Ukrainischer Panzer im Schnee
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Konflikt mit Moskau

Kiew versetzt Armee in Kampfbereitschaft

Nach dem Aufbringen mehrerer ukrainischer Marineschiffe durch Russland hat Kiew seine Streitkräfte in volle Kampfbereitschaft versetzt. Der Befehl sei gegeben worden, nachdem der Sicherheitsrat des Landes die Verhängung des Kriegszustands empfohlen habe, teilte das Verteidigungsministerium am Montag mit.

Die russische Marine hatte in der Meerenge von Kertsch ukrainischen Schiffen die Durchfahrt verweigert und eines der Schiffe gerammt. Später wurden drei ukrainische Schiffe von russischen Streitkräften aufgebracht. Es gab mehrere Verletzte.

Die Schiffe seien wegen Grenzverletzung festgehalten worden, hieß es beim zuständigen russischen Inlandsgeheimdienst FSB. Die Schiffe seien mittlerweile in den Hafen von Kertsch gebracht worden. Bei der Aktion wurden nach russischen Angaben drei, nach ukrainischen sechs Ukrainer verletzt.

Ukraine: Brutale Festnahme

Kiew forderte von Russland die unverzügliche Freilassung der festgenommenen ukrainischen Matrosen. „Wir fordern, dass sie zusammen mit den Schiffen sofort der ukrainischen Seite übergeben werden“, sagte Präsident Petro Poroschenko am Montag einer Mitteilung zufolge. Die „brutale“ Festnahme verstoße gegen internationales Recht. Poroschenko hatte bereits am Sonntag einen „aggressiven Akt“ Russlands und eine „vorsätzliche Eskalation“ verurteilt.

Ukraines Präsident Petro Poroshenko spricht im Kriegsrat
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Der Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat sprach sich für das Kriegsrecht aus

Bei einer dringend einberufenen Sitzung des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates wurde Sonntagabend beschlossen, für 60 Tage das Kriegsrecht zu verhängen. Das Parlament muss dem noch zustimmen und wird sich am Montagnachmittag mit der Frage befassen. Poroschenko bekräftigte, es handle sich nicht um eine „Kriegserklärung“ an Russland. Das Kriegsrecht solle lediglich zu Verteidigungszwecken verhängt werden.

Russland sieht Wahltaktik

Der russische Außenminister Sergej Lawrow rief den Westen dazu auf, die Ukraine vor einer weiteren Eskalation zu beruhigen. „Die westlichen Unterstützer Kiews sollen dort jene zur Vernunft bringen, die aus Kriegshysterie politischen Profit schlagen wollen“, sagte Lawrow am Montag in Moskau. „Dort (in Kiew) passieren gerade sehr interessante Dinge. Es wird sicherlich nicht langweilig zu beobachten, wie die Mächtigen in der Ukraine versuchen werden, die Situation für sich zu nutzen“, sagte der russische Chefdiplomat. Er nannte Kiews Vorgehen eine eindeutige Provokation.

Russland wertet die Ankündigung, das Kriegsrecht in seinem Land einzuführen, als Wahltaktik. „Das ist definitiv ein toller Start in Poroschenkos Wahlkampf“, schrieb der Vorsitzende des Außenausschusses im russischen Föderationsrat, Konstantin Kossatschow, am Montag auf Facebook. Auch Lawrow sieht das so. Kossatschow sprach weiter von „einer schändlichen Piraten-PR-Aktion“. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sprach von einer „gefährlichen Provokation“.

In der Ukraine steht im nächsten März die Präsidentenwahl an. Mit der Verhängung des Kriegsrechts könnte die Wahl verschoben werden, weil unter anderem das Versammlungsrecht im Wahlkampf nicht gewährleistet wäre und Ausgangssperren bestehen könnten.

Ukraines Präsident Petro Poroshenko
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Poroschenko berief das Kriegskabinett ein

„Vorwand für weitere Sanktionen“

Russland wirft der Ukraine vor, in Absprache mit der EU und den USA einen Konflikt mit Russland provozieren zu wollen. Die Provokation in der Straße von Kertsch solle als Vorwand dienen, um den Westen zu weiteren Sanktionen gegen Russland zu bringen, so das Außenministerium in Moskau.

Russland hatte am Sonntag sein Vorgehen als gerechtfertigt verteidigt, weil die ukrainischen Marineboote illegal in russische Gewässer eingedrungen seien und auch auf Aufforderungen zu stoppen nicht reagiert hätten. Überdies hätten die drei kleineren Schiffe versucht, „illegale Handlungen“ zu begehen, so der FSB laut Berichten russischer Nachrichtenagenturen. „Als Ergebnis wurden alle drei ukrainischen Marineboote in Hoheitsgewässern der Russischen Föderation beschlagnahmt“, teilte der FSB mit.

Marineschiff
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Die Meerenge von Kertsch wurde von russischer Seite blockiert

In der Früh öffnete Russland die Meerenge von Kertsch wieder für den Verkehr. Seit 4.00 Uhr dürften Schiffe sie wieder passieren, berichteten russische Medien unter Berufung auf die Behörden der Krim. Die Sperre war am Sonntag verfügt worden. Russland hatte den Schritt mit Sicherheitsbedenken begründet.

EU ruft zu Deeskalation auf

Die deutsche Regierung reagierte am Montag „mit großer Sorge“ auf die neuen Spannungen zwischen Russland und der Ukraine. „Wir hoffen, dass beide Seiten eine Beruhigung der Lage anstreben“, so der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert. Die freie Durchfahrt ins Asowsche Meer müsse gewährleistet sein.

Eine Sprecherin der EU-Kommission nannte das Verhalten Russlands inakzeptabel. Russland solle die ukrainischen Schiffe zurückgeben. Man nehme den Vorfall sehr ernst und unterstütze die territoriale Integrität der Ukraine. EU-Ratspräsident Donald Tusk verurteilte das Vorgehen Russlands. Moskau müsse die ukrainischen Seeleute freilassen, die Schiffe herausgeben und weitere Provokationen vermeiden, so Tusk auf Twitter. Er habe die Situation mit Poroschenko telefonisch besprochen. Europa werde in seiner Unterstützung für die Ukraine geeint bleiben.

Sitzungen und Gesprächstermine

Zahlreiche Treffen zwischen Diplomaten, EU-Außenministern und eine Sondersitzung des UNO-Sicherheitsrates sind die Folge des neuen Konflikts zwischen Russland und der Ukraine.

Kneissl: „Kein Draht in dieser Form“ zu Putin

FPÖ-Außenministerin Karin Kneissl brachte angesichts der jüngsten Eskalation im Konflikt zwischen der Ukraine und Russland ihre „große Besorgnis“ zum Ausdruck. Die Botschafter im Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee (PSK) der EU würden Dienstagnachmittag auf österreichische Initiative hin darüber beraten, kündigte Kneissl am Montag in Brüssel an.

Die EU wolle eine richtige Sachverhaltsdarstellung bekommen und berate auch über die weiteren Schritte. Das österreichische Außenministerium prüfe über die Botschaft in Kiew auch, welche Österreicher in der Region und eventuell gefährdet seien. Kneissl forderte von der EU Schnelligkeit.

Angesprochen auf ihren persönlich guten Kontakt zum russischen Präsidenten Wladimir Putin, der Gast bei ihrer Hochzeit im Sommer in der Steiermark war, winkte Kneissl ab. „Ich habe keinen Draht in dieser Form, dass ich jetzt den russischen Präsidenten irgendwie kontaktiere. Das erfolgt ausschließlich über unsere Botschaften“ sowie über die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini. „Ich habe hier nicht den Draht, den vielleicht manche vermuten würden.“

UNO-Sicherheitsrat befasst sich mit Konflikt

Der UNO-Sicherheitsrat wird sich am Montag mit der Eskalation des Konflikts befassen. Das wichtigste Gremium der Vereinten Nationen wird zu einer Dringlichkeitssitzung zusammenkommen, wie die US-Botschafterin bei der UNO, Nikki Haley, am Sonntag sagte. Das Treffen soll am späten Nachmittag europäischer Zeit beginnen. Diplomaten zufolge wurde die Sitzung von Russland und von der Ukraine beantragt.

NATO rief zu Zurückhaltung auf

Auch die NATO rief zu „Zurückhaltung und Deeskalation“ auf. An Russland appellierte das Verteidigungsbündnis in einer Erklärung, „in Übereinstimmung mit internationalem Recht einen ungehinderten Zugang zu ukrainischen Häfen im Asowschen Meer sicherzustellen“.

Die Straße von Kertsch ist sowohl für Moskau als auch für Kiew von größter Bedeutung. Die Meerenge ist die einzige Verbindung zwischen dem Schwarzen Meer und dem nördlich gelegenen Asowschen Meer. Am Asowschen Meer liegen unter anderem das von prorussischen Separatisten kontrollierte Industriegebiet Donbass und die Hafenstadt Mariupol, die letzte noch von Kiew kontrollierte große Stadt im Osten der Ukraine und ein wichtiger Industriestandort.

Die Beziehungen zwischen Kiew und Moskau sind seit Langem äußerst angespannt. Russland hat die Krim im Frühjahr 2014 annektiert. Die ukrainische Regierung wirft Moskau überdies vor, prorussische Kämpfer bei dem Konflikt in der Ostukraine aktiv zu unterstützen.