Demonstranten in Paris
AP/Kamil Zihnioglu
Nach Protesten

Macron gibt „Gelbwesten“ nach

Im Konflikt mit der Protestbewegung der „Gelbwesten“ hat der französische Premierminister Edouard Philippe die umstrittenen Steuererhöhungen auf Benzin und Diesel ausgesetzt. „Wir müssen die Lage beruhigen, damit sie nicht eskaliert“, sagte er am Dienstag vor der Fraktion der Präsidentenpartei La Republique en Marche (LREM) nach Angaben von Teilnehmern.

Die Regierung will die Anhebung der Ökosteuer den Angaben zufolge zum Jänner vorerst für sechs Monate aussetzen. Die Regierung lege auch Strom- und Gaspreise auf Eis, wie Philippe bei einer Fernsehansprache sagte. „Wir müssen den Franzosen einen Grund geben, wieder zur Vernunft zu kommen“, sagte der Premier. Viele Bürgerinnen und Bürger hätten das Gefühl, finanziell „mit dem Rücken zur Wand zu stehen“. Die Steuern sollten im Zuge einer Ökoreform zum Jahreswechsel angehoben werden. Die Proteste der „Gelbwesten“, die auch zu schweren Krawallen in Paris führten, hatten sich an diesem Vorhaben entzündet.

Über die Geschwindigkeit der Energiewende werde man sich Gedanken machen, so Philippe. Zugleich verlangte er, dass die Gewalt bei den Demonstrationen aufhören müsse. Der Staat sei Garant für Frieden und öffentliche Ordnung. Keine Steuer dürfe diese in Gefahr bringen.

Demonstranten in Paris
AP/Thibault Camus
Mitten im Paris zünden „Gelbwesten“ Holzzäune und Ähnliches an

Schwerste Krise der bisherigen Amtszeit

Nach Massenprotesten im ganzen Land und den Krawallen in Paris am Wochenende mit einem geschätzten Millionenschaden steht Präsident Emmanuel Macron unter großem Druck. Französische Medien sehen den 40-Jährigen mit der schwersten Krise seiner Amtszeit konfrontiert. Der sozialliberale Staatschef war im Mai 2017 in den Elyseepalast eingezogen.

Die Popularitätswerte Macrons und Philippes sind auf einen Tiefstand gefallen. In einer Umfrage des Instituts IFOP-Fiducial für das Magazin „Paris Match“ und den Sender Sud Radio sank die Zustimmung für Macron im Vergleich zum Vormonat um sechs Prozentpunkte auf 23 Prozent. Philippe büßte gar zehn Prozentpunkte ein auf 26 Prozent.

Schlechtes Signal für Klimakonferenz

Ein Verzicht auf die Anhebung der Ökosteuern wäre für Macron auch vor dem Hintergrund der laufenden Klimakonferenz in Katowice in Polen ein Problem. Dort gilt ein Preis für den CO2-Ausstoß – etwa über eine Ökosteuer – als Kernelement im Kampf gegen den Klimawandel. Am Montag hatte die Konferenz allerdings auch einen Entschließungsantrag gebilligt, in dem für eine faire und soziale Wende geworben wird. Mit einer „Just Transition“ soll verhindert werden, dass sich aufgrund von Preiserhöhungen und Arbeitsplatzverlusten etwa in Kohlegebieten ein breiter Widerstand formiert.

Rückzieher als Schwäche gedeutet

Eine Verschiebung der geplanten Steuererhöhungen auf Sprit könnte Macron und Philippe nun als Schwäche ausgelegt werden. Macron gilt auch in Umfragen als angeschlagen. Kurzfristig verschob er einen für Mittwoch und Donnerstag geplanten Besuch in Belgrad. Für Samstag riefen die „Gelbwesten“ zu neuen Protesten auf.

Der „Gelbwesten“-Vertreter Jean-François Barnaba sagte dem Sender France Inter, nötig seien breite Steuersenkungen sowie die Erhöhung von Löhnen und Pensionen, um den Franzosen wieder ein würdiges Leben zu ermöglichen. Viele Menschen müssten mit 800 bis 900 Euro im Monat auskommen. „So kann man nicht leben“, sagte der Aktivist aus dem zentralfranzösischen Indre.

Opposition nutzt Proteste gegen Macron

Auch Teile der Opposition wiesen laut den Medienberichten den Vorstoß der Regierung zurück. Von den konservativen Republikanern hieß es, der Aufschub für die Ökosteuer sei „absolut unzureichend“. Die Konservativen fordern ein Referendum als Antwort auf die „Gelbwesten“-Proteste, die Rechtspopulisten und die Linkspartei La France insoumise (Das unbeugsame Frankreich) eine Auflösung der Nationalversammlung und Neuwahlen.

Demonstranten in Paris
APA/AFP/Lucas Barioulet
Tausende bei den Protesten der „Gelbwesten“

Die Rechtspopulistin Marine Le Pen vom Rassemblement National kritisierte den Plan. „Ein Moratorium ist nur eine Verschiebung“, schrieb sie auf Twitter. Damit würden ganz offensichtlich nicht die Erwartungen der Franzosen erfüllt, die mit unsicheren Lebensverhältnissen zu kämpfen hätten.

Kein Treffen aus „Sicherheitsgründen“

Ein ursprünglich für Dienstag geplantes Treffen zwischen Regierungschef Philippe und den „Gelbwesten“ findet nicht statt, wie das Büro des Premiers bestätigte. Vertreter der Protestbewegung hatten es kurzfristig abgesagt und dafür „Sicherheitsgründe“ angeführt. Sie seien von Hardlinern bedroht worden, weil sie mit der Regierung sprechen wollten.

Die Aktivisten haben keine Sprecher, die offiziell anerkannt oder durch eine Wahl legitimiert sind. Die „Gelbwesten“ arbeiten aber an einer gemeinsamen Liste für die Europawahl Ende Mai, wie ihr Vertreter Barnaba ankündigte.

Pariser Feuerwehrleute löschen ein brennendes Auto
AP/Kamil Zihnioglu
Die Feuerwehr löscht einen in Brand gesteckten Pkw

Straßenschlachten in Paris

Am Wochenende hatten Demonstranten der Polizei in der Hauptstadt Straßenschlachten geliefert. Beobachter sprachen von bürgerkriegsähnlichen Szenen. Schaufensterscheiben gingen zu Bruch, Autos brannten. Wie der Sender RTL unter Berufung auf das Rathaus berichtete, könnten die Schäden eine Summe von drei, vier Millionen Euro erreichen.

Die Proteste der „Gelbwesten“ erschüttern nicht nur die Hauptstadt, sondern das ganze Land. Laut Medien wurde in einigen Orten der im Nordwesten gelegenen Region Bretagne aufgrund von Blockaden der Treibstoff knapp. Die Proteste gegen hohe Kraftstoffpreise, Steuern und Lebenshaltungskosten in Frankreich halten nun schon seit rund zweieinhalb Wochen an.