Die britische Premierministerin Theresa May
Reuters/Phil Noble
Berichte

„Brexit“-Abstimmung in London verschoben

Die Niederlage im britischen Parlament hatte sich längst angekündigt. Am Montag, einen Tag vor dem geplanten Votum über den „Brexit“-Deal mit der EU, zog Premierministerin Theresa May die Reißleine: Sie sagte kurzerhand die Abstimmung ab. Zudem kündigte sie Nachverhandlungen mit Brüssel an – was die EU aber kategorisch ablehnt.

Eine Mehrheit im Unterhaus war für May offenbar nicht zustande zu bringen. Schon zu Mittag hatten sich die Meldungen gehäuft, die Premierministerin wolle das entscheidende Votum am Dienstag absagen. Das meldeten die britischen Medien unter Berufung auf Regierungskreise. Ein Dementi gab es nicht. Für den Nachmittag war eine Erklärung Mays geplant.

Die Premierministerin käme damit ihrer drohenden Niederlage im Parlament zuvor. Die Opposition und rund ein Drittel ihrer konservativen Torys waren gegen das Abkommen, das die britische Regierung mühsam mit der EU ausverhandelt hatte. Den strikten „Brexit“-Befürworterinnen und -Befürwortern war die Anbindung an die EU zu eng, den Gegnerinnen und Gegnern hingegen zu gering. Die nordirische DUP, auf deren Stimmen May eigentlich angewiesen ist, rebellierte gegen einen vorgesehenen Sonderstatus für das britische Nordirland.

Deadline 29. März 2019

Zur Abstimmung wäre der knapp 600 Seiten dicke Ausstiegsvertrag mit der EU gekommen. Er sollte die Regeln für den Austritt Großbritanniens nach 45 Jahren Mitgliedschaft juristisch verbindlich festlegen. Daneben gibt es noch eine unverbindliche Erklärung zu den künftigen Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich.

Beide Dokumente wurden vor gut zwei Wochen auf einem Sondergipfel in Brüssel von den Staats- und Regierungschefs der restlichen 27 EU-Länder unterzeichnet. Die Briten hatten im Sommer 2016 in einem Referendum mit knapper Mehrheit für das Ausscheiden aus der EU gestimmt. May reichte im März 2017 den Austritt offiziell in Brüssel ein. Seitdem läuft der Countdown von zwei Jahren bis zum 29. März 2019.

Opposition in Furor

Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon hatte May „Feigheit“ vorgeworfen und forderte ein Votum der Abgeordneten. Ihre SNP stehe für ein Misstrauensvotum gegen die Regierung bereit, ließ sie wissen. Die Abgeordneten ihrer Partei im Unterhaus würden einen Antrag der Labour Party unterstützen, der Regierung das Misstrauen auszusprechen.

Oppositionsführer Jeremy Corbyn sagte, Mays „Brexit“-Plan sei katastrophal. „Wir haben keine funktionierende Regierung“, so der Labour-Chef. Labour selbst ist gespalten. Zuletzt mehrten sich auch hier die Stimmen für ein zweites Referendum über einen Austritt der Briten aus der EU. Erst am Sonntag versammelten sich zahlreiche Unterstützer und Unterstützerinnen eines weiteren Referendums, darunter auch Labour-Anhänger, mit dem Ziel, den „Brexit“ rückgängig zu machen . Der euroskeptische Corbyn sprach sich bisher allerdings immer dagegen aus.

Brüssel will nicht mehr verhandeln

Irlands Premier Leo Varadkar sagte, dass das Abkommen nicht mehr aufgemacht werden könne. Es seien bereits eine Vielzahl von Konzessionen gemacht worden.

Die EU will das mühsam vereinbarte „Brexit“-Paket ohnehin nicht mehr aufschnüren, wie sie am Montag einmal mehr betonte. „Dieser Deal ist der beste Deal und der einzige mögliche Deal“, bekräftigte eine Kommissionssprecherin in Brüssel. „Wir werden die Vereinbarung, die jetzt auf dem Tisch liegt, nicht nachverhandeln.“ Im Übrigen gehe die EU-Kommission davon aus, dass Großbritannien die Europäische Union wie angekündigt am 29. März verlassen werde.

EuGH gibt London Option zu „Brexit“-Stopp

Dabei hatte der Europäische Gerichtshof kurz zuvor per Grundsatzurteil den Weg für einen „Brexit“-Stopp geebnet: Es stehe der britischen Regierung frei, eigenmächtig aus dem laufenden Austrittsverfahren aus der EU auszusteigen, teilte EUGH mit. London könne also einseitig, ohne Zustimmung der übrigen EU-Länder, den Austritt noch stoppen. Damit korrigierte das Gremium aus Luxemburg die bisherige Rechtsmeinung in Brüssel, dass die übrigen 27 EU-Länder zustimmen müssten.

Die Entscheidung müsse aber Ergebnis eines demokratischen Prozesses in Großbritannien sein und „eindeutig und bedingungslos“ an die EU gemeldet werden. Der Schritt hätte den Effekt, dass das Land zu den derzeitigen Bedingungen in der EU bleiben könnte und das „Brexit“-Verfahren beendet würde, hieß es in der Urteilsbegründung. Bisher schloss man in London jedoch eine neue Volksabstimmung kategorisch aus.

Wie es nun also weitergeht, ist unklar. Ende der Woche ist in Brüssel das nächste Spitzentreffen geplant. May will zudem nach den Worten von Bildungsstaatssekretär Nadhim Zahawi erneut nach Brüssel reisen, um zu versuchen, die Auffanglösung zum Nordirland-Problem noch einmal nachzuverhandeln. Diese soll eine durchlässige Grenze auf der irischen Insel sicherstellen.