Uhr auf dem Big Ben in London
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Brexit

Countdown zu entscheidender Abstimmung

Für die zukünftige Beziehung Großbritanniens mit der EU wird es ernst: Kommende Woche steht im britischen Unterhaus die entscheidende Abstimmung über das ausgehandelte Brexit-Abkommen an. Ab Mittwoch beginnen dort auch wieder die Debatten. Der Ausgang der Abstimmung ist noch unklar – mehrere Szenarien sind derzeit möglich.

Wenige Tage vor der Abstimmung am Dienstag, dem 15. Jänner, versucht Premierministerin Theresa May weiter Unterstützung für ihr umstrittenes Brexit-Abkommen zu erlangen. Die Beratungen im Unterhaus über den mit der EU ausverhandelten Vertragsentwurf werden am Mittwoch und Donnerstag wieder aufgenommen. Sie könnten bis Freitag dauern, erklärte ein Sprecher.

Eine Mehrheit für den Deal ist wenige Monate vor dem geplanten Austritt im März noch nicht in Sicht. Weder in ihrer eigenen Konservativen Partei noch bei der nordirischen DUP, auf deren Stimmen Mays Minderheitsregierung angewiesen ist, gibt es Bewegung. Damit befindet sich May in einer ähnlichen Situation wie im Dezember. Damals hätte im Unterhaus bereits über den Brexit-Vertrag abgestimmt werden sollen – doch May drohte eine Niederlage. Die Abstimmung wurde verschoben.

Neue Hürde für „No-Deal-Brexit“

Wenige Tage vor der angekündigten Abstimmung musste May im Parlament einen Rückschlag hinnehmen. Die Abgeordneten setzten durch, dass die Regierung bei einem „No-Deal-Brexit“ ausdrücklich die Zustimmung des Parlaments benötigt, bevor sie auf bestimmte Befugnisse bei der Steuergesetzgebung zurückgreifen kann. 303 Parlamentarier stimmten für diesen Weg, 296 dagegen. Mays Büro hatte die Bedeutung der Abstimmung zuvor heruntergespielt und erklärt, es handle sich um eine eher technische Sache. Tatsächlich spiegelt das Ergebnis aber auch Mays schwache Position wider.

Nordirland-Frage bleibt Knackpunkt

Für ein Scheitern des ausgehandelten Abkommens sprechen vor allem die unterschiedlichen Positionen zur Nordirland-Frage: Auf Ablehnung stößt die Notfallregelung, mit der eine feste Grenze zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem EU-Mitglied Irland verhindert werden soll.

Dieser Backstop würde das Vereinigte Königreich Kritikern zufolge langfristig an die EU binden. May versucht in der Frage in den kommenden Tagen noch Zugeständnisse der EU zu erlangen. Die EU-Kommission kündigte allerdings an, nicht mehr am Abkommen rütteln zu wollen.

Grafik zeigt eine Factbox zu weiteren Terminen und möglichen Szenarien beim geplanten britischen EU-Austritt
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Sollte eine Mehrheit der Abgeordneten im Unterhaus gegen das Abkommen stimmen, wären einem ungeregelten Austritt, Neuwahlen, Neuverhandlungen bzw. Verschiebung des Abkommens aber auch einem zweiten Referendum Tür und Tor geöffnet.

Barclay: „Wir streben keine Verlängerung an“

Bisher hat die Regierung in London jedoch erklärt, dass Großbritannien die EU ohne einen Deal verlässt, wenn das Unterhaus nicht zustimmt. Nichtsdestoweniger äußerten sich am Dienstag gleich mehrere Minister kritisch gegenüber einem ungeordneten Austritt und wollen so offenbar Druck auf das Parlament ausüben. Besonders die Brexit-Hardliner unterstützen so einen „harten“ Brexit. Mehr als 200 der 650 britischen Parlamentarier appellierten zuletzt in einem parteiübergreifenden Brief gegen einen ungeregelten Austritt. Sie sorgen sich um Arbeitsplätze und Folgen für die Wirtschaft.

In den vergangenen Tagen machte jedoch auch ein Bericht die Runde, wonach London eine Verschiebung des für Ende März angesetzten Austritts erwägen würde. „Wir streben keine Verlängerung (Anm. des Artikels 50) an“, sagte daraufhin Brexit-Minister Stephen Barclay. Die Zeitung „Daily Telegraph“ hatte unter Verweis auf drei Quellen berichtet, britische Regierungsvertreter hätten in Brüssel vorgefühlt, ob eine Verschiebung des Austritts möglich sei.

27 EU-Länder müssten Aufschub zustimmen

Für einen Aufschub des Artikels 50 wäre die Zustimmung der verbleibenden 27 EU-Staaten notwendig. Der Artikel 50 des Vertrags über die Europäische Union regelt den Austritt eines Mitgliedsstaates – demnach endet die Mitgliedschaft spätestens zwei Jahre nach dem erklärten Austritt. Ein EU-Diplomat nannte die Option der Verschiebung des Austritts eine „sehr hypothetische Variante“, die niemand bevorzugen würde.

Durchaus möglich wäre eine Ausweitung um wenige Wochen aber nur dann, wenn der Abschluss des Ausstiegsvertrages unmittelbar bevorstünde. Kompliziert würde die Sache durch die Wahlen zum Europäischen Parlament Ende Mai. Großbritannien ist dann eigentlich nicht mehr dabei. Die Sitze der Parlamentarier von der Insel fallen weg.

Einer zweiten Volksabstimmung über den Verbleib in der EU erteilte May mehrmals eine Absage und erklärte, ein neues Votum sei vor dem geplanten Austrittsdatum am 29. März auch gar nicht machbar. Bei einem solchen Referendum hätten einer Befragung auf der Umfrageplattform YouGov zufolge im Moment die Brexit-Gegner die Oberhand. Wenn es derzeit eine zweite Volksabstimmung gäbe, sprächen sich 46 Prozent für einen Verbleib und 39 dagegen aus, hieß es. Labour-Chef Jeremy Corbyn setzt hingegen auf eine Neuwahl.

Doppelstaatsbürgerschaft für Österreicher

Österreich bereitet sich – wie die restlichen 26 EU-Länder – auf einen ungeregelten Brexit vor. Den rund 25.000 in Großbritannien lebenden Österreicherinnen und Österreichern soll die Möglichkeit einer Doppelstaatsbürgerschaft eröffnet werden. Das kündigte FPÖ-Außenministerin Karin Kneissl am Dienstag in einer Pressekonferenz an. Zu diesem Zweck müsse sich Österreich teilweise aus der Europaratskonvention zur Vermeidung von Doppelstaatsbürgerschaften zurückziehen.

Prinzipiell sollen Doppelstaatsbürgerschaften Kneissl zufolge weiter vermieden werden, aber Ausnahmeregelungen für drei Gruppen geschaffen werden: Österreicher in Großbritannien, Überlebende der Schoah und deren Nachkommen sowie – wie bereits sowohl innen- als auch außenpolitisch kontroversiell diskutiert – für deutschsprachige und ladinische Südtiroler.

Andererseits wären die in Österreich lebenden Britinnen und Briten im Falle eines „Hard Brexits“ wie normale Drittstaatsangehörige zu behandeln und müssten einen neuen Aufenthaltstitel beantragen, teilte Innenministeriumssprecher Christoph Pölzl mit. Ob Österreich in einem solchen Fall Sonderregelungen einführen wird, ist laut Innenministerium noch offen.