Demonstranten in Budapest
Reuters/Bernadett Szabo
„Sklavereigesetz“

Druck auf Orban steigt

Seit Jahren regiert Ministerpräsident Viktor Orban Ungarn – auch regelmäßige Proteste haben dem rechtspopulistischen FIDESZ-Chef bisher nicht geschadet. Doch ein von ihm verabschiedetes Arbeitsgesetz lässt den Druck auf Orban nun steigen. Am Sonntag gab es erneut Demonstrationen – nicht nur in Budapest.

Dem Demonstrationsaufruf von Opposition und Gewerkschaften folgten Medienberichten zufolge mehr als 15.000 Menschen. Die Kundgebung gegen die von Kritikerinnen und Kritikern als „Sklavereigesetz“ bezeichnete Neuregelung der Arbeitszeit verlief anders als vorige Proteste friedlich. Die Proteste richten sich mittlerweile auch gegen andere politische Maßnahmen Orbans.

Parallel zur Budapester Aktion wurde auch in sechs anderen ungarischen Städten demonstriert, etwa in Györ und Debrecen. Bereits am Mittwoch, Donnerstag und Freitag war es zu Ausschreitungen und Tätlichkeiten auf dem zentralen Budapester Kossuth-Platz gekommen, bei denen die Polizei mit Tränengas gegen die Demonstranten vorging, die Rauchgranaten und Flaschen auf die Polizisten geworfen hatten.

Demonstranten in Budapest
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Menschen auf dem Weg vom Budapester Bahnhof Nyugati zur Demonstration

400 Überstunden pro Jahr

Die Demonstranten riefen „Orban, hau ab“, „Wir haben genug“ und forderten „Demokratie“. Auf der Demonstration waren alle Oppositionsparteien vertreten, deren Redner die Wichtigkeit des Zusammenschlusses betonten. „Wir haben genug, allein zu kämpfen“, sagte Timea Szabo von der Partei Parbeszed (Dialog). Anna Donath von der Kleinpartei Momentum wünschte Orban zum Abschluss der Demonstration ein frohes Weihnachtsfest, „das Sie nie vergessen werden“. Vor allem aber machte sie klar, dass die Proteste fortgesetzt würden: „Wir werden nicht müde. Wir werden nicht nach Hause gehen. Heute sind wir doppelt so viele wie gestern. Wir werden jeden Tag mehr. Das ist eine Massenbewegung.“

Der Bischof von Vac, Miklos Beer, hatte in einem Brief an die Organisatoren der Demonstration betont: „Ich achte Euch für Eure Ausdauer, dafür, dass Ihr einander trotz Kälte bei dem Erreichen Eurer Ziele unterstützt.“ Laut dem Bischof sind die Menschen verbittert, da ihre Stimme nicht gehört werde.

Demonstranten in Budapest
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Die Hauptkundgebung neben dem Parlament verlief am Sonntag friedlich

13 Abgeordnete übernachteten im Staats-TV

Ein Teil der Demonstranten zog nach der Kundgebung über die Donau und ging unter lautstarken Rufen für freie Medien zum Sitz des staatlichen Fernsehens MTV. Die Polizei setzte Tränengas ein, um die Menge zu zerstreuen.

Trotzdem gelang es einem Teil der Teilnehmer am späten Sonntagabend, bis zum Sender zu gelangen. 13 Parlamentsabgeordnete der Opposition verschafften sich Zutritt zu dem Gebäude und verbrachten dort die ganze Nacht. Sicherheitsleute hinderten sie jedoch daran, die Nachrichtenstudios zu erreichen, um eine Petition verlesen zu lassen.

Zwei der Abgeordneten, die beiden Fraktionslosen Bernadett Szel und Akos Hadhazy, warf der Sicherheitsdienst des Fernsehens Montagfrüh gewaltsam aus dem Gebäude. Die anderen elf blieben indessen noch dort, berichtete das Nachrichtenportal Index.hu.

Am Vormittag übertrugen Abgeordnete live via Facebook aus dem TV-Gebäude. Unter anderen sprach dabei der sozialistische EU-Abgeordnete Peter Niedermüller live auf Deutsch und betonte, man wolle nur die fünf Forderungen der Allianz im Fernsehen vortragen. Man warte auf eine Entscheidung der MTV-Führung, die derzeit die Abgeordneten durch Sicherheitskräfte vom Betreten der Studios abhalte.

Vierte Demo binnen weniger Tage

Es war bereits die vierte Kundgebung innerhalb weniger Tage gegen ein Gesetz, das es Arbeitgebern ermöglicht, von ihren Angestellten bis zu 400 Überstunden pro Jahr zu verlangen und Gehaltszahlungen hinauszuzögern.

Die Demonstranten, die eine breite politische Koalition bilden, verurteilten die Neuregelung als „Sklavereigesetz“. Sie waren einem gemeinsamen Protestaufruf von Oppositionsparteien gefolgt, die von den Grünen über Sozialisten (MSZP) und Liberale bis zu extrem rechten Parteien, etwa Jobbik, ein breites ideologisches Spektrum vertreten.

Bisher größte Protestwelle

Das Gesetz war am Mittwoch vom Parlament verabschiedet worden. Es löste die bisher größte Protestwelle seit Beginn von Orbans Amtszeit 2010 aus. Dabei wurden schon Dutzende Menschen festgenommen und mehr als ein Dutzend Polizisten verletzt.

Die Proteste richten sich auch gegen ein ebenfalls am Mittwoch vom Parlament verabschiedetes Gesetz für neue „Verwaltungsgerichte“. Diese sollen von Justizminister Laszlo Trocsanyi beaufsichtigt werden, einem engen Verbündeten von Regierungschef Orban. Kritiker warnen vor einem übermäßigen politischen Einfluss auf das Justizsystem.

Verteidiger Orbans prangerten die Proteste an und warfen einmal mehr dem ungarischstämmigen US-Finanzinvestor und Philantropen George Soros vor, hinter den Kundgebungen zu stehen. Anfang des Monats hatte die von Soros finanzierte Central European University, die von deren Absolventen Orban seit Jahren kritisiert und per Gesetz eingeschränkt wird, angekündigt, von Budapest nach Wien zu übersiedeln.