Chinesisches Containerschiff im Hamburger Hafen
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Einfluss wächst

Chinas Geld treibt Keil in die EU

China hat in den vergangenen Jahren Milliarden nach Europa gepumpt. Mit dem wirtschaftlichen Gewicht wächst auch Pekings politischer Einfluss. Brüssel sieht die Entwicklung zunehmend kritisch und hat erste Gegenmaßnahmen auf den Weg gebracht – das chinesische Geld hat aber bereits einen Keil in die Union getrieben.

Portugals staatlicher Energieversorger; ein weltweit führender deutscher Hersteller von Maschinen und Robotern; ein berühmter schwedischer Autokonzern und ein nicht minder bekannter italienischer Reifenhersteller; der wichtigste Seehafen Griechenlands; eine finnische Computerspielschmiede; ein Vorarlberger Erzeuger von hochpreisiger Unterwäsche – sie alle haben eines gemeinsam: Sie befinden sich zur Gänze oder teilweise im Besitz chinesischer Firmen.

Zum finanziellen Engagement Chinas in Europa gibt es verschiedene Berechnungen und Schätzungen. Laut dem Wirtschaftsmagazin „Bloomberg“ haben chinesische Investoren von 2008 bis Ende 2017 umgerechnet mehr als 280 Milliarden Euro ausgegeben, um europäische Unternehmen zu übernehmen oder sich an ihnen zu beteiligen. Wie stark der Geldfluss zugenommen hat, zeigen Zahlen der US-Analysefirma Rhodium Group: 2008 lagen die chinesischen Direktinvestitionen in Europa bei unter einer Milliarde Euro – 2017 bereits bei über 30 Milliarden Euro.

Politischer Einfluss „angenehmes Nebenprodukt“

Hinter Chinas Interesse an Europa „steht ein ganzer Reigen an Motiven“, sagt Jan Weidenfeld vom Mercator Institute for China Studies (MERICS), im Gespräch mit ORF.at. „Europa ist ein unglaublich attraktiver Investitionsmarkt für chinesische Unternehmen. Es ist ein klar regulierter Markt, ein sehr stabiler Markt – ein ‚Safe Haven‘ für chinesische Investitionen.“ Die chinesischen Investitionen in Europa seien „sehr produktiv, sie bringen Innovation und laufen sozial verträglich ab“, sagt Weidenfeld.

Der griechische Hafen von Piräus
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Frachtschiff am Containerterminal in Piräus: Die China Ocean Shipping (Group) Company (COSCO) hält fast 70 Prozent an der Gesellschaft, die Griechenlands größten Hafen betreibt

So weit, so marktwirtschaftlich. Es gibt aber noch andere Motivationen Chinas, und sie bereiten Brüssel zunehmend Kopfzerbrechen. Große Investitionen bringen politischen Einfluss mit sich. Weidenfeld: „Das ist für China ein angenehmes Nebenprodukt – und aus meiner Sicht mittlerweile zu 50 Prozent das Hauptziel.“

Pekings Ambitionen auf Kosten Europas

Zudem fürchtet die EU den Ausverkauf wichtiger Schlüsselindustrien. Die autoritär regierende Kommunistische Partei Chinas hat dem Land einen strikten Innovationskurs verordnet. Bis zum hundertjährigen Staatsjubiläum im Jahr 2049 will China in den Bereichen Wissenschaft und Forschung auf Augenhöhe mit den USA sein. Ein weiterer, nicht minder ambitionierter Plan sieht vor, im Hochtechnologiesektor in den nächsten Jahren weitgehend unabhängig von internationalen Zulieferern zu werden.

„Made in China 2025“ heißt die Initiative, die auch in der EU Wellen schlägt. In den vergangenen Jahren haben chinesische Firmen verstärkt Informations-, Kommunikations- und Hochtechnologieunternehmen ins Visier genommen. „Wir sehen, dass ganz gezielt in bestimmte Branchen investiert wird, dass Hochtechnologie, die Produktionsstätten und das Know-how aufgekauft und nach China transferiert werden – mit der klaren Absicht, autark zu werden“, sagt Weidenfeld.

Ausländische Investitionen unter der Lupe

Für Aufsehen sorgte der Fall des deutschen Anlagenherstellers KUKA, dessen Industrieroboter in Autofabriken rund um den Globus zum Einsatz kommen. 2016 schluckte der chinesische Midea-Konzern den Traditionsbetrieb. In Deutschland und der EU setzte daraufhin eine Debatte über den Ausverkauf strategisch wichtiger Unternehmen ein.

Kuka-Industrieroboter
Reuters/Pete Sweeney
KUKA-Fertigungsanlage in Schanghai: Die Übernahme des deutschen Traditionsbetriebs löste eine Debatte über die Einkaufstour chinesischer Firmen in Europa aus

Im November verständigten sich die EU-Kommission, das Europaparlament und die Mitgliedsstaaten unter österreichischem Vorsitz auf ein weitreichendes System zur Prüfung ausländischer Investitionen in kritische Infrastruktur wie Breitbandnetze oder in wichtige Technologien. Der Entwurf regelt die Grundlagen für die nationalen Bestimmungen. Die Mitgliedsstaaten sollen sich gegenseitig über ausländische Beteiligungen informieren und können sich dabei Rat aus Brüssel holen.

Die Entscheidung, ob und wie sie bei fremden Übernahmen einschreiten, bleibt allerdings den Ländern selbst überlassen. Eine strengere Regelung scheiterte nicht zuletzt an Staaten wie Portugal und Zypern, die in den vergangenen Jahren besonders von chinesischen Investitionen profitierten.

Das Wasser läuft im Mund zusammen

Während der Finanzkrise war Chinas Geld besonders in Südeuropa gefragt. In Portugal machten die chinesischen Investitionen zwischen 2010 und 2016 3,6 Prozent der Bruttoinlandsproduktes (BIP) aus. Chinas Präsident Xi Jingping stattete dem Land erst kürzlich einen Besuch ab. Auf der Agenda: weitere Investitionen, dieses Mal im Rahmen von Chinas weltumspannendem Prestigeprojekt der „Neuen Seidenstraße“ („Belt and Road Initiative“).

Besucher schauen auf Projektionen über das Projekt „One Belr, One Road“ des chinesischen Präsidenten Xi Jinping
AP/Andy Wong
Die „Neue Seidenstraße“: Ein Prestigeprojekt, mit dem Peking seinen Führungsanspruch in der Welt unterstreichen will

Xis portugiesischer Amtskollege Marcelo Rebelo de Sousa wurde dabei zum unfreiwilligen Symbol für die Gier nach Pekings Geld. Beim Treffen der beiden Staatsmänner rann ihm vor versammelter Presse der Speichel aus dem Mund. Das Missgeschick sorgte in den Sozialen Medien für Spott: „Ich weiß, die Aussicht auf Seidenstraßen-Investments kann einem das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen“, schrieb ein AFP-Journalist auf Twitter, „aber versuch, dich zusammenzureißen!“

Ungarn schert aus

Ein schwieriger Fall ist auch Ungarn. Als die Finanzkrise das Land 2011 mitriss, wandte sich der rechtskonservative Regierungschef Viktor Orban nach Osten. Ein Jahr später wurde in Budapest die von der EU kritisch beäugte „16 + 1“ ins Leben gerufen. Unter den 16 sind Länder vom Baltikum und dem Balkan, EU-Mitglieder und Nichtmitglieder – und China, als das große „+ 1“.

Von der gemeinsamen Linie in der EU-China-Politik habe sich Ungarn schon lange verabschiedet, sagt Weidenfeld. „Es gibt keine großartige Koordination mehr, keine Absprache. Ungarn fährt einen komplett unilateralen Kurs, sehr zum Missfallen vieler Mitgliedsstaaten.“ Im März 2017 verweigerte Budapest die Unterschrift einer gemeinsamen Erklärung der EU, in dem die angebliche Folter inhaftierter Anwälte in chinesischen Gefängnissen verurteilt wurde. Wenige Monate später blockierte Ungarn eine Erklärung der Union zu Chinas (illegalen) Aktivitäten im Südchinesischen Meer.

Investments in Zukunftstechnologie

Den nun von der EU auf den Weg gebrachten Investitionsschutzmechanismus sieht Weidenfeld trotz seiner Unverbindlichkeit positiv. Es gehe um ein „Signal“ der EU an Peking, dass man „gewisse Strategien erkannt hat“. Das allein werde dazu führen, dass „viele chinesische Investoren, die nicht ganz so koschere Motive haben, abgeschreckt werden“.

Zwei weitere Bereiche kommen laut Weidenfeld in der Diskussion über das chinesische Engagement in Europa zu kurz. Das eine sei das Wettbewerbsrecht: Will ein österreichisches Unternehmen mit Staatsanteilen in Frankreich investieren oder eine Firma übernehmen, greift laut Weidenfeld das EU-Wettbewerbsrecht – für chinesische Staatsfirmen nicht. Eine „völlig perverse Situation“, wie Weidenfeld sagt.

Ein Huawei Smartphone in einem Huawei Shop
APA/AFP/Wang Zhao
Telefon von Huawei: Beim Netzausbau kann Europa laut Weidenfeld nur schwer auf die Technologie des chinesischen Konzerns verzichten

Das zweite Feld sei die Innovations- und Industriepolitik der EU. Beim Ausbau der 5G-Netze könne Europa nur schwer auf die Technologie von Huawei verzichten. Und das, obwohl viele Geheimdienste warnen, der chinesische Konzern könnte mit den Geheimdiensten zusammenarbeiten. Bei selbstfahrenden Autos oder künstlicher Intelligenz sei China in bestimmten Anwendungen sogar schon weiter als die USA. „Wir (Europa, Anm.) sind da hinterher. Und müssen uns fragen, wie wir da aufholen können“, so Weidenfeld.