Britische Premierministerin Theresa May
AP/PA/Ben Birchall
May warnt

Nein zu Deal könnte Brexit verhindern

Großbritanniens Premierministerin Theresa May hat am Montag eindringlich vor einem Nein der britischen Abgeordneten zu dem von ihr ausgehandelten Brexit-Deal gewarnt. Eine Ablehnung könnte zu einer „Lähmung“ des Parlaments führen, die „riskieren“ würde, dass es zu „keinem Brexit“ kommt, sagte sie in einer Rede.

May besuchte am Montag Stoke-on-Trent, eine Stadt, die mehrheitlich für den Brexit stimmte. Auf die Frage, ob sie selbst an ein positives Abstimmungsergebnis glaube, sagte May, dass sie daran arbeite „sicherzustellen, dass es dazu kommt“ – sie sagte jedoch nicht, wie wahrscheinlich das sei.

Einer Verschiebung des Austritts und einem zweiten Referendum erteilte sie erneut eine Abfuhr. Gefragt, ob sie eine Verlängerung der Übergangsphase ausschließe, legte sie sich in ihrer Antwort jedoch nicht eindeutig fest: „Ich glaube nicht, dass wir Artikel 50 verlängern sollten, und ich glaube nicht, dass wir ein weiteres Referendum haben sollten“, so May.

May appelliert an Gewissen vor Abstimmung

In der Rede vor Fabriksmitarbeitern, deren Manuskript bereits Montagfrüh der britischen Nachrichtenagentur PA vorlag, sagte May, dass sie die Abgeordneten ermahnen werde, dass es ihre Pflicht sei, das Ergebnis des Referendums umzusetzen. Wenn das nicht geschehe, werde das Vertrauen in Politiker katastrophal geschädigt.

„Es gibt einige in Westminster, die den Brexit verzögern oder sogar stoppen wollen und die jedes ihnen zur Verfügung stehende Mittel nutzen werden, um das zu tun“, so May in ihrer Rede. Die Abgeordneten seien eindringlich aufgerufen, „die Folgen ihres Handelns für den Glauben des britischen Volkes an unsere Demokratie zu berücksichtigen“. Sie glaube nun, dass es wahrscheinlicher sei, dass die Abgeordneten den Brexit vereitelten, als ein Austritt ohne Abkommen.

Am Nachmittag wird sich May einem Bericht des Senders Sky zufolge auch vor dem Unterhaus zu ihrem Brexit-Abkommen äußern. Dabei soll es vor allem um den „Backstop“ gehen, der eine Notfallregelung darstellt, sollte es nicht rechtzeitig zu einer Lösung der irischen Grenzfrage kommen.

Schreiben zu „Backstop“ reicht DUP nicht

Montagmittag veröffentlichte die EU einen Brief zur Frage des „Backstop“. Darin wird unter anderem betont, dass man sich bemühen werde, bis 2020 ein Handelsabkommen zu erreichen, um den „Backstop“ nicht aktivieren zu müssen. Sollte das doch notwendig werden, solle die Regelung nur befristet in Kraft bleiben.

May bewertete den Brief der EU als wertvolle Zusicherung der Union zum Brexit-Abkommen. Er gehe zwar nicht so weit, wie manche Abgeordnete erwartet hätten. Der Brief habe aber Rechtskraft. Einige Abgeordnete würden nach anfänglichem Zweifel die Übereinkunft mit der EU mittlerweile unterstützen, sagte May in ihrer Rede. In einem Schreiben an Brüssel versicherte May, dass sich britische und EU-Politiker keine Sorgen wegen des „Backstop“ machen müssen.

Der Brief der EU macht aber auch deutlich, dass es keine Neuverhandlung des „Backstop“ geben werde – Audio dazu in oe1.ORF.at. Die nordirische DUP sagte, dass das Schreiben der EU nicht ausreiche. Das ist vor allem deshalb von Bedeutung, weil die DUP mit ihren zehn Abgeordneten die Tory-Minderheitsregierung Mays unterstützt.

Minister: „No-Deal kein nationaler Selbstmord“

Die Abstimmung über die Brexit-Vereinbarung zwischen London und den 27 anderen Mitgliedsstaaten ist am Dienstag geplant. Vieles deutet nach Auffassung von Beobachterinnen und Beobachtern auf eine Niederlage für May hin. Die Folge könnte ein ungeregelter Brexit zum Austrittsdatum am 29. März ohne Übergangsregeln sein, der zu Chaos führen könnte.

Aktivisten in London
AP/Frank Augstein
In London demonstrierten am Montag Aktivistinnen und Aktivisten für eine verbindliche Abstimmung über den EU-Ausstieg

Im Gegensatz zu May geht Handelsminister Liam Fox davon aus, dass Großbritannien bei einer Ablehnung des Deals die EU ohne Abkommen verlassen werde. Die britische Regierung wolle zwar einen Deal, bereite sich aber auch auf den gegenteiligen Fall vor, sagte Fox der BBC. „Ich betrachte einen No-Deal nicht als nationalen Selbstmord.“

Konservativer Abgeordneter geht

Am Tag vor der Abstimmung musste May noch einen personellen Rückschlag hinnehmen. Gareth Johnson, Abgeordneter und Whip – eine Funktion, die sicherstellen soll, dass die Parteilinie eingehalten wird –, gab seinen Rücktritt bekannt. In seinem Rücktrittsgesuch schreibt er, dass das Abkommen „verhindern“ würde, „die Kontrolle zurückzuerlangen“. Stattdessen könnte es dazu führen, dass Großbritannien „von der EU eingeschränkt“ wird.

Brüssel schließt Verschiebung nicht aus

Die EU hält angesichts der Situation eine Verschiebung des Brexits für möglich. Das sagten Diplomaten der dpa am Montag in Brüssel. Der „Guardian“ hatte zuvor berichtet, in Brüssel werde mit einem britischen Antrag auf Verlängerung der Austrittsfrist nach Artikel 50 der EU-Verträge in den kommenden Wochen gerechnet.

Eine „technische“ Verlängerung bis Juli wäre ein erster Schritt, um May Extrazeit zu geben, das jetzige Abkommen zu überarbeiten und bestätigen zu lassen. Noch sei kein Antrag aus London auf eine Fristverlängerung gestellt worden, hieß es aus EU-Kreisen. Zudem müssten die EU-Mitgliedsstaaten eine solche Verlängerung einstimmig beschließen.

Emotionaler Brief von EU-Abgeordneten an Briten

In einem emotionalen Brief baten unterdessen mehr als hundert Abgeordnete des EU-Parlaments die Britinnen und Briten, in der EU zu bleiben. „Wir bitten darum, im Interesse der nächsten Generation den Austritt zu überdenken“, heißt es im Entwurf des Schreibens, das Anfang der Woche in Großbritannien veröffentlicht werden soll.

„Jede britische Entscheidung, in der EU zu bleiben, würde von uns sehr begrüßt, und wir würden mit Ihnen zusammenarbeiten, um die Europäische Union zu reformieren und zu verbessern“, zitierte die deutsche Funke-Mediengruppe aus dem Schreiben. „Wir haben den enormen Einfluss der britischen Politiker und Bürger in den vergangenen 40 Jahren sehr geschätzt. Wir würden das außergewöhnliche Know-how unserer britischen Kollegen vermissen.“

Der SPÖ-Europaabgeordnete Josef Weidenholzer wollte mit seiner Initiative an die britische Bevölkerung „die Hände noch einmal ausstrecken“. 130 EU-Abgeordnete der EVP, der Sozialdemokraten, der ALDE und der Grünen haben den Wunsch unterzeichnet, dass Großbritannien doch in der EU bleibe.