Polizisten am Tatort der Messerattacke am Wiener Hauptbahnhof
APA/Herbert Neubauer
Frauenmorde

Expertinnen sehen fundamentales Problem

In den ersten 15 Tagen im Jänner sind in Österreich vier Frauen ermordet worden. Obwohl die Ereignisse nichts miteinander zu tun haben, haben sie doch eines gemein: Die ausschließlich männlichen Täter standen immer in einem Beziehungs- oder Familienverhältnis zu dem weiblichen Opfer. An Zufälle glauben Expertinnen im Gespräch mit ORF.at nicht – vielmehr an ein fundamentales Problem in der Gesellschaft.

Die grausamen Ereignisse schienen sich in den ersten Jänner-Tagen zu überschlagen: In der Nacht auf Dienstag wurde eine 25-Jährige auf dem Wiener Hauptbahnhof von ihrem 21-jährigen Bruder erstochen. Einen Tag zuvor fand man in Wiener Neustadt die Leiche einer 16-Jährigen. Sie wurde erwürgt und in einem Park gefunden. Tatverdächtig ist ihr Ex-Freund, der mehrfach wegen sexueller Belästigung und Körperverletzung angezeigt worden war.

Eine Woche zuvor wurde eine vierfache Mutter von ihrem Ehemann und vor den Augen ihrer Kinder in Amstetten in Niederösterreich erstochen. In Krumbach in Niederösterreich fügte ein Mann seiner Ex-Freundin tödliche Stichverletzungen zu. Zuvor war der Täter bereits von ihr wegen Stalkings angezeigt worden.

„Zahl erscheint dieses Jahr auffällig gehäuft“

„Das Jahr fängt extrem an“, beurteilt Andrea Brem, Leiterin der Wiener Frauenhäuser, die vier Tötungen an Frauen in nur 15 Tagen gegenüber ORF.at. „Und da sind die Versuche ja noch nicht einmal erfasst.“ Aufgrund der Zeitspanne könne man zwar statistisch noch keine Schlüsse ziehen, „jedoch erscheint die Zahl der Frauenmorde dieses Jahr schon auffällig gehäuft“, schließt sich auch Sonja Dörfler, Soziologin vom Österreichischen Institut für Familienforschung (ÖIF), dieser Einschätzung an. Zusätzlich auffällig – wenn auch statistisch gesehen nicht verwunderlich – sei auch, dass es bei den Delikten immer eine Beziehung zwischen Opfer und Täter gegeben habe.

Grafik zu Morden in Österreich seit 2010
Grafik: ORF.at; Quelle: BMI/POLIZEILICHE KRIMINALSTATISTIK

„Wir befinden uns leider gerade in einer Aufwärtsbewegung“, sagt Vincenz Kriegs-Au, Pressesprecher des Bundeskriminalamts (BK), im Gespräch mit ORF.at, und nimmt auch Bezug auf die Zahl der Frauenmorde in Österreich in den vergangenen Jahren. So fielen 2018 insgesamt 70 Menschen einem bei der Polizei zur Anzeige gebrachten Mord zum Opfer. Davon waren 41 Opfer weiblich, die Täter in diesen Fällen waren fast ausschließlich Männer.

Auch 2017 waren von 62 Opfern 36 Frauen. Zusätzlich sei nicht von der Hand zu weisen, dass das Zuhause immer noch einer der gefährlichsten Orte für Frauen sei, so Kriegs-Au weiter. Auch darauf weisen die Zahlen hin: Von Jänner bis November 2018 standen mehr als drei Viertel der Mordopfer in einem Verwandtschafts- oder Bekanntschaftsverhältnis zum Täter. Diese Zahlen beziehen sich allerdings sowohl auf weibliche als auch auf männliche Opfer.

Tatort Beziehung

Obwohl die Kriminalität in Österreich zurückgeht, ist die Zahl der Morde 2018 erneut gestiegen. Opfer sind überdurchschnittlich oft Frauen, die mit dem Täter in familiärer Beziehung standen.

Expertinnen: Hintergründe sind entscheidend

Was in den Daten vom BKA jedoch nicht exakt erfasst werde, sei eine Aufzeichnung, in welcher Beziehung genau Opfer und Täter zu einander stehen, kritisiert Dörfler. Wichtige Informationen seien etwa das genaue Verwandtschafts- oder Bekanntschaftsverhältnis (ob Bruder, Partner, Sohn usw.) sowie die Ursachen für eine Gewalttat. Dort könnte man dann in der Prävention von Gewalt ansetzen, „damit Frauen und Mädchen sensibilisiert und auch Buben und Männer geschult werden können“, zeigt sich Dörfler überzeugt und appelliert auch ans Innenministerium: „Für Gewaltprävention muss man Geld in die Hand nehmen.“

Hilfe für Betroffene

Auch für Brem ist es für die Vermeidung von Gewalttaten an Frauen wesentlich, die Ereignisse selbst und die Hintergründe nicht unter den Teppich zu kehren. Die Frauenhäuser in Österreich hätten seit Jahren viel zu tun, man habe Tausenden Frauen das Leben retten können, „doch viele Opfer von Gewalt wenden sich nicht an uns“, so Brem. Dabei gehe es auch darum, dass die Frauenhäuser nicht nur für die Aufnahme von Opfern von Gewalt da seien, sondern auch generelle Beratungsfunktion übernähmen.

Brem hofft auf Taskforce Strafrecht

Gerade der aktuelle Fall aus Krumbach, bei dem es schon eine Anzeige wegen Stalkings gegeben hatte, zeige deutlich, dass das Beratungsangebot der Frauenhäuser mehr in den Fokus gerückt werden müsse. „Sobald ich mich als Frau vor einem Mann fürchte, läuft etwas falsch“, erklärt Brem. „Wir bieten auch anonyme Beratung an.“ Es stehe jeder Frau frei, ob und wie sie auf Gewalt reagieren möchte – auch ob sie Anzeige erstatten möchte. Das Beratungsangebot könne „selbstverständlich“ in jedem Fall genutzt werden. „Dafür muss auch an Gesetzen geschraubt werden“, sagt Brem, und hofft auf die Taskforce Strafrecht, angeführt von Staatssekretärin Karoline Edtstadler (ÖVP).

Staatssekretärin Edtstadler zu Frauenmorden

Karoline Edtstadler (ÖVP), Staatssekretärin im Innenministerium, ist auch für die geplante Strafrechtsreform der Regierung zuständig. Sie spricht unter anderem über die hohe Zahl an Gewaltverbrechen an Frauen.

Die Taskforce arbeite mit Hochdruck an strengeren Strafen und an der Opferstärkung, hieß es dazu von Edtstadler Ende letzten Jahres. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) kündigte bei der Pressekonferenz zum Ministerrat am Mittwoch an, es würden in Kürze Ergebnisse präsentiert. Auch Frauenministerin Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) will sich 2019 dem Schwerpunkt Gewaltschutz widmen. Im ersten Quartal soll etwa feststehen, wie viele Plätze in Frauenhäusern bzw. wie viele Übergangswohnungen es braucht.

Zuständig für die Schaffung der Plätze sind die Bundesländer, und mit diesen will sie Gespräche führen, vor allem über bundesländerübergreifende Aufnahmen. Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) kündigte indes eine „Screening-Gruppe“ an, die sich mit den aktuellen vier Morden beschäftigen soll. Dabei sollen die Vorgeschichten der Täter sowie die Opfer-Täter-Beziehungen analysiert werden, heißt es aus via Aussendung aus dem Innenministerium.

Dörfler: „Österreich hat Nachholbedarf“

Doch um Gewalt und Unterdrückung an Frauen vermeiden zu können, appelliert Dörfler auch an die Politik, sich mehr für eine Gleichstellung und Gleichberechtigung von Frauen in der Gesellschaft einzusetzen. „Im Bereich der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau hat Österreich im internationalen Vergleich Nachholbedarf“, so Soziologin Dörfler. Besonders sichtbar sei das etwa bei der Gehalts- und Einkommensschere. Da Frauen im Schnitt weniger verdienen als Männer, „ist die Gefahr der ökonomischen Abhängigkeit der Frauen groß“. Das sei dann oft auch ein Grund, warum eine Frau keine Hilfe suche.

In Sachen allgemeine Waffenverbotszone, wie sie zuletzt Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) für die Hauptstadt vorgeschlagen hat, zeigen sich die Expertinnen Dörfler und Brem zum Teil kritisch. Als „alternativen Ansatz“ erwartet sich Brem prinzipiell einen Erfolg durch eine Waffenverbotszone im Wiener Stadtgebiet – wenn es für die Polizei auch schwierig sein würde, den Waffenbesitz de facto zu überprüfen, so Brem. Dörfler bezweifelt indes den Nutzen einer solchen Zone. „Ich glaube nicht, dass das der Weg ist. Jeder hat ein Messer zu Hause, und ein großer Teil der Morde an Frauen passieren zwischen Personen im gleichen Haushalt.“ Eine Waffenverbotszone sei deshalb „nicht der Weisheit letzter Schluss“, so Dörfler.