Jean-Claude Juncker
Reuters/Yves Herman
„Brexit“-Verhandlungen

EU-27 fordern von Briten Klarheit

Angesichts der Probleme bei der Ratifizierung des „Brexit“-Vertrages in Großbritannien haben die Staats- und Regierungschefs auf dem EU-Gipfel in Brüssel eine Reihe von Zusicherungen gemacht. Neuverhandlungen werde es aber keine geben, nun sei London am Zug, sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in der Nacht auf Freitag. Er forderte von den Briten Klarheit, denn die Diskussion sei teilweise „nebulös“.

Nach dem Gipfeltreffen sagte Juncker, dass die EU zwar ein Abkommen wolle, aber man werde auch die Vorbereitungen für einen „No-Deal“ weiterführen. In der kommenden Woche werde die Kommission einen Leitfaden für einen solchen harten „Brexit“ vorlegen. „Da wir nicht wissen, wie die Reaktionen ausfallen werden, weder was die EU-27 angeht noch Großbritannien, wird die Kommission am 19. Dezember alle Informationen zur Vorbereitung veröffentlichen, wenn es zu einem ‚No-Deal‘ kommt“, so Juncker.

„Wir wollen vor allen Dingen nicht, dass in Großbritannien der Eindruck entsteht, es würde irgendetwas neu verhandelt. Es gibt keine neuen rechtlichen Verpflichtungen, die man der EU auferlegen kann.“ Jedenfalls könne die EU sofort mit den Verhandlungen über die künftigen Beziehungen beginnen, wenn das britische Parlament das Abkommen angenommen habe. Der Kommissionspräsident sagte, „wir möchten jetzt nicht denen, die noch zögern und einen falschen Eindruck und Misstrauen gegenüber der EU haben, den Eindruck geben, dass wir sie nicht ernst nehmen würden. Wir werden bei den künftigen Beziehungen aufs Gaspedal steigen.“

May bat um Zugeständnisse

Jedenfalls „verstehe ich selber nicht so richtig, in welcher Stimmungslage ich mich befinde, und es ist noch schwieriger, wenn es um das britische Parlament geht. Die kann ich noch weniger verstehen.“ Die Meinungsverschiedenheiten bei den Briten seien jedenfalls offensichtlich sehr groß. „Vor ein paar Tagen hatte ich den Eindruck, es würde keine Einigung geben, weder in der einen noch in der anderen Richtung. Wir brauchen einen klaren, gut strukturierten Vorschlag, von dem aus wir die Vorstellungen der britischen Partner entnehmen können“, sagte Juncker.

Die EU sei „fest entschlossen“, mit London schnell Verhandlungen über eine Vereinbarung aufzunehmen, um eine in Großbritannien umstrittene Auffanglösung für die irische Grenze („Backstop“) zu verhindern. Sollte diese Notlösung doch notwendig werden, solle sie nur „vorübergehend“ in Kraft bleiben, bis eine Vereinbarung zwischen beiden Seiten gefunden sei, hieß es weiter. „In einem solchen Fall würde die Union ihr Bestes tun, ein Folgeabkommen auszuhandeln und zügig abzuschließen.“ Die Auffanglösung solle damit nur „so lange wie unbedingt erforderlich“ in Kraft bleiben.

Die britische Premierministerin Theresa May hatte zuvor eindringlich um Zugeständnisse bei den „Brexit“-Vereinbarungen gebeten. In ihrem Land habe sich der Eindruck verbreitet, die Nordirland-Klausel in dem Austrittsvertrag sei eine „Falle, aus der das Vereinigte Königreich nicht mehr herauskommt“, sagte May. Mit den „richtigen Zusicherungen“ vonseiten der EU könne das ausgehandelte „Brexit“-Abkommen im Unterhaus aber doch noch verabschiedet werden, sagte May weiter. Sollte es bei der Auffanglösung kein Entgegenkommen der EU geben, „ist das Abkommen – unser Abkommen – in Gefahr“.

Tusk: Keine Neuverhandlung

Auch EU-Ratspräsident Donald Tusk sagte, dass das „Brexit“-Abkommen „nicht neu verhandelt werden kann“. Ferner sei der „Backstop“ als „Versicherung“ gedacht, um eine harte Grenze auf der irischen Insel zu vermeiden. Die EU sei fest entschlossen, rasch an einem Folgeabkommen zu arbeiten, das bis 31. Dezember 2020 alle Vorkehrungen festlegt, damit der „Backstop“ als Notfalllösung nicht ausgelöst werden muss.

Jean-Claude Juncker und Donald Tusk
AP/Alastair Grant
EU-Ratspräsident Donald Tusk versicherte, dass der „Backstop“ nur vorübergehend sei

Im Beschluss der EU-27 heißt es: Sollte der „Backstop“ dennoch gebraucht werden, „würde er nur befristet angewandt, bis er durch eine Folgelösung ersetzt würde, die sicherstellt, dass eine harte Grenze vermieden wird“. In diesem Fall würde die EU alle Kräfte einsetzen, um ein Folgeabkommen schnell zu verhandeln und abzuschließen. Dasselbe würde man von Großbritannien erwarten, „sodass der Backstop nur so lange wie nötig in Kraft wäre“.

Damit versucht die EU britische Sorgen zu entkräften, dass der „Backstop“ zur Dauerlösung würde. Strikte „Brexit“-Befürworter fürchten, dass Großbritannien damit auf Dauer eng an die EU gebunden bliebe und keine eigenen Handelsverträge abschließen könnte. Unter anderem deshalb zeichnet sich im britischen Unterhaus keine Mehrheit für das Austrittsabkommen ab. Großbritannien will die EU am 29. März 2019 verlassen.

Kurz: Großbritannien muss sich entscheiden

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wollte nicht darüber spekulieren, ob das britische Parlament durch die Haltung der EU nun zu überzeugen sei und es am Ende doch dem Abkommen zustimme. „Es ist Aufgabe von Großbritannien, hier eine Entscheidung zu treffen.“ Alle hätten das Ziel, einen „harten Brexit“ zu vermeiden, jetzt liege der Ball bei Großbritannien. Er hoffe auf eine positive Entscheidung in Großbritannien im Jänner, sagte Kurz.

Auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel lehnte eine Neuverhandlung des Abkommens mit London ab. „Wir wollen eine sehr nahe Partnerschaft mit Großbritannien, weil wir uns Großbritannien freundschaftlich verbunden fühlen“, sagte sie. „Wenn es eine Rückversicherung braucht, weil wir in der Übergangsphase noch nicht ausreichend Regelungen gefunden haben, dann wollen wir diese Übergangsphase eines Backstops schnell überwinden. Und wir werden unser Äußerstes tun, um das zu schaffen“, sagte Merkel.