Rumänische und EU-Flagge
AP/Geert Vanden Wijngaert
Rumänien

Mit Anti-EU-Rhetorik in den Ratsvorsitz

Am 1. Jänner übernimmt Rumänien erstmals den EU-Ratsvorsitz. Auf Bukarest warten zahlreiche Herausforderungen – dass das Land ihnen gewachsen ist, wird vielerorts bezweifelt. Zuletzt sorgte die rumänische Regierung mit Anti-EU-Rhetorik in Brüssel für Kopfschütteln.

Konflikte zwischen der EU-Kommission und den Regierungen einzelner Mitgliedsstaaten gibt es immer wieder. Dass aber die Regierungschefin eines Landes, das in Kürze den EU-Ratsvorsitz übernehmen wird, heftige Vorwürfe gegen Brüssel erhebt, dürfte ein Novum sein. „Wir werden kritisiert, ohne es zu verdienen, wir werden bestraft, nur weil wir ein osteuropäisches Land sind“, sagte Rumäniens Premierministerin Viorica Dancila Mitte Dezember auf einem Konvent ihrer Sozialdemokratischen Partei (PSD). Sie sei eine „überzeugte Pro-Europäerin, aber ich verlange, dass dieses Land respektiert wird“. Ihre Partei dürfe die „Attacken“ aus Brüssel „nicht mehr hinnehmen“.

Auch der Chef der PSD, Liviu Dragnea, ritt scharfe Attacken: Die EU habe Rumänien aufgefordert, vom Parlament in Bukarest verabschiedete Gesetze zurückzunehmen, obwohl doch nationale „Parlamente überall in Europa souverän“ seien, dem Land sei auferlegt worden, „Urteile des Verfassungsgerichts zu missachten“ und „Abberufungsverfahren (leitender Staatsanwälte) einzustellen“ Sofern „wir das alles nicht wollen, müssen wir kämpfen“, sagte Dragnea, der als Strippenzieher der rumänischen Politik gilt. Wegen einer rechtskräftigen Verurteilung kann er selbst nicht Premierminister werden.

Europawahl vor der Tür

Hintergrund der Auseinandersetzung ist die Kritik Brüssels an den Justizreformen der rumänischen Regierung. Seit dem EU-Betritt Rumäniens im Jahr 2007 überwacht die Kommission die Bemühungen des Landes im Kampf gegen die Korruption. Der jüngste Bericht zur Lage fiel vernichtend aus. Wegen der Eingriffe in die Unabhängigkeit der Justiz könnte Rumänien sogar ein EU-Rechtsstaatlichkeitsverfahren drohen, wie es aktuell gegen Polen und Ungarn läuft.

In Brüssel bereitet sich Rumäniens diplomatisches Personal unterdessen auf die Übernahme der Ratspräsidentschaft für die kommenden sechs Monate vor. „Es ist unser erstes Mal. Wir sind schon sehr aufgeregt“, sagte Rumäniens EU-Botschafterin Luminita Odobescu im Gespräch mit dem ORF, das vor den Aussagen Dancilas geführt wurde. Die Herausforderungen sind groß, und die Zeit drängt: Die aktuelle EU-Kommission unter Jean-Claude Juncker geht 2019 in ihr letztes Amtsjahr. Ende Mai wird ein neues Europaparlament gewählt.

Rumäniens Premierministerin Viorica Dancila
Reuters/Vincent Kessler
Rumäniens Premierministerin Dancila: „Wir werden kritisiert, ohne dass wir es verdienen“

Bis dahin möchte man noch möglichst viele Rechtsakte abschließen, so Odobescu. „Wir werden eine bürgernahe Präsidentschaft sein“, versprach die Spitzendiplomatin. Gerade vor der Europawahl sei es wichtig, „der Bevölkerung zu zeigen, dass man vorankommt und dass wichtige Entscheidungen für ihre Zukunft getroffen werden“.

Vorbereitungen für den Brexit

Ein inhaltlicher Brocken sind die Verhandlungen über den Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) der EU. Gemeint ist das Budget der Union zwischen 2021 und 2027. Einer der großen Punkte dabei ist die Kohäsionspolitik, auf die sich auch das Motto der rumänischen Ratspräsidentschaft bezieht: „Kohäsion, ein gemeinsamer europäischer Wert.“ Hinter dem Begriff verbergen sich Förderprogramme, mit denen die wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede zwischen den Regionen ausgeglichen werden sollen.

Ebenfalls in die Zeit der rumänischen Ratspräsidentschaft fällt der Vollzug des Brexits. Noch lässt sich nicht sagen, ob der Austritt des Vereinigten Königreichs geordnet ablaufen wird oder nicht. „Als Präsidentschaft müssen wir vorbereiten und umsetzen, was die Staats- und Regierungschefs vereinbaren“, sagte Odobescu – im Falle eines „harten“ Brexits die Notfallpläne der EU.

Rumäniens Präsident Klaus Werner Johannis
APA/AFP/Emmanuel Dunand
Der rumänische Präsident Klaus Johannis bezweifelt, dass sein Land bereit für den EU-Vorsitz ist

Einen weiteren Schwerpunkt der rumänischen Präsidentschaft fasst Odobescu unter „Safer Europe“ zusammen. Dabei geht es um das Voranbringen von Anti-Terror-Maßnahmen, den „Kampf gegen ‚Fake News‘“ und Lösungen in der Migrationspolitik. Ebenfalls Thema sein wird das Heranführen der Staaten des Westbalkans und Südosteuropas an die Europäische Union. Dazu werde es einige Treffen in Rumänien geben mit besonderem Fokus auf Digitalisierung, Verkehr und „Interconnectivity“, so Odobescu. Außerdem gibt es etwas zu feiern – das zehnjährige Jubiläum der „Östlichen Partnerschaft“, die im Mai 2009 ins Leben gerufen wurde.

„Sind nicht vorbereitet“

Bei EU-Gipfeln in Brüssel wird Rumänien nicht von Premierministerin Dancila, sondern von Präsident Klaus Johannis vertreten. Der konservative Politiker liegt mit der Koalitionsregierung aus Sozialdemokraten und Liberalen im Dauerclinch, aktuell wegen eines Amnestiegesetzes, das korrupten Personen aus Politik und Verwaltung eine Strafe ersparen würde. „Meiner Meinung nach sind wir nicht darauf vorbereitet“, sagte Johannis Mitte November mit Blick auf die Übernahme des Ratsvorsitzes.

Unmittelbarer Grund war der Rücktritt von Europaminister Viktor Negrescu, der als Hoffnungsträger für eine Erneuerung der rumänischen Sozialdemokratie galt. Angesprochen auf die Kritik ihres Präsidenten sagte EU-Botschafterin Odobescu: „Es gibt einen Konsens in Rumäniens politischer Klasse über die Präsidentschaft. Es ist ein wichtiges Projekt und eine große Chance für Rumänien.“

Luftaufnahme einer Demonstration in Bukarest mit Zehntausenden Teilnehmern
Reuters/Inquam Photos
Im August kam es in Bukarest und anderen rumänischen Städten zu Massenprotesten gegen die Regierung

„Ich würde die politische Situation (in Rumänien, Anm.) nicht überbetonen“, sagte Rumäniens neuer Europaminister Geogre Ciamba dem Magazin „Politico“. Seine Regierung stehe in Gesprächen mit der EU-Kommission über den jüngsten EU-Bericht zum Kampf gegen die Korruption in Rumänien. Für Kommissionspräsident Juncker ist das Land gut vorbereitet auf den Ratsvorsitz. Allerdings: „Je mehr Rumänien für Rechtsstaatlichkeit und gegen Korruption tut, desto einfacher wird es in der Ratspräsidentschaft zu Ergebnissen kommen.“