Theresa May
APA/AFP/Ludovic Marin
EU-Gipfel

May reist ohne Kommentar ab

Die britische Premierministerin Theresa May ist Donnerstagabend überraschend ohne Kommentar vom EU-Gipfel in Brüssel abgereist. Ursprünglich war eine Stellungnahme angekündigt worden. May ging an allen wartenden Journalisten und Journalistinnen vorbei zur wartenden Limousine und fuhr ab.

Zuvor hatte laut Gipfelregie May ihre Vorstellungen über zusätzliche Zusicherungen zum „Brexit“-Vertrag den anderen Staats- und Regierungschefs dargelegt. Danach trat der 27er-Gipfel zur Debatte über dieses Thema zusammen. Die Verhandlungen dürften bis Mitternacht dauern, danach ist eine Pressekonferenz von EU-Ratspräsident Donald Tusk und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker angekündigt.

May hat bei dem EU-Gipfel um ein konkretes Zugeständnis zum „Brexit“ gebeten. So habe die britische Premierministerin vorgeschlagen, ein Datum für das nachfolgende Freihandelsabkommen zwischen der EU und Großbritannien zu nennen, hieß es in Ratskreisen am Donnerstagabend. Dieses Datum soll in Verbindung mit der festen Entschlossenheit genannt werden, dass es auch erreicht werden soll. Damit will May offenbar die Diskussion über den Backstop – die Auffanglösung zur Vermeidung einer harten Irland-Grenze – umdrehen.

May erwartete keinen unmittelbaren Durchbruch

Bereits zuvor hat es geheißen, dass die britische Premierministerin im Ringen um einen geordneten EU-Austritt auf wenig Hilfe hoffen konnte. Mehrere Regierungschefs kündigten zwar an, May entgegenkommen zu wollen, ein Aufschnüren des „Brexit“-Vertrags wird vielerorts allerdings ausgeschlossen. EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani unterstrich bereits die Unveränderlichkeit des Austrittsvertrags. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sagte, dass der fertige Vertrag nicht geändert werden könne – dem schloss sich auch der französische Präsident Emmanuel Macron an.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hatte vor Beginn des Gipfels gesagt, dass man versuchen werde, sich mit einer Erklärung „aufeinander zuzubewegen.“ May selbst räumte in Brüssel ein, sie erwarte keinen unmittelbaren Durchbruch. Doch solle man rasch beginnen, an den „nötigen Zusicherungen“ zu arbeiten.

Ob, wie und wann der „Brexit“ endlich unter Dach und Fach gebracht wird, ist somit offen. Denn für den Vertrag gibt es im britischen Unterhaus derzeit keine Mehrheit. Hauptstreitpunkt sind die Regeln für offene Grenzen auf der irischen Insel, die auf Widerstand von strikten „Brexit“-Befürwortern treffen.

Kein Antreten in vier Jahren

May bekräftigte auf dem EU-Gipfel außerdem, dass sie bei der kommenden Parlamentswahl in vier Jahren nicht mehr für ihre Partei antreten werde. „Ich sagte, mein Herz würde es lieben, nochmals die Torys in die Wahlen zu führen. Aber ich denke, es ist das Recht der Partei zu sagen, dass sie lieber mit einem anderen Vorsitzenden in die Wahl gehen will.“

Stefan Lehne, ehemaliger Diplomat, zum „Brexit“

Die Staats- und Regierungschef schließen eine Änderungen im Vertrag aus. Welche Möglichkeiten es für Premierministerin Theresa May nun noch gibt, erläutert der ehemalige Spitzen-Diplomat Stefan Lehne.

Laut Beobachtern musste die Premierministerin, um die interne Parteikritiker zu besänftigen, dieses Zugeständnis machen. Ihr Fokus, so May, liege jetzt darauf, eine Vereinbarung mit der EU zu erreichen. Die Abstimmung über das ausgehandelte Abkommen mit der EU soll zwischen dem 7. und dem 18. Jänner im britischen Unterhaus stattfinden, teilte ein Regierungssprecher am Donnerstag mit.

EU bereitete „Brexit“-Erklärung vor

Die EU-Staaten, die beim Gipfel eigentlich vor allem über die EU-Finanzplanung und über Russland-Sanktionen reden wollten, bereiteten kurzfristig eine „Brexit“-Erklärung vor, um May bei der Ratifizierung zu helfen.

Der Entwurf der „Brexit“-Gipfelerklärung soll eine Klarstellung zur Sonderregel für offene Grenzen in Irland sein. Darin heißt es, man wolle den „Backstop“ möglichst gar nicht, und wenn, dann überhaupt nur „für eine kurze Zeit“ nutzen. Die von „Brexit“-Hardlinern in London geforderte Befristung des „Backstop“ will die EU aber laut Entwurf nicht zusagen.

May hatte vor dem Gipfel dramatische Tage hinter sich gebracht. Weil sie mangels Mehrheit ein für Dienstag geplantes Parlamentsvotum über den Vertrag absagte, probten Abgeordnete ihrer konservativen Partei gestern den Aufstand. Ein Misstrauensvotum gewann May zwar, aber nur mit 200 zu 117 Stimmen.