Formular Mindestsicherung
ORF.at/Christian Öser
Mindestsicherung

Regierungspläne rufen Lob und Kritik hervor

Breit fiel am Mittwoch die Reaktion auf die Präsentation der Reformpläne für die Mindestsicherung aus. Ein grundsätzliches Lob für das Konzept der ÖVP-FPÖ-Regierung äußerte der Rechnungshof. Kritik kam von Opposition, ÖGB und Hilfsorganisationen.

Über die inhaltliche Ausgestaltung werde es sicher noch Diskussionen geben. „Aber der Rechnungshof und ich haben schon vor einiger Zeit empfohlen, dass es gerechter und transparenter ist, wenn es ein österreichweites Gesetz gibt, das die Grundsätze der Mindestsicherung regelt und die Bundesländer die Ausführung festlegen. Es freut mich, wenn die Bundesregierung jetzt dieses Reformprojekt in Richtung Harmonisierung auf den Weg bringt“, sagte die Präsidentin des Rechnungshofs, Margit Kraker.

Für diese „Nichtreform“ hätte man keine sieben Monate gebraucht, hieß es indes von NEOS-Sozialsprecher Gerald Loacker. „Wir bekommen das erzählt, was bereits im Mai mit viel Getöse präsentiert wurde.“ Loacker warf der Regierung vor, die „großen Baustellen“ nicht anzugehen. „Auch in Zukunft wird die Mindestsicherung von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich ausgestaltet sein. Die Wartefrist für EU-Bürgerinnen und -Bürger ist dazu auch höchst fragwürdig“. Ganz anders als die Regierung sieht NEOS in den Plänen zu wenig Erwerbsanreize. Der Oppositionspartei fehlt zudem die Zusammenführung von Mindestsicherung und Notstandshilfe.

Warnung vor sozialer Härte

Bestürzt zeigte sich die SPÖ. „Das ist kein guter Tag für Österreich“, sagte Sozialsprecher Josef Muchitsch am Mittwoch zu den türkis-blauen Regierungsplänen. Die Kürzungen beträfen vor allem Familien mit mehreren Kindern. Hier von Treffsicherheit und „neuer Gerechtigkeit“ zu sprechen, sei „mehr als unwürdig“. Es gehe um das letzte soziale Netz gegen die Armut, warnte Muchitsch in einer Pressekonferenz unmittelbar nach dem Pressefoyer der Regierungsspitze. Man könne Mindestsicherungsbezieher, von denen 75 Prozent als Aufstocker beschäftigt seien bzw. Versicherungsleistungen aus Krankengeld oder Pension beziehen, nicht als Sozialschmarotzer hinstellen.

Die „Vorbereitungshandlung eines sozialen Tiefschlags gegen arbeitssuchende Menschen“ sah die Sozialsprecherin von Jetzt (Liste Pilz), Daniela Holzinger, in dem Regierungsentwurf. „Der Teufel verbirgt sich auch bei dieser Reform im Detail. Während Kurz und Strache durch längst überfällige Verbesserungen, etwa für Alleinerziehende oder Menschen mit Beeinträchtigung, sowie den populären Kürzungen für Ausländer eine Nebelwand aufbauen, wird im Hintergrund nach wie vor an der Einführung von Hartz IV in Österreich gearbeitet“, so Holzinger in einer Aussendung.

Geteilte Meinungen in den Ländern

Geteilt fielen die Reaktionen auch in den Ländern aus. Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) kommentierte die Reformpläne mit: „guter Entwurf“. Soziallandesrätin Birgit Gerstorfer (SPÖ) sah vor allem Verschlechterungen für Kinder. Kritik kam auch von den Grünen – mehr dazu in ooe.ORF.at. Völlig gegensätzliche Reaktionen rief der Regierungsvorschlag auch bei den Vorarlberger Regierungsparteien ÖVP und Grüne hervor. Während Soziallandesrätin Katharina Wiesflecker (Grüne) sehr kritische Worte fand, wurde der Entwurf von ÖVP-Sozialsprecher Matthias Kucera positiv beurteilt – mehr dazu in vorarlberg.ORF.at.

Ähnlich fielen die Reaktionen in Salzburg aus. Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) ist dafür, Sozialreferent Heinrich Schellhorn (Grüne) zeigt sich skeptisch – mehr dazu in salzburg.ORF.at. Der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP) wollte den vorgelegten Entwurf noch nicht abschließend beurteilen: „Derzeit sind nur Grundzüge und keine Details bekannt. Soweit man das zum jetzigen Zeitpunkt beurteilen kann, ist es aber ein Schritt in die richtige Richtung.“ Besorgnis war aus dem Büro der steirischen Soziallandesrätin Doris Kampus (SPÖ) zu hören.

In Wien schlug der Entwurf der Regierung bei den Koalitionsparteien SPÖ und Grüne mit unterschiedlicher Heftigkeit auf. Während sich Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) abwartend zeigte und auf Gespräche mit den Ländern drängte, zeigte sich die neue grüne Nummer eins, Sozialsprecherin Birgit Hebein, erbost. Das Gesetz werde „zu dramatischen Auswirkungen für Menschen in Notsituationen führen“, warnte sie am Mittwoch im Gemeinderat.

Reaktionen entlang der Parteilinien

In Niederösterreich sprach der zuständige Landesrat Gottfried Waldhäusl (FPÖ) von einem „vollen Erfolg“. Auch Soziallandesrätin Christiane Teschl-Hofmeister (ÖVP) begrüßte die „österreichweite Grundsatzgesetzgebung“. Unzufrieden mit der Vorgangsweise der Regierung zeigte sich hingegen Burgenlands Soziallandesrat Norbert Darabos (SPÖ): „Mit einem halben Jahr Verspätung wird nun endlich in der Öffentlichkeit eine Punktation präsentiert – allerdings ohne dass die Länder vorab informiert wurden“, so der Landesrat.

In Tirol vermisste die Soziallandesrätin Gabriele Fischer (Grüne) unter anderem eine Anpassung an die hohen Wohn- und Lebenshaltungskosten – mehr dazu in tirol.ORF.at. Scharfe Kritik übte die Kärntner Sozialreferentin Beate Prettner (SPÖ). „Entweder die Bundesregierung hat das Konzept der Mindestsicherung nicht verstanden oder aber sie versucht ganz gezielt, Armut mit Sozialschmarotzertum, das zu bestrafen ist, gleichzusetzen“, so Prettner in einer Aussendung.

Sorge bei ÖGB und NGOs

Der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) warf der Regierung vor, mit dem Thema Stimmung gegen Geflüchtete machen zu wollen. Zugleich befürchtet man, dass schon bald die Notstandshilfe gestrichen werde und Notstandshilfebezieher – Vermögenszugriff inklusive – in die Mindestsicherung gezwungen werden. „Dann haben wir die österreichische Variante von Hartz IV“, so der Leitende ÖGB-Sekretär Bernhard Achatz.

Karitative Organisationen kritisierten die Regierungspläne am Mittwoch ebenfalls. Die geplanten Änderungen würden vor allem Familien und Kinder treffen, so der Vorwurf von Caritas und Volkshilfe. „Niemand kann sich Kinderarmut oder eine Vergrößerung der sozialen Ungleichheit wünschen“, hieß es seitens der Caritas. Bei der Volkshilfe befürchtet man eine „Abwärtsspirale“, die armen Kinder von heute würden zu den „arbeitslosen, armen, obdachlosen Erwachsenen von morgen“, erklärte Volkshilfe-Direktor Erich Fenninger.

Die neue Mindestsicherung verfehle das Ziel der Armutsvermeidung, monierte auch die Plattform für Alleinerziehende. „Gerade eine Abstufung nach der Kinderanzahl hat für Alleinerziehende mit drei kleineren Kindern massive Auswirkungen. Hier werden die Kürzungen deutlich spürbar“, erklärte die stellvertretende Plattformvorsitzende Evelyn Martin.

Bedenken vom UNHCR

Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) zeigte sich anlässlich des präsentierten Entwurfs besorgt über die angedachten Einschnitte für anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte. „Durch die geplanten Einschränkungen drohen Geflüchtete weit unter die Armutsgrenze abzurutschen. Das ist eine denkbar schlechte Voraussetzung für ihre Integration“, so UNHCR Österreich-Leiter Christoph Pinter.