Präsident Alexander Van der Bellen
picturedesk.com/dpa/Franziska Kraufmann
Nach Kickl-Sager

Van der Bellen kritisiert „Rütteln“ an EMRK

Ohne Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) zu erwähnen, hat sich Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Mittwoch zur Debatte über die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) geäußert. Wenn an der Konvention gerüttelt wird, wäre das „eine Aufkündigung des Grundkonsenses der Zweiten Republik“, so das Staatsoberhaupt via Twitter.

Die EMRK stehe seit 59 Jahren in Österreich im Verfassungsrang, hieß es weiter. Kickl hatte am Dienstag im ORF-„Report“ angekündigt, Grundregeln wie die Menschenrechtskonvention hinterfragen zu wollen. Angesprochen darauf, dass Ausgangssperren für Asylwerber und Asylwerberinnen sowie die rasche Abschiebung von Flüchtlingen an rechtsstaatliche Grenzen stoßen könnten – etwa die EMRK oder EU-Recht – meinte Kickl, man müsse darauf achten, nicht über die eigenen Gesetze zu stolpern.

Zwar stehe man „auf dem Boden der Rechtsstaatlichkeit“, so Kickl, aber die größte Gefahr für den Rechtsstaat sei, dass er „missbraucht wird und quasi gegen sich selbst zur Anwendung gebracht wird. Da brennt das Haus, dort liegt der Schlauch, wir wissen ganz genau, dass wir den Schlauch nehmen müssen, um das Feuer zu löschen.“ Aber „irgendwelche seltsamen rechtlichen Konstruktionen, teilweise viele Jahre alt aus ganz anderen Situationen heraus entstanden“, würden den Staat dabei hindern. Für Kickl gilt der Grundsatz, „dass das Recht der Politik zu folgen hat und nicht die Politik dem Recht“.

Moser: EMRK hat sich bewährt

ÖVP-Justizminister Moser wies genau diese Aussage zurück. „In einem Rechtsstaat steht das Recht an oberster Stelle“, sagte der ÖVP-Minister. In der österreichischen Verfassung sei klar geregelt, dass die gesamte Verwaltung nur auf Basis der Gesetze ausgeübt werden dürfe. „Ich bin mir sicher, dass auch der Bundesminister Kickl sich daran halten wird“, so Moser am Rande des Ministerrats am Mittwoch.

Ein Hinterfragen der EMRK hält Moser nicht für notwendig: „Die Menschenrechtskonvention hat sich in der Vergangenheit bewährt.“ Außerdem sei sie auch Grundlage der EU-Grundrechtecharta. Aus Mosers Sicht reichen die darin festgelegten Spielräume aus. Zuvor hatte sich ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann kritisch zu Kickls Aussagen geäußert. „Ich würde das so nicht sagen“, so Faßmann. „Die Bundesverfassung hat einen sehr stabilen Charakter, das ist nicht etwas, was man im Rahmen eines schnellen politischen Prozesses verändern soll.“

Innenminister Kickl: „Setzen Regierungsprogramm um“

Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) drängt auf Verschärfungen bei der Aberkennung von Asyl. Kritik weist er zurück. „Wir setzen damit nur das Regierungsprogramm um,“ verteidigt er seine Pläne.

FPÖ-Regierungskoordinator Norbert Hofer verteidigte seinen Parteifreund. Hofer interpretiert Kickls Aussage, dass das Recht der Politik zu folgen hat, dahingehend, dass Gesetze im Parlament beschlossen werden. „Natürlich folgen Gesetze der Gesetzwerdung und die Gesetzwerdung geschieht im Parlament – und so ist das auch zu verstehen“, so Hofer. Ziel von Wahlen sei es, dass Persönlichkeiten in gesetzgebende Körperschaften einziehen, um Gesetze zu beschließen und zu ändern.

Adamovich: „So kann man das nicht sagen“

Der langjährige VfGH-Präsident Ludwig Adamovich sprach im ZIB2-Interview über Kickls Aussage, die Menschenrechtskonvention zu hinterfragen, und erklärte die Rechtsgrundlagen.

Opposition kritisiert Kickl scharf

ÖVP-Regierungskoordinator Gernot Blümel verwies darauf, dass Kickl selbst klar gemacht habe, sich am Boden des Rechtsstaates zu befinden. Keine Festlegung gab es von den beiden Regierungskoordinatoren, ob die Regierung versuchen könnte, internationale Abkommen einseitig aufzukündigen. Es sei nicht hinzunehmen, wenn Menschen ins Land kommen, Schutz erhalten und dann Gewalttaten begehen, meinte Blümel: „Natürlich müssen alle Möglichkeiten geprüft werden, wie das verhindert werden kann.“

Die Opposition zeigte sich empört über Kickls Äußerungen. Der stellvertretende SPÖ-Klubchef Jörg Leichtfried betonte in einer Aussendung: „Der Rechtsstaat ist die tragende Säule unserer Demokratie. Die Politik darf sich niemals über den Rechtsstaat stellen.“ Kickl habe mit seiner Aussage allerdings einen „schweren Anschlag auf den Rechtsstaat“ geübt, kritisierte Leichtfried und forderte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) auf: „Kurz muss Kickl endlich aus der Regierung entfernen.“

Herbert Kickl (FPÖ) und Josef Moser (ÖVP)
APA/Roland Schlager
Innenminister Kickl (li.) und Justizminister Moser (re.) sind in Sachen EMRK nicht einer Meinung

Der stellvertretende NEOS-Klubobmann Niki Scherak forderte Kickl auf, den Artikel 18 der Bundesverfassung zu lesen, wonach die gesamte staatliche Verwaltung nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden darf. „Wer das nicht versteht und meint, die Politik könne sich über das Recht stellen, ist als Minister in seinem Job ganz offensichtlich überfordert und vollkommen ungeeignet“, so Scherak. Er verwies darauf, dass die EMRK untrennbar mit der EU-Mitgliedschaft verbunden sei. Die FPÖ wolle offenbar aus dieser austreten, so Scherak.

FPÖ stellt sich hinter Innenminister

Jetzt-Klubchef Bruno Rossmann erklärte: „Wenn der Innenminister das rechtsstaatliche Prinzip und damit einen wesentlichen Grundpfeiler unserer Demokratie infrage stellt, frage ich mich ernsthaft, welche Staatsform ihm für unser Land vorschwebt?“ Zwar finde sich die Abschaffung der EMRK bereits im FPÖ-Wahlprogramm von 2017, doch dass Kickl die Chuzpe besitze, es in aller Öffentlichkeit kundzutun, sei eine Missachtung der Demokratie der Sonderklasse, so Rossmann.

Über die EMRK

Die EMRK ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der 1950 geschlossen wurde und 1953 in Kraft trat. Alle 47 Staaten des Europarats sind der Konvention beigetreten. Österreich ist 1958 der EMRK beigetreten, seitdem genießt diese Verfassungsrang.

Die FPÖ-Klubobmann Walter Rosenkranz stellte sich hinter Kickl, denn dieser und die gesamte Bundesregierung würden das umsetzen, wofür sie gewählt wurden. „Allen, die die sogenannte ‚liberale Demokratie‘ in Gefahr sehen, sei ins Stammbuch geschrieben, dass es das Wesen der Demokratie ist, dass Gesetze auf Basis demokratischer Mehrheiten im Parlament beschlossen werden.“ Dass diese Regierung unter Mitwirkung der FPÖ keine linke Politik mache, muss laut Rosenkranz „wohl jedem sonnenklar sein“. Internationale Vereinbarungen und Konventionen zu evaluieren sei absolut zulässig und notwendig.

Die von der FPÖ angetriebene Debatte über die EMRK ist nicht neu. Im Wahlprogramm der Freiheitlichen für die Nationalratswahl 2017 stand zum Beispiel, dass man die EMRK evaluieren wolle und diese „gegebenenfalls durch eine ‚Österreichische Menschenrechtskonvention‘, die auch das Heimatrecht der Österreicher schützt“, ersetze. Auch 2015 forderte Kickl in einer Aussendung, eine Änderung der EMRK, da sie seiner Meinung nach heute nicht mehr zeitgemäß sei. Der damalige ÖVP-Justizminister Wolfgang Brandstetter wies die Forderung scharf zurück. Wer das verlange, „bewegt sich in Österreich außerhalb des Verfassungsbogens“, sagte er.