Klimt, Schiele und Kolo Moser kennt wohl jedes Schulkind. Aber Elena Luksch-Makowsky, Helene Funke oder Erika Giovanna Klien? „Diese großartigen Frauen sind trotz ihrer Leistungen und ihres Einflusses quasi aus der Kunstgeschichte hinauskatapultiert worden“, sagt Kuratorin Sabine Fellner im ORF.at-Gespräch. Jetzt also lässt man sie endlich groß auftrumpfen.
Gleich 60 Künstlerinnen kann man im Unteren Belvedere hier kennenlernen – und anhand eines von 1900 bis 1938 reichenden Parcours quer durch die Stilrichtungen erfahren, wie sie trotz widriger Umstände in der Wiener Moderne mitmischten – in Ausstellungen in den großen Häusern und den ersten Galerien Wiens, mit Kunstprojekten im öffentlichen Raum – und durchaus auch die Wertschätzung ihrer männlichen Kollegen erfuhren.
„Keine Berührungsängste“
„Die wirklich Großen hatten damals keine Berührungsängste mit Frauen, im Gegenteil“, meint Kuratorin Fellner über das Faktum, das sie selbst überrascht hat. Von der Anerkennung zeugt etwa die eindrucksvolle 30-Prozent-Quote in der Secessions-„Kunstschau“ 1908 unter der Präsidentschaft von Gustav Klimt – eine Beteiligung, von der sich auch heute noch einige Ausstellungshäuser etwas abschauen könnten.
Eine der ersten war jedenfalls Elena Luksch-Makowsky, die 1878 geborene, in Petersburg ausgebildete Malerin. Von ihr hängen hier, im ersten Ausstellungsraum, nun „Adolescentia“ (1903), ein entrücktes und doch selbstbewusstes Bildnis eines sexuellen Erwachens, und das Gemälde „Ver Sacrum“ (1902), ein Selbstporträt der Künstlerin mit ihrem Sohn. Aus dem dunklen Hintergrund hält die Frau im Malerkittel ihr Kind präsentierend und zugleich schützend den Betrachterinnen und Betrachtern entgegen. Eine Malerei, in der mitschwingt, wie wenig gesellschaftlich akzeptiert es damals war, sich jenseits der Rolle als Ehefrau und Mutter zu verwirklichen.
Doppelmoral der Kunsthochschulen
Die Meinung, dass Frauen nicht zu Kreativität und bildnerischem Schaffen fähig sind, hielt sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch hartnäckig, und das war einer der „Gründe“, warum den Frauen der Zugang zur Akademie der bildenden Künste bis 1920 verwehrt blieb.
Es ist eine Geschichte der Doppelmoral: Denn während das Professorengremium 1913 zum wiederholten Male ablehnte, Frauen an der renommierten Kunsthochschule aufzunehmen, macht man mit Privatschülerinnen ein äußerst lukratives Geschäft. Konkurrentinnen auf Augenhöhe: unerwünscht.
Ausstellungshinweis
„Stadt der Frauen. Künstlerinnen in Wien 1900–1938“, Unteres Belvedere. 25. Jänner bis 19. Mai 2019, täglich 10.00 bis 18.00 Uhr, freitags bis 21.00 Uhr. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen.
Nicht zuletzt war es die Sexualmoral, die zur Marginalisierung beitrug: Für Frauen waren, so Kuratorin Fellner, „reizende Pilzstudien“ vorgesehen, nicht aber etwas so Unsittliches wie das Aktstudium. Es ist also kein Wunder, dass Teresa Feodorowna Ries mit „Hexe bei der Toilette für die Walpurgisnacht“ 1896 für einen echten Eklat sorgte: Die aus weißem Marmor gehauene, lebensgroße Skulptur, die sie im Wiener Künstlerhaus ausstellte, zeigt eine nackte Frau, die bei der Pediküre ihren Betrachtern und Betrachterinnen lüstern ins Auge blickt.
Sie hätte aus edlem Stein eine Fratze gemacht, lautete die zeitgenössische Kritik. Der Karriere von Feodorowna Ries – die Progressivere wie den Schriftsteller Stefan Zweig zu ihren „Fans“ zählen konnte – tat das allerdings keinen Abbruch.
Neue Künstlerinnenvereinigungen entstehen
Die 1874 in Moskau geborene Jüdin war es auch, die 1901 die Vereinigung „Acht Künstlerinnen und ihre Gäste“ gründete – das erste Bündnis, das noch vor der Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs (VBKÖ) entstand, in Reaktion auf den Ausschluss von Frauen aus den großen Vereinigungen Hagenbund und Secession. Acht Bilder hängen im Unteren Belvedere stellvertretend für die Bandbreite des künstlerischen Schaffens, das von konservativ bis avantgardistisch reichte.
Zentral das Selbstporträt von Feodorowna Ries, die damals wohl am meisten polarisierte: Mit kühnem Blick, das Kinn nach oben, die Hand in der Hüfte – ein Porträt als Statement einer Frau, die über jegliche Einschüchterungsversuche erhaben scheint.
Eine Geschichte der Auslöschung
Warum die (Erfolgs-)Story der Frauen der Wiener Moderne zu einer der Auslöschung wird, hat mit der Zäsur des Nationalsozialismus zu tun – mit Krieg, Exil und Mord. Die Antifaschistin Friedl Dicker-Brandeis legt in ihren zwei eindringlichen Gemälden „Verhör I“ (1934) und „Verhör II“ (1934–1938) noch Zeugnis von Angst, Schrecken und Grenzverlust ab, die sie erlebt, als sie zu ihren politischen Aktivitäten verhört wird. 1942 wird sie schließlich deportiert und 1944 ermordet, nachdem sie unzähligen Kindern in Theresienstadt durch ihren Unterricht Hoffnung gab.
Und da ist außerdem die Bildhauerin Ilse Twardowski-Conrat, die ihre größeren Werke zerstört und Suizid begeht, als sie 1942 die Aufforderung erhält, sich bei der jüdischen Gemeinde einzufinden. Und Bettina Ehrlich-Bauer, die zwar 1938 nach London emigrieren kann, deren Frühwerk aber verloren geht. Übrig bleibt nur das 1928 entstandene Stillleben „Jonny spielt auf“ (1928) im Stil der Neuen Sachlichkeit, das den herben Verlust dieser in Österreich nur wenig vertretenen Werkgruppe verdeutlicht.
Detektivische Ermittlungsfähigkeiten gefragt
Die Wiederentdeckung dieser großen Frauen der Wiener Moderne bedarf „mitunter der Ermittlungsfähigkeiten von Cold-Case-Detektiven“ liest man im Katalog. Tatsächlich ist es Fellner und ihrem Team gelungen, bei ihrer Suche in den Archiven, Museumsdepots und Privatsammlungen viele Schätze zu heben: Das Gemälde „Frühmarkt“ (1907) von Broncia Koller-Pinell galt lange als verschollen, das Werk von Fanny Harlfinger-Zakucka etwa wurde von ihrem Enkel aufbewahrt und seit Jahrzehnten nicht gezeigt.
Beeindruckend auch viele der sozialkritischen Arbeiten, von denen Hermine Heller-Ostersetzers Werk hervorzuheben ist: Noch bevor die Sozialreportage in Wien populär wurde, bildete sie in ihrem Zyklus „Das Leben der Armen ist bitterer als der Reichen Tod“ (1900) Kohlensammlerinnen, Zeitungsausträgerinnen, Schneeschaufler, Steinklopfer und Hausierer ab.
Die Frauen der Wiener Moderne – das macht diese so wichtige Ausstellung klar –, sie sind nicht nur für ihre künstlerischen Verdienste zu würdigen, sondern auch für ihren politischen Aktivismus: bei der Überwindung institutioneller Schranken und grober Frauenfeindlichkeit, bei der Erringung von Ausstellungs- und Studienmöglichkeiten, im sozialen Engagement und im Kampf gegen den Faschismus. Dank des Belvedere kann man sie nun endlich kennenlernen.