Erstes Foto der Mondrückseite, erstellt von der chinesischen Sonde Chang’e-4
AP/Xinhua News Agency
Premiere

Pekings Coup auf der „dunklen“ Seite des Mondes

Im Jubiläumsjahr der ersten bemannten Mondlandung ist am Donnerstag um 3.26 Uhr die chinesische „Chang’e 4“ als erste Raumsonde überhaupt auf der Rückseite des Mondes gelandet. Bisher ist nur wenig über den von der Erde abgewandten Part des Mondes bekannt. Mit der Landung legt die Volksrepublik also einiges vor – und wartet einstweilen auf den Rest der Welt „on the dark side of the moon“.

Rund um den Globus staunen die Menschen nicht schlecht über die ersten Fotos, die „Chang’e 4“ aus dem Aitken-Krater in der Nähe vom Südpol des Erdtrabanten liefert. Zwar nahm die sowjetische Sonde Lunik 3 schon 1959 die ersten Bilder von der Mondrückseite auf, doch landete sie nicht dort.

Ebenso wenig die Astronauten von Apollo 8, die aber 1968 als erste Menschen immerhin die Hinterseite mit bloßem Auge bestaunen durften, kurz bevor die bemannte Apollo 11 dann 1969 auf der Vorderseite landete.

Anspruchsvolle Landung

Auf der Rückseite des Mondes zu landen ist in der Tat etwas ganz Besonderes. China hatte die Mission im Vorfeld als sehr anspruchsvoll bezeichnet. Aus diesem Grund machte sich unter den Wissenschaftlern im Pekinger Kontrollzentrum auch große Erleichterung breit, als die Sonde endlich gelandet war. Denn während die der Erde zugewandte Seite des Mondes viele flache Stellen zum Landen hat, ist die größtenteils unerforschte Rückseite des Erdtrabanten deutlich schroffer und bergiger.

Aufnahme des Mondes, erstellt von der chinesischen Sonde Chang’e-4
APTN/CGTN
Für Laien unterscheidet sich die Mondrückseite nur wenig von der Vorderseite. Experten aber wissen: Eine Landung ist dort viel schwieriger.

Roboter soll Terrain auskundschaften

Als Hürde galt für „Chang’e 4“ außerdem die reibungslose Kommunikation mit der Erde, weil auf der Rückseite des Mondes keine direkte Funkverbindung aufgebaut werden kann. Deshalb brachten die Chinesen bereits im Mai den Übertragungssatelliten „Queqiao“ („Brücke der Elstern“) in Position, um Signale aus dem Funkschatten senden zu können.

Grafik zeigt die Erdzu- und abgewandte Seite des Mondes mit bisherigen Mondlandungen
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/dpa/Planetary Society/CGWIC; Fotos: NASA/Goddard/Arizona State University

An Bord der „Chang’e 4“ befand sich das Roboterfahrzeug „Jadehase 2“, das Donnerstagabend erstmals selbst die Mondoberfläche berührte. Auf einer zur Erde gesendeten Aufnahme sind das Fahrzeug mit ausgeklappten Solarzellen sowie seine ersten Spuren im lockeren Mondboden zu sehen. Der Roboter soll nun das Terrain um die Landestelle erkunden.

Er muss unter harten Bedingungen funktionieren. Während der Mondnacht, die 14 Tagen auf der Erde entspricht, sinken die Temperaturen auf bis zu minus 173 Grad Celsius. Während des Mondtages, der ebenfalls 14 Tage dauert, wird es bis zu 127 Grad warm. Die Instrumente müssen diesen Schwankungen standhalten und während der hellen Zeit genug Energie tanken, um die dunkle Zeit zu überstehen.

Saatgut mit an Bord

Mit einem reibungslosen Ablauf der Mondmission soll unter Beweis gestellt werden, dass Chinas ambitioniertes Raumfahrtprogramm große Fortschritte macht. Geplant sind unter anderem Experimente mit niedrigen Radiofrequenzen. Ohne die Erdatmosphäre und andere Störungen können Astronomen in der Stille des Alls besser Signale auffangen. Sie hoffen so auf neue Erkenntnisse über die Entstehung der Sterne.

Simulation der chinesischen Sonde Chang’e-4
AP/Xinhua News/Jin Liwang
Eine Animation zeigt wie die Raumsonde aussieht

Außerdem hat „Chang’e 4“ Saatgut geladen, mit dem geprüft werden soll, ob Gemüseanbau in einer geschlossenen Umgebung bei der niedrigen Schwerkraft der Mondoberfläche möglich ist. An Bord ist auch ein von einem Forschungsteam der Kieler Christian-Albrechts-Universität in Deutschland entwickeltes Strahlenmessgerät. Das Experiment soll mindestens ein Jahr lang die Strahlung und den Wassergehalt des Bodens messen und die Daten zur Erde schicken. Diese Erkenntnisse daraus sollen helfen, zukünftige bemannte Mondmissionen vorzubereiten.

Wissenschaftsredakteur Günther Mayr zur Sondenlandung

Der Leiter der ORF-Wissenschaftsredaktion spricht über die Bedeutung der Sondenlandung und erklärt, warum das Interesse für die Rückseite des Mondes so groß ist.

Im Wettkampf mit den USA und Russland

„Chang’e 4“ war am 8. Dezember von der Erde gestartet und erreichte laut Staatsfernsehen am 12. Dezember die Mondumlaufbahn. Mit „Chang’e 3“ hatte China erstmals 2013 eine Sonde auf der Vorderseite des Erdtrabanten gelandet – weit später als Russland und die USA. Die USA hatten nach unbemannten Sonden zwischen 1969 und 1972 insgesamt zwölf Astronauten auf die Mondvorderseite gebracht.

Meilenstein der Raumfahrt

China ist es gelungen, eine Raumsonde auf der Rückseite des Mondes zu landen. Die Mission galt als äußerst anspruchsvoll, weil die der Erde abgewandte Seite des Mondes weitgehend unerforscht ist.

„Die Landung hat vor allem einen großen symbolischen Wert“, kommentierte der Dortmunder Techniksoziologe und Weltraumexperte Johannes Weyer Chinas Landung. Die Amerikaner hätten sich in der Vergangenheit mit den Russen einen Wettkampf um die Vorherrschaft im All geliefert – und gewonnen. Jetzt kommen die Chinesen, „die demonstrieren, dass sie eine technologische Großmacht sein wollen“.

„Alles baut aufeinander auf“

Und kaum ist die nach der chinesischen Mondgöttin benannte „Chang’e 4“ gelandet, steht auf Pekings eng durchgetaktetem Weltraumplan schon die nächste Mission an. Mit „Chang’e 5“ sollen noch in diesem Jahr Gesteinsproben zurück auf die Erde gebracht werden. 2030 soll dann erstmals ein Chinese auf dem Mond landen. „Alles baut aufeinander auf“, sagte Ouyang Ziyuan, führender wissenschaftlicher Berater des chinesischen Mondprogramms. China denke sehr langfristig und zeigt auch Interesse an den Rohstoffen auf dem Mond – besonders Helium-3. Das Isotop gilt als möglicher Brennstoff für Kernfusionskraftwerke in ferner Zukunft.

Raumfahrt-Kontrollzentrum in Peking
APTN/CGTN
Im Kontrollzentrum in Peking beobachteten Dutzende Wissenschaftler die Landung genau

Doch nicht nur auf dem Erdtrabanten verfolgt Peking ambitionierte Pläne. 2018 schickte China zum ersten Mal mehr Raketen in den Orbit als jedes andere Land. Die Last, die neue Raketengenerationen ins All tragen können, steigt dabei stetig. So soll für China nicht nur bald schon eine Reise zum Mars Wirklichkeit werden, sondern bereits in naher Zukunft der Bau einer großen chinesischen Raumstation gelingen, die ständig bemannt ist. 2022 soll sie betriebsbereit sein.

Chinas Raumfahrtvorhaben dienen nicht nur dem Prestige und der wissenschaftlich-technischen Entwicklung, verfolgt werden ganz klar auch militärische Interessen. Militärexperten in China verweisen gerne darauf, dass künftige Kriege im All gewonnen werden. „Wer Raketen in den Weltraum schießt, kann auch andere Länder bedrohen. Das muss man immer im Hinterkopf haben“, sagte Weltraumexperte Weyer. Auf die neue militärische Konkurrenz im All stellen sich die USA unter Präsident Donald Trump längst ein. Er hat ein neues militärisches Führungskommando „Space Command“ ins Leben gerufen.

„Dunkle Seite“ nicht dauerhaft dunkel

Die Rückseite des Mondes galt lange als Mysterium, denn von der Erde aus ist sie nicht sichtbar. Dauerhaft dunkel aber ist die der Erde abgewandte Seite des Trabanten deshalb noch lange nicht – auch wenn spätestens seit Pink Floyds legendärem Rockalbum „The Dark Side of the Moon“ von 1973 immer wieder über eine „dunkle Seite des Mondes“ fantasiert wird.

Arbeiter an einem Förderband, auf dem Modelle der Raumsonde Chang E4 stehen
Reuters
In einer Fabrik in der Provinz Guangdong stellen Arbeiterinnen Modelle der „Chang’e 4“ im Spielzeugformat her

Fakt ist: Der Mond dreht sich so um die Erde, dass er ihr immer dieselbe Seite zuwendet. Eine Umrundung dauert rund vier Wochen. Innerhalb dieser Zeit bestrahlt die Sonne reihum alle Seiten des Mondes. Bei Vollmond wird die der Erde zugewandte Seite des Mondes erhellt, bei Neumond die abgewandte.

„The Dark Side of the Moon“, Titel eines der meistverkauften Alben aller Zeiten, geht übrigens ursprünglich nicht auf die Musiker von Pink Floyd zurück. Quelle ist eine Metapher des amerikanischen Schriftstellers Mark Twain (1835 bis 1910): „Jeder ist ein Mond und hat eine dunkle Seite, die er niemandem zeigt.“ Ihm ging es dabei um die verschiedenen Facetten eines Charakters – und nicht um Astronomie.