Einsatzkräfte in Straßburg
AP/Jean-Francois Badias
Nach Anschlag

Großrazzia in Straßburger Wohnviertel

Zwei Tage nach dem Anschlag auf den Straßburger Weihnachtsmarkt haben Anti-Terror-Kräfte der Polizei eine Razzia in einem Wohnviertel der elsässischen Hauptstadt gestartet. Die Spezialeinheit RAID durchkämmte am Donnerstag das Viertel Neudorf, wo sich die Spur des mutmaßlichen Attentäters Cherif Chekatt verloren hatte.

Schwerbewaffnete Beamte seien mit Automatikwaffen im Anschlag in mehrere Häuser vorgerückt. Mehrere Straßen waren mit Polizeifahrzeugen abgesperrt. Mit dem Einsatz sollten Zweifel über den Verbleib Chekatts zerstreut werden, sagte Innenminister Christophe Castaner. In Neudorf unweit des Stadtzentrums hatte sich der mutmaßliche Täter unmittelbar nach dem Anschlag mit einem Taxi absetzen lassen und war danach verschwunden. In der Nähe befindet sich seine Wohnung, die durchsucht worden war. Kurz vor 17.00 Uhr wurde die Operation dann für beendet erklärt.

Der Angreifer hatte am Dienstagabend mitten in der Weihnachtssaison das Feuer in der Straßburger Innenstadt eröffnet. Die Zahl der Todesopfer ist am Donnerstag von zwei auf drei gestiegen. Ein viertes Opfer sei hirntot, bestätigte die Staatsanwaltschaft in Paris. Davor hatte es mehrfach unterschiedliche Angaben gegeben. Mehrere Menschen wurden teils schwer verletzt. Nach dem Anschlag läuft unterdessen weiterhin die Fahndung nach dem untergetauchten Attentäter.

Frankreich trauert um Opfer

Ermittler nahmen unterdessen einen weiteren Verdächtigen aus dem Umfeld von Chekatt in Gewahrsam. Er gehört nicht zur Familie des mutmaßlichen Attentäters. Damit seien insgesamt fünf Verdächtige im Gewahrsam, bestätigte die Staatsanwaltschaft. Zuvor hatte die französische Polizei die Bevölkerung um Hilfe gebeten. Straßburg ist im Ausnahmezustand, ganz Frankreich trauert um die Opfer. Präsident Emmanuel Macron sprach am Mittwoch von Terror „im Herzen der Nation“.

Einsatzkräfte in Straßburg
AP/Jean-Francois Badias
Am Donnerstag kam es zu einer Großrazzia in einem Straßburger Wohnviertel

Der mutmaßliche Angreifer vom Straßburger Weihnachtsmarkt wurde einem Medienbericht zufolge unmittelbar vor der Tat aus Deutschland angerufen. Chekatt sei aber nicht ans Telefon gegangen, berichtete das Inforadio des rbb am Mittwochabend unter Berufung auf Sicherheitskreise. Unklar sei, wer ihn anrief und warum.

Fahndungsfoto des mutmaßlichen Attentäters
AP/Französische Polizei
Die Fahndung wurde am Mittwoch öffentlich gemacht

Polizei bittet um Mithilfe

Dieser Frage würden deutsche Ermittler nun intensiv nachgehen, berichtete das rbb Inforadio. Chekatt war 2016 in Deutschland wegen zweifachen Einbruchdiebstahls zu zwei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt worden. Ein Jahr später wurde er nach Frankreich abgeschoben.

Die französische Polizei veröffentlichte ein Fahndungsfoto des Attentäters samt Täterbeschreibung. Sie bat um Mithilfe der Bevölkerung. Auch süddeutsche Polizeistationen, das deutsche Bundeskriminalamt und die Schweizer Bundespolizei verbreiteten am Mittwochabend auf Twitter den Aufruf der Police National. In dem Aufruf heißt es: „Der Mann ist gefährlich, bitte nicht selbst eingreifen“. Der Gesuchte sei 29 Jahre alt, 1,80 Meter groß, habe kurze Haare, sei vielleicht Bartträger und habe eine Narbe auf der Stirn.

1.300 Soldaten für Anti-Terror-Einsatz

Die französische Regierung verstärkte indes die Soldaten im Anti-Terror-Einsatz. In den kommenden Tagen sollen sich rund 1.300 weitere Soldaten der „Operation Sentinelle“ anschließen, wie Premierminister Edouard Philippe am Mittwochabend ankündigte. Dabei handelt es sich um eine Einsatztruppe, die nach dem islamistischen Anschlag auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ im Jänner 2015 ihre Arbeit aufnahm. Dafür sind einige tausend Soldaten in Frankreich im Einsatz.

Macron ruft zu Solidarität auf

Präsident Macron rief am Mittwoch angesichts der Krise in seinem Land zu politischer Zurückhaltung auf. Die aktuellen Geschehnisse verlangten von jedem verantwortungsvollen politischen Anführer Ruhe und Mäßigung, sagte Regierungssprecher Benjamin Griveaux nach einer Kabinettssitzung unter Vorsitz Macrons.

Der Präsident erinnerte in der Sitzung an die Schrecken des Terrors in Frankreich. „Die terroristische Bedrohung ist immer noch im Herzen des Lebens unserer Nation“, zitierte ihn Griveaux. „Solidarität der gesamten Nation für Straßburg, unsere Opfer und ihre Familien“, schrieb Macron zuvor auf Twitter.

Schweigeminuten und Gedenken

In der Hauptstadt Paris wurde die Beleuchtung des Eiffelturms für eine Trauerminute ausgeschaltet – „zu Ehren der Opfer“, so Bürgermeisterin Anne Hidalgo. Sie drückte ihre „Unterstützung für die Angehörigen und alle Straßburger“ aus. Auch an vielen anderen Orten in Frankreich wurde der Opfer gedacht. Am Straßburger Münster läutete zu Mittag zehn Minuten lang die Totenglocke, im Plenarsaal des Europaparlaments und in der Pariser Nationalversammlung hielten die Abgeordneten Schweigeminuten ab.

Auch Papst Franziskus verurteilte den Anschlag. Mit „Traurigkeit und Sorge“ habe der Heilige Vater von dem am Dienstagabend verübten Attentat erfahren, hieß es in einem Kondolenzschreiben des vatikanischen Staatssekretärs Pietro Parolian an den Straßburger Erzbischof Luc Ravel. Der Papst bete für die Familien der Todesopfer und alle beim Attentat betroffenen Personen. Die italienische Regierung will nach dem Anschlag die Sicherheitsmaßnahmen um das Kolosseum in Rom verschärfen. „Die Sicherheit ist von wesentlicher Bedeutung für all jene, die den archäologischen Park um das Kolosseum besuchen, der stark bewacht werden soll“, so Kulturminister Alberto Bonisoli nach Medienangaben vom Donnerstag.

Eifelturm in Paris
APA/AFP/Geoffroy Van Der Hasselt
Der Eiffelturm in der Nacht auf Donnerstag

Verletzt und auf der Flucht

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft hatte Chekatt am Dienstagabend mit einer automatischen Pistole das Feuer nahe dem Straßburger Münster, wo auch in diesem Jahr der Weihnachtsmarkt stattfindet, eröffnet. Er sei dann durch die Fußgängerzone gelaufen und habe Menschen beschossen und mit einem Messer angegriffen.

Nach Angaben von Zeugen rief er „Allahu akbar“ (Gott ist unvergleichlich groß), wie die Staatsanwaltschaft sagte. Soldaten eröffneten später das Feuer auf den Täter, wie Innenminister Castaner sagte. Sie verletzten ihn am Arm, konnten ihn aber nicht stoppen.

ORF-Korrespondent als Augenzeuge

Das österreichische Außenministerium verwies auf die angespannte Lage nach dem Terroranschlag. „Die Innenstadt ist komplett gesperrt. Meiden Sie das Zentrum und folgen Sie den Anweisungen der Sicherheitskräfte“, heißt es auf der Website.

ORF-Korrespondent Peter Fritz wurde zum Augenzeugen der Schießerei. Er berichtete bereits unmittelbar nach dem Vorfall im Kurznachrichtendienst Twitter von Schüssen und einer Evakuierung, dann von dramatischen Szenen – auch per Telefon aus Straßburg.

ORF-Korrespondent Fritz über die Fahndung in Straßburg

ORF-Korrespondent Peter Fritz berichtet aus Frankreich über die Schüsse in Straßburg sowie den aktuellen Stand der Fahndung.

Fritz schilderte, wie er und andere Zeugen versucht hätten, einem Schussopfer Erste Hilfe zu leisten. Nach 45 Minuten hätten sie die Wiederbelebungsversuche eingestellt, nachdem ein per Telefon verbundener Arzt ihnen mitgeteilt habe, dass es keinen Sinn mehr habe. Bis zu diesem Zeitpunkt seien keine offiziellen medizinischen Helfer zum Anschlagsort gekommen. „Die Polizei war sofort da, aber offenbar hat man Rettungskräfte gar nicht in die Nähe gelassen“, so Fritz.