spielt in einem Palazzo an der Spanischen Treppe in Rom. „Kammermusikstück für das Kino“, nannte das der Regisseur.

2013 musste Bertolucci länger überredet werden, Jurypräsident der Filmfestspiele in Venedig zu werden. „Ich habe zuerst abgelehnt, weil ich schon einmal Präsident einer Jury war und weiß, dass es eine sehr harte und ermüdende Arbeit ist“, sagte der damals 73-Jährige. Er beschloss, typisch Bertolucci, dennoch mitzumachen: „Das ist eines dieser Angebote, die man nicht abschlagen kann.“ Solche Angebote begleiteten ihn durchs Leben.

„Trauertag“ für Italien

„Die italienische Kultur erlebt einen Trauertag. Wir verlieren einen großen Meister des italienischen Films, einen Giganten des 20. Jahrhunderts“, sagte Ex-Kulturminister Dario Franceschini. Er würdigte das Engagement und den gesellschaftspolitischen Einsatz Bertoluccis, der sich unter anderem für ein neues Gesetz zur Filmförderung in Italien eingesetzt hatte.

Seit Jahren führte der Regisseur zudem eine Kampagne für die Rechte von Menschen mit Behinderung. Der Filmemacher, der seit einer misslungenen Bandscheibenoperation im Rollstuhl saß, hatte 2014 einen Kurzfilm gedreht, um gegen Barrieren für Behinderte in Rom zu protestieren. Seinen Rollstuhl nannte er scherzhaft seinen „elektrischen Stuhl“.