Theresa May
Reuters/Dylan Martinez
Votum über „Brexit“-Deal

Mays Stunde der Wahrheit rückt näher

Für die britische Premierministerin Theresa May wird es ernst: Am Dienstag soll in London die Parlamentsabstimmung über das Austrittsabkommen mit der EU stattfinden. Angesichts einer drohenden Niederlage könnte die Regierungschefin die Abstimmung verschieben, hieß es am Sonntag in einem britischen Pressebericht. Mays Büro dementierte. Am Dienstag dürfte sich damit auch ihre Zukunft entscheiden.

Die „Sunday Times“ berief sich in ihrem Bericht auf namentlich nicht genannte Minister und Regierungsberater, die davon ausgingen, dass May den Termin verschieben werde. Das Büro der Regierungschefin dementierte später. „Die Abstimmung wird am Dienstag abgehalten“, hieß es aus der Downing Street gegenüber der britischen Nachrichtenagentur PA.

In Großbritannien rechnet man weitgehend damit, dass der von Mays Regierung mit der EU ausgehandelte Vertrag für den „Brexit“ in seiner aktuellen Form im Unterhaus abgelehnt wird. Die von der „Times“ zitierten Minister fürchteten, die Niederlage könnte so dramatisch ausfallen, dass in der Folge die Regierung abtritt. Sie hätten May daher gesagt, dass die Vereinbarung mit der EU nachgebessert werden müsse.

Theresa May
APA/AFP/Ben Stansall
Für May gibt es derzeit keinen vorweihnachtlichen Frieden

May braucht den Thatcher-Moment

Die „Times“ schrieb mit Verweis auf die ehemalige Premierministerin und „Eiserne Lady“ Margaret Thatcher von einem „Handtaschen-Moment“, den May in Brüssel brauche. Damit ist der Auftritt Thatchers beim EU-Gipfel 1984 in Frankreich gemeint, wo sie einen größeren Beitragsrabatt für Großbritannien ausgehandelt hatte. Bei den Unterredungen stellte sie mehrmals demonstrativ ihre Handtasche auf den Tisch.

Margaret Thatcher, 1984
AP
Die „Eiserne Lady“ Thatcher verhandelte 1984 erfolgreich – mit Handtasche

May hatte wiederholt erklärt, dass der derzeitige Vertragsentwurf der einzige sei, der auf dem Tisch liege. Die Alternativen wären ein ungeordneter Austritt aus der EU oder womöglich gar kein „Brexit“. Laut „Sunday Times“ schmieden bereits einige Minister Pläne für ein zweites Referendum. Bei der britischen EU-Volksabstimmung im Juni 2016 hatte eine knappe Mehrheit von rund 52 Prozent für den Austritt aus der EU gestimmt. May und die Europäische Union hatten sich erst vor Kurzem nach monatelangen zähen Verhandlungen auf die Ausgestaltung des Abschieds aus der Staatengemeinschaft verständigt.

Widerstand auch aus eigenen Reihen

Allerdings muss das britische Parlament dem Vertrag zustimmen. Dort aber laufen zahlreiche Abgeordnete auch aus Mays eigener Konservativer Partei gegen die Vereinbarung Sturm. Wie groß der Widerstand ist, zeigte sich abermals am Samstag. Der konservative Abgeordnete Will Quince gab aus Protest gegen Mays „Brexit“-Kurs seinen Regierungsposten im Verteidigungsministerium auf. Laut „Sunday Times“ ist mit weiteren Rücktritten zu rechnen.

„Gewaltiger Schritt ins Unbekannte“

Einen zusätzlichen Rückschlag verpasste May außerdem das parteiübergreifende parlamentarische Komitee zum Austritt aus der EU. Dieses veröffentlichte am Sonntag einen Bericht, in dem es zu dem Schluss kommt, dass der Vertrag mit Brüssel einen „gewaltigen Schritt ins Unbekannte“ bedeute. Er schaffe etwa nur wenig Klarheit über die künftige Handelsbeziehung mit der EU. Das Komitee führt mehr als ein Dutzend Probleme auf, die es in dem Vertrag erkennt.

In einem Interview mit dem Boulevardblatt „Daily Mail“ (Sonntag-Ausgabe) warnte May währenddessen die Mitglieder ihrer Partei davor, gegen den „Brexit“-Deal zu stimmen. Ein Nein würde dem Land große Unsicherheit bringen und bringe auch die Gefahr mit sich, dass Großbritannien die EU nicht verlasse. „Wenn ihr den ‚Brexit‘ wollt, dann holt ihn euch, und darum geht es bei diesem Deal“, sagte sie. Oppositionsführer Jeremy Corbyn warte nur darauf, Neuwahlen um jeden Preis zu erzwingen. „Ich glaube, Jeremy Corbyn an der Macht ist ein Risiko, das wir uns nicht leisten können.“

Die Rechnung ging nicht auf

Erst das Chaos unmittelbar nach dem Referendum im Juni 2016 hatte May ins Amt gebracht. Die damalige Innenministerin wurde nach dem Abgang des Konservativen David Cameron zur neuen Regierungschefin gekürt. Eigentlich hätte sie anschließend mit absoluter Mehrheit noch bis 2020 regieren können. Aufgrund hervorragender Umfrageergebnisse setzte sie aber eine Neuwahl an, um sich ein starkes Mandat für die „Brexit“-Verhandlungen mit Brüssel zu holen, und scheiterte. Seit 2017 führt May nun eine Minderheitsregierung. Ob sie sich nach einer Niederlage bei der Parlamentsabstimmung im Amt halten kann, ist fraglich.