Innenminister Christophe Castaner bezifferte die Zahl der Festnahmen in ganz Frankreich Samstagabend mit 1.385, weitere 975 Personen seien vorübergehend in Gewahrsam genommen worden, sagte er. Unter den 135 Verletzten befänden sich 118 Demonstrantinnen und Demonstranten und 17 Sicherheitskräfte – wobei die staatliche Gesundheitsbehörde Direction Generale de la Sante (DGS) von 179 Verletzten sprach.
In ganz Frankreich waren laut offiziellen Schätzungen an die 135.000 Menschen auf die Straße, um gegen die Regierungspolitik und steigende Lebenshaltungskosten zu demonstrieren. Die Proteste der „Gelbwesten“ (fr.: „Gilets Jaunes“) dauern seit Wochen an, immer wieder kommt es dabei zu gewaltsamem Auseinandersetzungen.
Eskalation trotz enormer Sicherheitsvorkehrungen
Für dieses Wochenende hatten die „Gelbwesten“ zum „vierten Akt“ der Proteste aufgerufen und die Behörden die Sicherheitsvorkehrungen verschärft. Sehenswürdigkeiten wie Eiffelturm und Louvre blieben geschlossen, Geschäfte ebenso, der Bahn- und Busverkehr wurde eingeschränkt. Im ganzen Land wurden knapp 90.000 Sicherheitskräfte mobilgemacht, 8.000 davon allein für Paris.
„Vierter Akt“ mit erneuter Eskalation
In Frankreich hatten die „Gilets Jaunes“ für das Wochenende zum „vierten Akt“ ihrer Proteste aufgerufen. Einige Kundgebungen verliefen friedlich, in Paris kam es erneut zu gewaltsamen Konflikten mit Sicherheitskräften.
Brennende Barrikaden und Tränengas
Trotz aller Vorkehrungen eskalierten die Proteste erneut, vor allem in Paris. Dort hatten sich bereits am Vormittag Demonstranten auf dem Boulevard Champs-Elysees versammelt, teils mit Baseballschlägern „bewaffnet“, es wurde zum Sturm auf den Amtssitz Macrons aufgerufen, Brände wurden gelegt, es kam erneut auch zu Plünderungen.
Paris im Ausnahmezustand
Überraschend viele „Gelbwesten“ kamen nach Paris, obwohl vor großen Gewaltausschreitungen gewarnt worden war, berichtet ORF-Korrespondentin Eva Twaroch.
Die Polizei setzte Tränengas, Schlagstöcke, Wasserwerfer und Blendgranaten ein, auch gepanzerte Fahrzeuge der Gendarmerie waren erstmals im Zentrum der französischen Hauptstadt zu sehen. Die Ringautobahn Peripherique wurde blockiert. Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo beklagte am Samstagabend „Szenen des Chaos“ in ihrer Stadt. Opfer der Ausschreitungen seien vor allem die Händler, die Schäden seien „unermesslich“.
Regierung zusehends unter Druck
Bereits am vergangenen Wochenende war es in Paris und anderen Städten zu Krawallen gekommen. Geschäfte wurden geplündert, der Triumphbogen wurde stark beschädigt. Die Regierung legte wegen der Proteste der „Gelbwesten“ die geplante Steuererhöhung für Benzin und Diesel bereits auf Eis.
Die Wut der Protestbewegung hatte sich einst an diesem Vorhaben entzündet – mittlerweile reichen die Forderungen viel weiter: von mehr Steuergerechtigkeit über mehr Kaufkraft bis hin zum Rücktritt von Präsident Emmanuel Macron. Der französische Premier Edouard Philippe sagte am Samstag: „Der Dialog hat begonnen und muss fortgesetzt werden.“ Präsident Macron werde sich äußern „und Maßnahmen vorschlagen, die diesem Dialog Nahrung geben“ sollen. Mit der Protestwelle steigt der Druck auf Macron.
Krawalle auch in Belgien
Zu Ausschreitungen kam es am Samstag auch in Lyon, Marseille und Toulouse. In Belgien und den Niederlanden gingen ebenfalls Menschen in Warnwesten auf die Straße. In Brüssel wurden bei „Gelbwesten“-Protesten nach Angaben der Polizei rund 400 Menschen festgenommen. Vor allem im Europaviertel der belgischen Hauptstadt kam es zu Zusammenstößen von Demonstranten mit der Polizei.
Rund 500 Menschen seien bis vor die EU-Gebäude in der Innenstadt gezogen, die von der Polizei abgeriegelt worden seien, berichtete die Nachrichtenagentur Belga. Einem kleinen Teil der Gruppe sei es dennoch gelungen, die Barrikade zu durchbrechen. Dabei seien Flaschen auf Polizisten geworfen worden. Diese hätten mit Tränengas reagiert. Zeitgleich besetzten mehrere hundert „Gelbwesten“ einen wichtigen Verkehrsknotenpunkt im Brüsseler Europaviertel. Die Polizei ging mit Wasserwerfern gegen die Straßenbesetzer vor.