Ausstellung im Afrika Museum in Brüssel
RMCA, Tervuren, photo Jo Van de Vijver
AfricaMuseum

Licht auf Belgiens dunkle Geschichte

Bis heute hat Belgien seine blutige Kolonialgeschichte nur unzureichend aufgearbeitet. Symbol der Verdrängung war jahrelang das Königliche Museum für Zentralafrika am Stadtrand Brüssels. Das soll sich nun ändern: Am Samstag eröffnet das Haus nach längerer Umbauphase wieder. Im Fokus steht auch die eigene, schwierige Vergangenheit.

Lange war die Kolonialzeit in Belgien verklärt worden. Ein Sinnbild für diese Haltung findet sich gleich in der Eingangshalle des Museums. Vier goldene Figuren blicken in dem mit Marmor ausgekleideten Saal auf die Besucherinnen und Besucher herab. „Belgien bringt den Wohlstand in den Kongo“, steht unter der marienähnlichen Figur einer Frau, die ein Kind mit krausem Haar im Arm hält. Eine andere Skulptur erinnert an König Leopold II., den Begründer der belgischen Kolonialpolitik. „Belgien bringt die Zivilisation in den Kongo“, ist auf dem Schild dazu zu lesen.

Als die europäischen Großmächte im Jahr 1884 Afrika unter sich aufteilten, bekam Belgien ein weitgehend unerschlossenes Gebiet im Zentrum des Kontinents zugesprochen. Bis 1908 befand sich der „Freistaat Kongo“ im Privatbesitz Leopolds. Statt Zivilisation und Wohlstand brachte das Königshaus unermessliches Leid. Die Bevölkerung musste unter sklavenartigen Bedingungen auf den Kautschukplantagen der neuen Herrschenden schuften. Zum Symbol der Unterdrückung wurde die Chicotte, eine Peitsche aus Nilpferdhaut. Genaue Zahlen, wie viele Menschen damals umkamen, gibt es nicht. Geschätzt wird, dass es bis zu zehn Millionen waren.

„Europas letztes Kolonialmuseum“

Das belgische Parlament begegnete den kolonialen Plänen Leopolds anfangs mit Skepsis. Und so versuchte der König, die Bevölkerung für sein Vorhaben zu gewinnen. Dazu ließ er das heutige AfricaMuseum errichten – ein prunkvoller Palast, umgeben von einer weitläufigen Parkanlage knapp außerhalb der belgischen Hauptstadt. Das 1897 eröffnete Haus sei „im Wesentlichen ein Propagandainstrument für die Kolonialpolitik der Regierung“ gewesen, sagte Museumsdirektor Guido Gryseels. Im selben Jahr war die belgische Hauptstadt Schauplatz der Weltausstellung. Dabei wurden Kongolesinnen und Kongolesen in einem nachgebauten Dorf wie in einem Zoo präsentiert – sieben von ihnen starben.

Das Afrika Museum in Brüssel
RMCA, Tervuren, photo Jo Van de Vijver
Blick aus dem neu errichteten Zentrum für Besucherinnen und Besucher auf das palastartige Museum

Nach längerer Planung wurde 2013 mit der Umgestaltung des Museums begonnen. Der Palast wurde renoviert. Ein neues Zentrum für die Besucherinnen und Besucher entstand. Über einen unterirdischen Gang ist es mit dem Haupthaus verbunden. Gleichzeitig wurde an einer neuen inhaltlichen Ausrichtung gefeilt. Dabei habe man mit der afrikanischen Diaspora in Belgien und Museen in afrikanischen Ländern zusammengearbeitet, so Gryseels. Man wolle einen transparenten Zugang zur Kolonialgeschichte finden.

Als historisch besonders belastete Baustelle erwies sich die Dauerausstellung. Sie stammte bis zur Schließung des Museums aus dem Jahr 1958. Zu dieser Zeit war der Kongo noch Teil des belgischen Kolonialreiches. Nicht zuletzt deshalb war das Haus international als „Europas letztes Kolonialmuseum“ verschrien.

„Bild des modernen Afrika“

Von diesem Ruf will sich das Museum nach den Worten Gryseels lösen. Man wolle ein „Bild des modernen Afrika“ vermitteln, sagte der Museumsdirektor. Der geografische Fokus liegt auf den ehemaligen belgischen Kolonien Demokratische Republik (DR) Kongo, Ruanda und Burundi. Inhaltlich wird der Bogen weit gespannt, auch wenn nur ein Bruchteil der 180.000 Objekte aus den Beständen des Museums ausgestellt ist.

Ausstellung im Afrika Museum in Brüssel
RMCA, Tervuren, photo Jo Van de Vijver
Mineralien: Das Zentrum des afrikanischen Kontinents ist reich an Rohstoffen, die Bevölkerung profitiert jedoch kaum davon

Besucherinnen und Besuchern erhalten Einblick in die Geschichte Afrikas, beginnend von der Entwicklung der ersten Menschen, über die Kolonialgeschichte bis hin zu einer Virtual-Reality-Tour durch die Straßen der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa. Der sprachlichen Vielfalt – ein Viertel aller Sprachen weltweit werden in Afrika gesprochen – ist ebenso ein Abschnitt gewidmet wie der lokalen Musik und den verwendeten Musikinstrumenten.

Ausstellung im Afrika Museum in Brüssel
RMCA, Tervuren, photo Jo Van de Vijver
Ausgestopfte Affen – die Tierpräparate geben Einblick in die wissenschaftliche Vergangenheit

Hinzu kommt eine große Auswahl an Mineralien. Die rohstoffreichen Böden wurden auch nach der Kolonialzeit von Europa ausgebeutet. Der Großteil der lokalen Bevölkerung blieb arm. Einen Blick in die wissenschaftliche Vergangenheit erlauben die zahlreichen ausgestopften Tierpräparate – unter anderem der afrikanische Elefant King Kasai, Krokodile, Raubkatzen, Menschenaffen und eine Giraffe.

Brücken in die Gegenwart

An verschiedenen Stellen in der Ausstellung versuchen die Kuratorinnen und Kuratoren, Brücken in die Gegenwart zu schlagen. So in den Bereichen Klimawandel und Umweltzerstörung: „Wir wollen von der idealisierten Darstellung der Natur in Afrika wegkommen“, berichtete die Biologin Tina Huyse, die den Bereich Landschaft und Biodiversität kuratiert hat. Der Einfluss des Menschen auf die Natur soll veranschaulicht werden; etwa mit Aufnahmen, die die Abholzung der tropischen Regenwälder zeigen.

Ausstellung im Afrika Museum in Brüssel
RMCA, Tervuren, photo Jo Van de Vijver
In der Eingangshalle des Museums trifft die alte Sichtweise auf den neuen Blick: Links die Skulptur aus der Kolonialzeit, rechts Aime Mpanes Kunstwerk „New breath, or Burgeoning Congo“

Andernorts werden Stimmen aus Afrika hörbar gemacht. Zehn zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler aus der DR Kongo, Ruanda und Burundi sind mit ihren Werken in Dauerausstellung vertreten. Der bekannte kongolesische Künstler Aime Mpane hat in der Eingangshalle einen überdimensionalen Kopf ausgestellt. Der Lorbeerkranz symbolisiert den Einfluss König Leopolds, der Lavasee aus Bronze steht für den Rohstoffreichtum seines Landes. Das Haupt selbst trete mit den goldenen Figuren in Dialog, sagte Museumsdirektor Gryseels.

Ausstellung im Afrika Museum in Brüssel
RMCA, Tervuren, photo Jo Van de Vijver
Freddy Tsimbas Installation – die Opfer sollen nicht namenlos bleiben

Einem besonderen Symbol der Ungerechtigkeit hat sich unterdessen der Künstler Freddy Tsimba gewidmet. Anders als für die Millionen afrikanischer Opfer der Kolonialzeit wurde den 1.500 zwischen 1897 und 1908 im „Freistaat Kongo“ gestorbenen Belgiern eine Gedenktafel gewidmet. Tsimba hat die Namen der sieben während der Weltausstellung gestorbenen Menschen aus dem Kongo über die Tafel projiziert.

Der allgegenwärtige Leopold

Erst in den vergangenen Jahren hat in Belgien die Diskussion über die Kolonialgeschichte eingesetzt. Nicht nur im Museum ist sie allgegenwärtig; ebenso wie Leopold II. Auf der Straßenbahnstrecke, die von Brüssel zum Museum führt, ist eine Haltestelle nach dem König benannt. Hunderte Straßen im ganzen Land tragen seinen Namen, in vielen Orten stehen Leopold-Statuen. Das Wissen der belgischen Bevölkerung über Leopolds Kolonialpolitik und die damals verübten Gräueltaten ist dürftig. Wichtig sei die Aufklärung der Jungen, sagte Gryseels. Das Problem dabei: Der Kolonialismus sei in den Schulen weitgehend aus den Lehrplänen verschwunden.

Außenansicht des Afrika Museums in Brüssel
Reuters/Francois Lenoir
AfricaMuseum von außen: Die Herkunft und Rückgabe von Objekten aus der Kolonialzeit ist in den vergangenen Jahren verstärkt diskutiert worden

International läuft eine Debatte über die Rückgabe der in der Kolonialzeit geraubten Kunstgegenstände. Frankreich werde in den nächsten Jahren Tausende Objekte zurückgeben, kündigte Präsident Emmanuel Macron an. An das AfricaMuseum seien noch keine Rückforderungen von Objekten gegangen, sagte Gryseels. Die Erforschung der Herkunft sei ein großes Thema. Man wisse, woher die Objekte in der Sammlung kommen, so Gryseels. Was man nicht wisse, sei, auf welche Art sie zusammengetragen wurden.

In der Dauerausstellung ist die Herkunft der Objekte Thema – bei zwei Gegenständen etwa ist ausgewiesen, dass sie bei militärischen Operationen geraubt wurden. In anderen Bereichen gibt es Fortschritte: Alle im Besitz des Museums befindlichen Teile des staatlichen Archivs von Ruanda werden digitalisiert und dem Land anschließend zurückgegeben.

Unterrepräsentiert

Die afrikanische Gemeinde in Belgien ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Mittlerweile leben 250.000 Menschen mit afrikanischen Wurzeln im Land. In vielen Bereichen des öffentlichen Lebens sind sie dennoch unterrepräsentiert – so auch im AfricaMuseum, wo sie nur einen geringen Teil des Personals ausmachen.

Zudem schlägt ihnen teils offener Rassismus entgegen. Im September sorgte das Video einer schwarzen Wettermoderatorin des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders RTBF für Furore, in dem sie Rassismus anprangert und dabei in Tränen ausbricht. „Es gibt zu viele Leute, die denken, dass es in Belgien keinen Rassismus gibt“, sagte Cecile Djunga in der auf Facebook veröffentlichten Aufnahme.

Seitdem sie im Fernsehen auftrete, erhalte sie regelmäßig Nachrichten wie „Dreckige Negerin, geh zurück in dein Land“, berichtete Djunga und fügte mit Tränen in den Augen hinzu: „Ich fühle mich als Belgierin, ich bin in meinem Heimatland. Jetzt hört auf, mir zu sagen, ich soll in mein Land zurückgehen.“ Djunga, die auch als Komikerin auftritt, appellierte an Menschen, die ebenfalls Opfer von Belästigungen sind, sich ihr anzuschließen.