Es war eine tollkühne Idee, und Schwanzer war wild entschlossen, den Auftrag zu bekommen – bis heute zählt die Verwaltungszentrale von BMW in München zu den Ikonen der modernen Architektur des 20. Jahrhunderts. Der kleeblättrige Grundriss und eine verwegene Hängehauskonstruktion, an der vier runde Geschoße hochgezogen wurden, trug dem Bau später den Spitznamen „Vierzylinder“ ein.
Die Olympischen Spiele von 1972 hatten im Vorfeld einen Bauboom ausgelöst, das BMW-Areal lag genau gegenüber dem Olympia-Areal. „Ich MUSS diesen Auftrag haben“, sagt der fanatische Planer in der soeben erschienenen Graphic Novel „Schwanzer. Architekt aus Leidenschaft“. Und man erfährt, dass Schwanzer jeden einzelnen BMW-Aufsichtsrat zu Hause besuchte, um seine Entwürfe zu bewerben. Damit man sich unter seinem Konzept eines runden Großraumbüros etwas vorstellen konnte, ließ er in den Bavaria-Filmstudios 1:1 eine solche Etage nachbauen.
„Architektur muss schweben“
Anfang der 1970er Jahre hatte Schwanzers Atelier mehr als 100 Mitarbeiter und Aufträge in Wien, Graz, St. Pölten und Brasilia abgewickelt. Schlagartig bekannt war Schwanzer 1958 geworden: Für die Weltausstellung in Brüssel (von der bis heute das berühmte Atomium steht) gestaltete der Architekt den österreichischen Pavillon sowie den Europarat-Pavillon und gewann den Grand Prix für Architektur. Im „schwebenden“ oberen Teil des Österreich-Pavillons konnten Besucher damals über Kopfhörer Musik hören (auch Karajan war zugegen), im unteren Teil befand sich ein Kindergarten, in dem Expo-Gäste ihren Nachwuchs abgeben konnten.
Ulrike Matzer, Stefan Olah: Spuren. Karl Schwanzer. Traces. Birkhäuser, 128 Seiten, 49,95 Euro.
Dem Architekten war wichtig, dass das Gebäude wiederverwertbar war. Und so wurde der geniale Bau 1962 als Museum des 20. Jahrhunderts im Schweizergarten in Wien wiederaufgebaut. Das legendäre „20er Haus“ wurde zu einer der coolsten Ausstellungshallen, die Wien jemals gesehen hat. Plötzlich wehte ein Hauch von LeCorbusier durch das triste Nachkriegs-Wien, keimte eine Ahnung von Aufbruch und Internationalität auf. In der Zwischenzeit wurde die Halle saniert und umgebaut (von Schwanzer-Schüler Adolf Krischanitz) und 2011 als Belvedere21 wiedereröffnet.
Modernismus – nicht in die Wiege gelegt
Eine echte Landmark ist bis heute das „Philips-Haus“ auf dem Wienerberg. Unter Roland Rainer als oberstem Stadtplaner übernahm Schwanzer 1962 die Planungen für das Bürogebäude der Firma Philips auf der Triester Straße im Süden Wiens. Auch hier komponierte der Architekt die Spannbeton-Brückenbauelemente so elegant, dass die seitlichen Flügel des Gebäudes zu „schweben“ scheinen. Seit Kurzem heißt der elfstöckige Betonriegel „PhilsPlace“ und ist zum Appartmenthaus mutiert.
Benjamin Swiczinsky: Schwanzer. Architekt aus Leidenschaft. Graphic Novel. Birkhäuser, 97 Seiten, 29,95 Euro.
Weltläufigkeit und Modernismus waren Schwanzer nicht in die Wiege gelegt, wie die Graphic Novel von Benjamin Swiczinsky und Max Gruber nachzeichnet. 1918 als Sohn eines Justizwachebeamten geboren, war er der Erste, der in seiner Familie studierte. Das Studium an der TU in Wien wurde durch den Krieg überschattet, erst in den späten 1940er Jahren konnte der junge Architekt im Büro von Oswald Haerdtl Fuß fassen und erste Einblicke in die internationale Moderne gewinnen. Eine Erfahrung, die er später seinen Studenten weitergab.
Enthusiast, Perfektionist
„Mit der Lösung eines Problems ist man verkettet bis zur Selbstaufgabe“, schrieb Schwanzer einmal. Tatsächlich war der Architekt zeit seines Lebens ein von hohen Ansprüchen Getriebener. Schon mit 16 entwarf er ein Schrebergartenhäuschen für seine Eltern, das der Onkel – ein Zimmermann – nach den Plänen des Jugendlichen baute. Als Professor ermöglichte er seinen Studenten internationale Reisen – in der damaligen Zeit schwierig und ungewöhnlich. Für seine zahlreichen Projekte im Ausland saß er die halbe Zeit im Flugzeug. Einsamkeit und Erschöpfung waren die Kehrseite der Medaille. Am 20. August 1975 schied Schwanzer aus dem Leben.
Er wäre jetzt 100, der so ungewöhnliche wie erfolgreiche Visionär und Selfmademan, ein Anlass, den sein Sohn Martin Schwanzer, ebenfalls Architekt, nützt, um an den für Österreichs Architekturgeschichte so wichtigen Vater zu erinnern. Im vergangenen Juni ging der umfangreiche architektonische Nachlass von seinen Söhnen auf das Wien Museum über. Neben der Graphic Novel erscheint im Birkhäuser Verlag eine Publikation mit Fotografien von Stefan Olah. Der Autor und Regisseur Max Gruber lässt Burgschauspieler Nicolas Ofczarek für einen Film in die Rolle Schwanzers schlüpfen und den innovativen Nachkriegsarchitekten in Originalzitaten noch einmal zu Wort kommen.
Veranstaltungshinweis
Buchpräsentation „Spuren“ am 29. Jänner im Wien Museum mit Stefan Olah.
„Außenminister der Architektur“
Olahs fotografische Spurensuche war ergiebig. So ist nicht nur eine Bestandsaufnahme heimischer Bauwerke entstanden, etwa des Erweiterungsbaus der Hochschule für angewandte Kunst oder der Pfarrkirche Leopoldau, beide wunderbare Klinkerbauten, sondern rückt auch die österreichische Botschaft in Brasilia wieder in den Fokus, eine modernistische Visitenkarte Österreichs in tropischem Umfeld, 1974 fertiggestellt. Wäre James Bond in diesem Jahr nicht in Thailand aktiv gewesen, hätte er auch in dieser Architektur gute Figur gemacht.
Schwanzer war die visuelle Inszenierung seiner Arbeit von Anfang an wichtig. Er ließ seine Bauvorhaben schon früh von Profis dokumentieren (und engagierte dafür übrigens fast ausschließlich Fotografinnen) – für einen jungen Architekten in der Nachkriegszeit, der sich erst etablieren musste, eher ungewöhnlich. Heute würde der „Außenminister der Architektur“ seine Fotos wohl auf Instagram posten. Und genau dort kann man seit Kurzem auch das private Archiv von Schwanzer sehen.