Sebastian Kurz
APA/Roland Schlager
Absage an FPÖ

Asyl: Kurz gegen Ausgangssperre

Erstmals seit Bestehen der Bundesregierung von ÖVP und FPÖ kommt direkter Widerspruch zwischen den Regierungsspitzen auf: Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) erteilte am Samstag der FPÖ-Forderung nach einem Ausgehverbot für Asylwerbende eine Absage, will aber zugleich „klarere Regeln“ bei der Hausordnung. Genau dafür hatte sich zuvor bereits Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) ausgesprochen.

Es geht dabei um den Wunsch der FPÖ nach einer Ausgangssperre für Asylwerbende nach 20.00 Uhr. Strache hatte diese Forderung von FPÖ-Klubchef Johann Gudenus unterstützt. „Das nennt sich dann Hausordnung und nicht Ausgangsverbot. Aber ja, es wäre vernünftig, in einer Hausordnung klar und deutlich festzulegen, dass es den Herrschaften ab 20.00 Uhr nicht mehr möglich sein soll, da einfach ein und aus zu gehen“, sagte Strache diese Woche zu „oe24.tv“. Man wisse, dass „Gruppen, etwa Afghanen, mit viel Gewalt agieren. Messerstechereien und Gewalt gegen Frauen haben zugenommen“, so Strache, der auch den niederösterreichischen Landesrat Gottfried Waldhäusl (FPÖ) verteidigte. Dieser habe „nicht zu Unrecht gesagt, dass das nicht nur brave Kinder sind“.

Kurz widersprach am Samstag in der Ö1-Sendung „Journal zu Gast“ der Forderung der FPÖ: „Die rechtlichen Regelungen sind sehr klar, und die gilt es einzuhalten“, so Kurz. „Es ist gut und richtig, dass in Quartieren, wo viele Asylwerber untergebracht werden, dass es da Regeln gibt. Da gibt es im Normalfall so etwas wie eine Hausordnung. Das ist auch rechtskonform, dass es so etwas gibt. Und alles, was in Richtung Freiheitsentzug geht, ist nicht rechtskonform“, so der Kanzler – mehr dazu in oe1.ORF.at.

Später ergänzte der Kanzler gegenüber der APA, er könne sich strengere Regeln bei den Hausordnungen in Flüchtlingsquartieren vorstellen. „Ein Freiheitsentzug ist rechtlich nicht möglich, aber klarere Regeln bei der Hausordnung unter Einhaltung des rechtlichen Rahmens sind sinnvoll“, so Kurz. „Dazu soll das zuständige Innenministerium einen Vorschlag ausarbeiten.“

Drasenhofen-Anweisungen kamen von Waldhäusl

Die Debatte war angestoßen worden, nachdem die Zustände in der Asylunterkunft im niederösterreichischen Drasenhofen bekanntgeworden waren. Das Quartier für auffällige unbegleitete Minderjährige wurde als „nicht geeignet“ mittlerweile stillgelegt, Landesrat Waldhäusl erntete von Parteien und NGOs scharfe Kritik wegen der strengen Maßnahmen zur Bewachung der Untergebrachten. Aus Unterlagen, die das Nachrichtenmagazin „profil“ am Wochenende veröffentlichte, geht nun hervor, dass die Anweisungen dazu direkt von Waldhäusl kamen. Er verlangte unter anderem die Bewachung durch einen Hund, eine Kamera beim Eingang und einen Zaun aus Stacheldraht, „damit nicht überklettert werden kann“.

Im Sicherheitskonzept, aus dem „profil“ zitiert, ist explizit von „Wünschen des Herrn Landesrat“ die Rede. Das Konzept habe strenge „Ausgangsbeschränkungen“ vorgesehen. Außerdem sollten die Jugendlichen bei „anfallenden Arbeiten in der Einrichtung“ mitarbeiten. Dazu ordnete Waldhäusl laut „profil“ an: „Kein Free-Welan (sic!).“ Das Konzept sah den „profil“-Angaben zufolge auch die Rund-um-die-Uhr-Bewachung durch drei Security-Mitarbeiter vor. In einer Mail an den Quartierbetreiber drängte eine Landesbeamtin auf die strikte Umsetzung des Sicherheitskonzepts, weil Waldhäusl die Unterkunft demnächst besuchen wolle. Wichtig seien „vor allem der Zaun (3 fach Stacheldraht!) und Hund im Auftrag v Hr. Landesrat“.

Tempo 140 „kein Konflikt“

Auch für die Forderung nach einer Ausgangssperre nach 20.00 Uhr hatte die FPÖ viel Kritik eingesteckt. "Derartige menschenverachtende Vorschläge ist man ja von der FPÖ schon seit den ersten Wochen in der Regierung durch Vizekanzler Strache bis hin zu Landesrat Waldhäusl gewohnt. Menschen ohne rechtliche Grundlage die Freiheit zu entziehen ist eine massive Menschenrechtsverletzung“, sagte NEOS-Sicherheitssprecherin Stephanie Krisper.

Im Ö1-Gespräch nahm Kurz auch zu anderen Auffassungsunterschieden mit der FPÖ Stellung, etwa beim Thema Tempo 140. Hier hatte Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) weitere Teststrecken angekündigt, Umweltministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) sprach sich dagegen aus. Einen Konflikt will Kurz darin aber nicht sehen: „Ich unterstütze da natürlich unsere Nachhaltigkeitsministerin, aber ich sehe da keinen Konflikt mit Norbert Hofer“, sagte Kurz.

SPÖ: „ÖVP hat Koalitionspartner nicht im Griff“

Bei der Koalition handle es sich um zwei unterschiedliche Parteien, es gehe nicht darum, „ob man sich mit jemandem versteht oder nicht oder wie sehr man jemanden mag oder nicht“. Es gehe um professionelle Zusammenarbeit und die Umsetzung des Regierungsprogramms. Da sei schon viel geschehen, „insofern blicke ich da optimistisch ins nächste Jahr“, sagte Kurz.

SPÖ-Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda reagierte auf das Interview via Aussendung und vermisste klare Worte der Kritik am Koalitionspartner FPÖ, der die Republik auf 3,4 Millionen Euro Schadenersatz wegen der Bundespräsidentenwahl klagt. Man müsse bedenken, dass diese Klage in eine Zeit von Sozialabbau und Kürzungspolitik falle. „Das ist unanständig“, so Drozda. Auch sei völlig unklar, wer geklagt werden solle. „Ganz offenbar hat die ÖVP den Koalitionspartner nicht im Griff. Der Kanzler ist aufgerufen, dieses Treiben zu beenden“, so Drozda in der Aussendung.

Der Klubchef von Jetzt (vormals Liste Pilz), Bruno Rossmann, warf Kurz nach dem Interview Selbstverliebtheit vor. Die Bilanz nach einem Jahr seien „Rechtsruck und soziale Kälte“. Rossmann sprach von einer „schamlosen Umverteilung von unten nach oben“ und einem „Totalversagen“ etwa beim Klimaschutz.

Leichte Einbußen für Kurz

Erstmals büßt Kurz in der Kanzlerfrage ein, wie ebenfalls „profil“ berichtet. Gaben vor einem Monat 41 Prozent der Befragten an, sie würden Kurz direkt zum Kanzler wählen, sind es im Dezember nur noch 37 Prozent. In der Sonntagsfrage lag die ÖVP mit unverändert 35 Prozent sicher an erster Stelle (SPÖ 26, FPÖ 22 Prozent). Laut der Umfrage sind zudem 32 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher der Meinung, Österreichs Stellenwert in der EU habe sich im Verlauf des Jahres 2018 verschlechtert.

Im vergangenen Halbjahr hatte Österreich den EU-Ratsvorsitz inne – nicht zum Gefallen einiger Kritiker. In Interviews übten konservative und liberale Europapolitiker auch scharfe Kritik an der Vorsitzführung der Bundesregierung und insbesondere an Österreichs Rückzug aus dem UNO-Migrationspakt. „Es ist eine Schande, dass sich Kurz von der extremen Rechten dazu bringen ließ, sich von diesem Pakt zurückzuziehen. Dieser engstirnige Egoismus hat die Position der EU geschwächt“, sagte der Chef der Liberalen im EU-Parlament, Guy Verhofstadt. Auch der frühere EU-Agrarkommissar Franz Fischler (ÖVP) meinte, „das sei im Rest der Welt nicht verstanden“ worden.

Nehammer ortet „verschiedene Grundsätze“

„Wenn es einen Dominoeffekt gab, zeigt dies, dass wir richtig lagen“, verteidigte EU-Minister Gernot Blümel (ÖVP) das Vorgehen. Er sprach von einem „Paradigmenwechsel“ bei der EU-Migrationspolitik und lobte auch die Bewegung, die in die EU-Erweiterung gekommen sei. „Das genügt nicht“, meinte Fischler, dem die „emotionsgeladene Politik“ von Kurz generell missfällt. „Die Migrationsfrage wurde viel zu hoch gespielt. Aber es blieb bei Ansagen.“ Wäre dieselbe Energie auf Klimaschutz und die EU-Erweiterung am Balkan verwendet worden, „wären wir weiter“.

Verhofstadt wiederum sieht bei der Steuerung der Zuwanderung und beim EU-Grenzschutz eine verpasste Chance: „Herr Kurz hätte die europäische Karte spielen sollen: Er hätte dabei auf das Europäische Parlament zählen können, aber er hat diese Chance versäumt.“ ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer reagierte via Aussendung auf Verhofstadt: Seine Kritik sei „pure Heuchelei“. Verhofstadt spreche „über ‚Schande und Egoismus‘ und verliert dabei kein Wort über seinen eigenen Parteikollegen“, den tschechischen Premier Andrej Babis. Dieser habe den Migrationspakt ebenso nicht unterzeichnet. "Offenbar gelten hier verschiedene Grundsätze“, so Nehammer.