Britische Premierministerin Theresa May
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11. Dezember

Stichtag für „Brexit“-Deal steht

Nach der Einigung auf das „Brexit“-Scheidungsabkommen beim Sondergipfel in Brüssel am Sonntag steht die britische Premierministerin Theresa May nun vor der schwierigen Mehrheitssuche im britischen Parlament. Zeit dafür hat die britische Regierungschefin bis 11. Dezember. Wie May am Montag mitteilte, findet an diesem Tag die entscheidende Abstimmung statt.

Das mit Spannung erwartete Votum soll britischen Medienberichten zufolge am Ende einer fünftägigen Debatte stattfinden. Das geht „Guardian“-Angaben zufolge aus einem am Montag durchgesickerten Schreiben des parlamentarischen Geschäftsführers der Torys, Julian Smith, an die konservativen Abgeordneten hervor.

May bleiben somit noch rund zwei Wochen, um auch die eigenen Abgeordneten vom „Brexit“-Deal zu überzeugen. Ob das gelingt, erscheint derzeit allerdings mehr als offen: Dutzende ihrer Tory-Kollegen sind gegen die Vereinbarung. Auch die nordirische Partei DUP, auf deren Stimmen Mays Minderheitsregierung angewiesen ist, will das Abkommen nicht unterstützen.

„Es gibt eine Wahl, die dieses Haus treffen muss“

May unterrichtete am späten Montagnachmittag die Abgeordneten über die Einigung in Brüssel und warb erneut um Zustimmung für den auf EU-Ebene abgesegneten Deal. Dabei verwies May auch darauf, dass die Zukunft des Vereinten Königreichs nun in den Händen der Abgeordneten liege. „Es gibt eine Wahl, die dieses Haus treffen muss. Wir können diesen Deal unterstützen (…), oder dieses Haus kann sich dafür entscheiden, diesen Deal abzulehnen und zum Ausgangspunkt zurückzukehren“, sagte May bei der von zahlreichen Zwischenrufen begleiteten Rede.

Außer Frage stellte May, dass ein besserer Deal nicht mehr zu bekommen sei. Bei einer Ablehnung wisse May zufolge derzeit niemand, was passieren werde. Außer Frage stehe der Regierungschefin zufolge dabei nur, dass sich die Tür zu mehr Spaltung und mehr Unsicherheit mit all den damit verbundenen Risiken öffnen werde.

Britische Premierministerin Theresa May
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Mit der EU sind die Verhandlungen beendet – die größte Hürde wartet für May aber noch im britischen Parlament

Grünes Licht in Brüssel

Die Staats- und Regierungschefs der verbleibenden 27 EU-Länder hatten die Vereinbarung am Sonntag gebilligt. Neben dem britischen Parlament muss der „Brexit“-Deal auch von den EU-Mitgliedsstaaten noch ratifiziert werden. Der Austrittsvertrag war in 17-monatigen, schwierigen Verhandlungen zwischen Brüssel und London ausgearbeitet worden. Er sieht nach dem für Ende März 2019 anstehenden EU-Austritt eine Übergangsphase bis Ende 2020 vor, in der Großbritannien im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion bleibt.

Warnung vor Chaos

Bereits vor Mays Auftritt im britischen Parlament warnte auch der Stellvertreter der Regierungschefin, David Lidington, vor Chaos, sollte sich im Parlament keine Mehrheit für den „Brexit“-Deal finden. „Unternehmen und Märkte würden sehr ablehnend reagieren, wenn der Deal durchfällt. Es gäbe keine Garantie, dass wir einen stabilen Weg aus dieser Lage finden.“

Lidington zufolge sei die Regierung um eine möglichst breite überparteiliche Mehrheit im Parlament bemüht. „Wie die Mehrheit sich am Ende zusammensetzt, werden wir sehen“, sagte Lidington dazu dem deutschen „Handelsblatt“: „Jeder Abgeordnete, egal ob Tory, Labour, schottischer Nationalist oder Liberaldemokrat“, müsse Lidington zufolge an das nationale Interesse denken.

„Akt der nationalen Selbstverletzung“

Die Premierministerin sei Beobachtern zufolge inzwischen im Wahlkampfmodus wie vor einer Parlamentswahl. Bis zur Abstimmung hat May zahlreiche öffentliche Termine in Großbritannien, um für das Vertragswerk zu werben und um gleichzeitig den Druck auf das Unterhaus zu erhöhen. Einem Bericht des „Telegraph“ zufolge erwägt sie sogar ein TV-Duell mit Labour-Chef Jeremy Corbyn.

Labour Party Obmann Jeremy Corbyn
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Für Corbyn ist eine Zustimmung bisher keine Option

Corbyn lehnte den „Brexit“-Deal am Montag unterdessen strikt ab und rief das britische Parlament zur Ablehnung des als „Akt der nationalen Selbstverletzung“ abgekanzelten Vertrags auf. Die Abgeordneten hätten „kaum eine andere Wahl, als dieses Abkommen zurückzuweisen“, wie der Labour-Chef vor den Abgeordneten zudem sagte.

Deal, kein Deal oder neues Referendum?

Angesichts der breiten Ablehnung spekulieren Medien, die Regierung rechne insgeheim längst mit einer Niederlage. Deshalb werde bereits eine zweite Abstimmung geplant, bei der sich möglicherweise ausreichend Abgeordnete umstimmen ließen. Helfen könnte dabei auch ein Absturz der Finanzmärkte, sollten die Parlamentarier zunächst den Daumen über das Abkommen senken, so die Spekulationen. Doch werden die Märkte überhaupt reagieren wie erhofft, wenn bereits eine zweite Abstimmung absehbar ist? Die Gefahr, dass noch in diesem Jahr politisches Chaos in London ausbricht, scheint nicht gebannt.

Nachverhandlungen in Brüssel soll es laut May und der EU keine geben. May wiederholte in diesem Zusammenhang zuletzt immer wieder, dass es entweder den nun vereinbarten Deal oder einen ungeordneten EU-Austritt geben werde. Sollte sich May mit ihrem Deal nicht durchsetzen können, erscheint neben einer Neuwahl mittlerweile allerdings auch ein neuerliches „Brexit“-Referendum eine nicht mehr gänzlich ausgeschlossene Option.

Abfuhr für „Brexit“-Klage

Ein Versuch, den „Brexit“ gerichtlich zu stoppen, scheiterte am Montag zunächst vor dem EU-Gericht in Luxemburg. Britische Staatsbürger außerhalb Großbritanniens hatten gegen die Aufnahme der „Brexit“-Verhandlungen geklagt. Die Kläger sahen sich durch die Gespräche über den EU-Austritt in ihren Rechten verletzt. Doch das Gericht lehnte die Beschwerde als unzulässig ab.