Ukrainischer Präsident Petro Poroschenko
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Konflikt mit Moskau

Poroschenko ruft Kriegsrecht aus

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hat nach dem Zwischenfall mit russischen Grenzschutzbooten vor der von Russland annektierten Halbinsel Krim im Schwarzen Meer am Montag ein Dekret zur Verhängung des Kriegsrechts unterzeichnet. Poroschenko änderte allerdings überraschend seinen zuvor veröffentlichten Erlass ab.

„Ich werde dem Parlament vorschlagen, das Kriegsrecht für 30 Tage zu verhängen“, sagte er am Montag in einer TV-Ansprache in Kiew. Er wolle nicht, dass dies dem Beginn des Wahlkampfs für die anstehende Präsidentschaftswahl im Frühjahr 2019 schade. Zuvor war in einem Erlass der Kriegszustand für 60 Tage verkündet worden, der rückwirkend seit Montagnachmittag gelten sollte.

Der 53-Jährige wich damit von der Empfehlung des Sicherheitsrats ab, dem er vorsteht. Beobachter in Kiew werten die spontane Entscheidung des Staatschefs als Möglichkeit, den Wahlkampf im kommenden Frühjahr zu beeinflussen. Das Kriegsrecht soll nach Poroschenkos neuen Angaben ab Mittwoch 9.00 Uhr Ortszeit (8.00 Uhr MEZ) gelten. Am späten Abend billigte das Parlament dann den Vorschlag Poroschenkos. Die nächste Präsidentenwahl in der Ukraine setzten die Abgeordneten für den 31. März 2019 fest.

Ukraines Präsident Petro Poroshenko
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Poroschenko hatte das Kriegskabinett einberufen

Kiew versetzt Streitkräfte in Kampfbereitschaft

Poroschenko bekräftigte bereits am Sonntag, es handle sich nicht um eine „Kriegserklärung“ an Russland. Das Kriegsrecht solle lediglich zu Verteidigungszwecken verhängt werden. Kiew versetzte seine Streitkräfte in volle Kampfbereitschaft. Der Befehl sei gegeben worden, nachdem der Sicherheitsrat des Landes die Verhängung des Kriegszustands empfohlen habe, teilte das Verteidigungsministerium am Montagvormittag mit.

Die russische Marine hatte in der Meerenge von Kertsch ukrainischen Schiffen die Durchfahrt verweigert und eines der Schiffe gerammt. Später wurden drei ukrainische Schiffe von russischen Streitkräften aufgebracht. Es gab mehrere Verletzte. Die Schiffe seien wegen Grenzverletzung festgehalten worden, hieß es beim zuständigen russischen Inlandsgeheimdienst FSB. Die Schiffe seien mittlerweile in den Hafen von Kertsch gebracht worden. Bei der Aktion wurden nach russischen Angaben drei, nach ukrainischen sechs Ukrainer verletzt.

Ukraine: Brutale Festnahme

Kiew forderte von Russland die unverzügliche Freilassung der festgenommenen ukrainischen Matrosen. „Wir fordern, dass sie zusammen mit den Schiffen sofort der ukrainischen Seite übergeben werden“, sagte Poroschenko am Montag einer Mitteilung zufolge. Die „brutale“ Festnahme verstoße gegen internationales Recht. Poroschenko hatte bereits am Sonntag einen „aggressiven Akt“ Russlands und eine „vorsätzliche Eskalation“ verurteilt.

Ukraines Präsident Petro Poroshenko spricht im Kriegsrat
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Der Nationale Sicherheits- und Verteidigungsrat sprach sich für das Kriegsrecht aus

Russland sieht Wahltaktik

Der russische Außenminister Sergej Lawrow rief den Westen dazu auf, die Ukraine vor einer weiteren Eskalation zu beruhigen. „Die westlichen Unterstützer Kiews sollen dort jene zur Vernunft bringen, die aus Kriegshysterie politischen Profit schlagen wollen“, sagte Lawrow am Montag in Moskau. „Dort (in Kiew) passieren gerade sehr interessante Dinge. Es wird sicherlich nicht langweilig zu beobachten, wie die Mächtigen in der Ukraine versuchen werden, die Situation für sich zu nutzen“, sagte der russische Chefdiplomat. Er nannte Kiews Vorgehen eine eindeutige Provokation.

Russland wertete am Montagvormittag die Ankündigung, das Kriegsrecht in der Ukraine einzuführen, als Wahltaktik Poroschenkos. „Das ist definitiv ein toller Start in Poroschenkos Wahlkampf“, schrieb der Vorsitzende des Außenausschusses im russischen Föderationsrat, Konstantin Kossatschow, am Montag auf Facebook. Auch Lawrow sieht das so. Kossatschow sprach weiter von „einer schändlichen Piraten-PR-Aktion“. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sprach von einer „gefährlichen Provokation“.

In der Ukraine steht im nächsten März die Präsidentenwahl an. Mit der Verhängung des Kriegsrechts könnte die Wahl verschoben werden, weil unter anderem das Versammlungsrecht im Wahlkampf nicht gewährleistet wäre und Ausgangssperren bestehen könnten.

„Vorwand für weitere Sanktionen“

Russland wirft der Ukraine vor, in Absprache mit der EU und den USA einen Konflikt mit Russland provozieren zu wollen. Die Provokation in der Straße von Kertsch solle als Vorwand dienen, um den Westen zu weiteren Sanktionen gegen Russland zu bringen, so das Außenministerium in Moskau.

Russland hatte am Sonntag sein Vorgehen als gerechtfertigt verteidigt, weil die ukrainischen Marineboote illegal in russische Gewässer eingedrungen seien und auch auf Aufforderungen zu stoppen nicht reagiert hätten. Überdies hätten die drei kleineren Schiffe versucht, „illegale Handlungen“ zu begehen, so der FSB laut Berichten russischer Nachrichtenagenturen. „Als Ergebnis wurden alle drei ukrainischen Marineboote in Hoheitsgewässern der Russischen Föderation beschlagnahmt“, teilte der FSB mit.

Marineschiff
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Die Meerenge von Kertsch wurde von russischer Seite blockiert

In der Früh öffnete Russland die Meerenge von Kertsch wieder für den Verkehr. Seit 4.00 Uhr dürften Schiffe sie wieder passieren, berichteten russische Medien unter Berufung auf die Behörden der Krim. Die Sperre war am Sonntag verfügt worden. Russland hatte den Schritt mit Sicherheitsbedenken begründet.

USA: Arroganter Akt

Die US-Botschafterin bei der UNO, Nikki Haley, erklärte, die Beschlagnahme ukrainischer Schiffe durch Russland sei eine Verletzung der ukrainischen Souveränität und ein „arroganter Akt“, den die internationale Gemeinschaft verurteilen müsse.

Bei einer Dringlichkeitssitzung des UNO-Sicherheitsrats am Montag in New York forderte Russland, die Verletzung der Souveränität Moskaus durch die Ukraine zum Thema des Treffens zu machen. Diese Forderung wurde von dem 15-Mitglieder-Gremium jedoch mehrheitlich abgelehnt – unter anderem stimmten die USA, Großbritannien und Frankreich dagegen. Sowohl Moskau als auch Kiew hatten zuvor eine Dringlichkeitssitzung des Rates beantragt.

Deutschland: Große Sorge

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sprach Montagabend der Ukraine die volle Unterstützung der Allianz aus. Russland solle die beschlagnahmten Schiffe und die Seeleute umgehend freigeben. Russland müsse zudem verstehen, dass sein Verhalten Konsequenzen nach sich ziehe. Er hoffe zudem, dass das Kriegsrecht in der Ukraine den demokratischen Prozess dort nicht behindere.

Die deutsche Regierung reagierte am Montag „mit großer Sorge“ auf die neuen Spannungen zwischen Russland und der Ukraine. „Wir hoffen, dass beide Seiten eine Beruhigung der Lage anstreben“, so der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert. Die freie Durchfahrt ins Asowsche Meer müsse gewährleistet sein. Der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) schlug eine deutsch-französische Vermittlung vor.

EU ruft zu Deeskalation auf

Der Auswärtige Dienst der EU bezeichnete die Entwicklungen als inakzeptabel und forderte Russland zu einer sofortigen Freilassung festgenommener Seeleute aufgefordert. Aus Sicht der EU müsse Russland alle Schiffe ungehindert durch die Meerenge von Kertsch fahren lassen, sagte eine Sprecherin der EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini am Montag in Brüssel. Es gelte internationales Recht. Zugleich warnte der Auswärtige Dienst auch die Ukraine vor vorschnellen Reaktionen. „In der aktuellen Lage müssen alle Seiten äußerste Zurückhaltung wahren, um die Situation zu deeskalieren“, sagte die Sprecherin.

EU-Ratspräsident Donald Tusk verurteilte das Vorgehen Russlands. Moskau müsse die ukrainischen Seeleute freilassen, die Schiffe herausgeben und weitere Provokationen vermeiden, so Tusk auf Twitter. Er habe die Situation mit Poroschenko telefonisch besprochen. Europa werde in seiner Unterstützung für die Ukraine geeint bleiben.

Konflikt zwischen Moskau und Kiew

Zahlreiche Treffen zwischen Diplomaten, EU-Außenministern und eine Sondersitzung des UNO-Sicherheitsrates sind die Folge des neuen Konflikts zwischen Russland und der Ukraine.

Kneissl: „Kein Draht in dieser Form“ zu Putin

FPÖ-Außenministerin Karin Kneissl brachte angesichts der jüngsten Eskalation im Konflikt zwischen der Ukraine und Russland ihre „große Besorgnis“ zum Ausdruck. Die Botschafter im Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee (PSK) der EU würden auf österreichische Initiative hin darüber beraten, kündigte Kneissl am Montag in Brüssel an.

Die EU wolle eine richtige Sachverhaltsdarstellung bekommen und berate auch über die weiteren Schritte. Das österreichische Außenministerium prüfe über die Botschaft in Kiew auch, welche Österreicher in der Region und eventuell gefährdet seien. Kneissl forderte von der EU Schnelligkeit.

Angesprochen auf ihren persönlich guten Kontakt zum russischen Präsidenten Wladimir Putin, der Gast bei ihrer Hochzeit im Sommer in der Steiermark war, winkte Kneissl ab. „Ich habe keinen Draht in dieser Form, dass ich jetzt den russischen Präsidenten irgendwie kontaktiere. Das erfolgt ausschließlich über unsere Botschaften“ sowie über die EU-Außenbeauftragte Mogherini. „Ich habe hier nicht den Draht, den vielleicht manche vermuten würden.“

Warum die Straße von Kertsch wichtig ist

Die Straße von Kertsch ist sowohl für Moskau als auch für Kiew von größter Bedeutung. Die Meerenge ist die einzige Verbindung zwischen dem Schwarzen Meer und dem nördlich gelegenen Asowschen Meer. Am Asowschen Meer liegen unter anderem das von prorussischen Separatisten kontrollierte Industriegebiet Donbass und die Hafenstadt Mariupol, die letzte noch von Kiew kontrollierte große Stadt im Osten der Ukraine und ein wichtiger Industriestandort.

Die Beziehungen zwischen Kiew und Moskau sind seit Langem äußerst angespannt. Russland hat die Krim im Frühjahr 2014 annektiert. Die ukrainische Regierung wirft Moskau überdies vor, prorussische Kämpfer bei dem Konflikt in der Ostukraine aktiv zu unterstützen.