Juan Guaido, Präsident des entmachteten Parlaments von Venezuela
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Venezuela

Machtkampf erreicht neuen Höhepunkt

Der Machtkampf in Venezuela zwischen dem sozialistischen Staatschef Nicolas Maduro und Oppositionsführer Juan Guaido hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Während Hunderttausende im ganzen Land gegen Maduro demonstrierten, erklärte sich Guaido bereits zu seinem Nachfolger.

„Vor dem allmächtigen Gott gelobe ich, die Kompetenzen der Exekutive als Interimspräsident von Venezuela zu übernehmen“, sagte Guaido am Mittwoch bei einer Kundgebung vor Anhängern in der Hauptstadt Caracas. „Lasst uns alle schwören, dass wir nicht ruhen, bis wir die Freiheit erlangt haben. Ich schwöre, offiziell die nationale Exekutivgewalt als amtierender Präsident von Venezuela zu übernehmen, um die Usurpation zu beenden, eine Übergangsregierung (einzusetzen) und freie Wahlen abzuhalten.“

In den vergangenen Tagen hatte sich das politische Klima in Venezuela weiter aufgeheizt. Nach einem gescheiterten Aufstand von 27 Soldaten in einer Kaserne im Norden der Hauptstadt war es in Caracas zu Zusammenstößen zwischen Regierungsgegnern und der Polizei gekommen. Bei Unruhen und Protesten gegen Staatschef Nicolas Maduro kamen binnen zwei Tagen 13 Menschen ums Leben. Die meisten Menschen seien durch Schusswaffen getötet worden, sagte der Leiter der venezolanischen Nichtregierungsorganisation Beobachtungsstelle für soziale Konflikte (OVCS), Marco Ponce.

Maduro: „Hier ergibt sich niemand“

Maduro rief das Militär zu Geschlossenheit und Disziplin auf. „Hier ergibt sich niemand“, sagte der Staatschef. „Wir werden über all dies triumphieren, wir werden als Sieger hervorgehen.“ Die Opposition habe einen Putschversuch unternommen. „Die Soldaten des Vaterlandes akzeptieren keinen Präsidenten, der von dunklen Mächten eingesetzt wird oder sich abseits des Rechts selbst einsetzt“, stellte sich Verteidigungsminister Vladimir Padrino hinter Maduro.

Venezuelanischer Präsident Maduro
APA/AFP/Venezuelan Presidency
Nicolas Maduro ist seit 2013 Staatspräsident Venezuelas

„Die Streitkräfte verteidigen unsere Verfassung und sind der Garant unserer nationalen Souveränität“, so Padrino. Die Streitkräfte sind ein wichtiger Machtfaktor in Venezuela. Generäle sitzen an den wichtigen Schaltstellen, kontrollieren das Ölgeschäft, den Import von Lebensmitteln, Banken und Bergbaufirmen. Guaido hatte die Soldaten zuletzt immer wieder dazu aufgerufen, sich auf die Seite der Opposition zu stellen.

Abbruch der Beziehungen zu USA

Zugleich gab Maduro den Abbruch der diplomatischen Beziehungen seines Landes zu den USA bekannt. „Ich habe entschieden, die diplomatischen und politischen Beziehungen zur imperialistischen Regierung der Vereinigten Staaten abzubrechen“, sagte Maduro. „Raus! Weg aus Venezuela. Hier herrscht Würde, verdammt.“ Maduro gab dem diplomatischen Personal 72 Stunden Zeit, das Land zu verlassen. Venezuela und die USA haben bereits seit 2010 keinen Botschafter in den jeweiligen Hauptstädten mehr. Guaido forderte indes das Botschaftspersonal zum Bleiben auf.

Die USA hingegen erklärten, dass sie die diplomatischen Beziehungen über Guaido aufrechterhalten wollen. „Die USA erkennen das Maduro-Regime nicht als Regierung Venezuelas an. Folglich hat der ehemalige Präsident Nicolas Maduro aus Sicht der USA nicht die rechtliche Befugnis, die diplomatischen Beziehungen abzubrechen“, sagte US-Außenminister Mike Pompeo. „Die USA haben diplomatische Beziehungen mit Venezuela, und wir werden unsere Beziehungen mit Venezuela über die Regierung von Interimspräsident Guaido führen, der unsere Mission dazu eingeladen hat, in Venezuela zu bleiben.“

USA drohen Maduro

US-Präsident Donald Trump hatte zuvor Guaido umgehend als rechtmäßigen Übergangspräsidenten des südamerikanischen Landes anerkannt. Guaido vertrete „das einzige legitime“ Staatsorgan des Landes, weil er „ordnungsgemäß“ vom venezolanischen Volk gewählt worden sei, hieß es in einer vom Weißen Haus veröffentlichten Erklärung.

Die US-Regierung forderte Maduro zu einer friedlichen Machtübergabe auf und drohte andernfalls mit scharfen Konsequenzen. „Alle Optionen sind auf dem Tisch“, sagte ein hochrangiger Regierungsvertreter am Mittwoch in Washington. Das gelte ganz besonders für den Fall, sollte Maduro gegen Mitglieder des entmachteten Parlaments vorgehen.

Viele stellen sich hinter Guaido

Die Führung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) stellte sich hinter Guaido. „Unsere Glückwünsche für Juan Guaido als Interimspräsident von Venezuela. Er hat unseren Rückhalt, um das Land wieder zurück zur Demokratie zu führen“, schrieb der OAS-Generalsekretär Luis Almagro auf Twitter.

Der argentinische Präsident Mauricio Macri schrieb auf Twitter: „Wie die anderen Staaten der Lima-Gruppe vertrauen wir darauf, dass die Entscheidung der Nationalversammlung und ihres Präsidenten zur Wiederherstellung der Demokratie durch freie und transparente Wahlen führen wird, bei vollständiger Gültigkeit der Verfassung und Teilnahme der Oppositionsführer.“ Die mexikanische Regierung teilte wie Bolivien und Kuba dagegen mit, für sie sei Maduro weiterhin der gewählte Präsident Venezuelas. Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan unterstützt Maduro. „Mein Bruder Maduro! Bleibe standhaft, wir stehen zu euch“, so Erdogan laut eines Sprechers.

Machtkampf in Venezuela

Hunderttausende Menschen demonstrieren in Caracas für die Absetzung Maduros. Währenddessen erklärte sich Guaido zum Staatschef des Landes und versprach, freie Wahlen abzuhalten.

Auch das vom ultrarechten Staatschef Jair Bolsonaro regierte Brasilien erklärte seine Unterstützung für Guaido. Das Außenministerium in Brasilia teilte mit, Brasilien werde „politisch und wirtschaftlich den Übergangsprozess unterstützen, damit die Demokratie und der soziale Frieden nach Venezuela zurückkehren“. Der kolumbianische Präsident Ivan Duque erklärte, sein Land erkenne Guaido als „Präsidenten Venezuelas“ an und begleite den „Übergangsprozess zur Demokratie“. Ähnlich äußerten sich Vertreter Paraguays, Costa Ricas, Perus, Chiles, Guatemalas und Kanadas.

EU für „glaubwürdige Wahlen“

Auch die EU stellte sich hinter die Opposition. „Die EU unterstützt umfassend das Parlament als demokratisch gewählte Institution, deren Befugnisse wiederhergestellt und respektiert werden müssen“, teilte EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini mit. Die EU fordere den sofortigen Beginn eines politischen Prozesses, „der zu freien und glaubwürdigen Wahlen im Einklang mit der Verfassungsordnung führt“. Die Rechte, Freiheit und Sicherheit aller Parlamentsmitglieder einschließlich Guaido müssten zur Gänze respektiert werden. Der Einsatz von Gewalt sei „völlig inakzeptabel“, sagte Mogherini an die Adresse Maduros.

Zusammenstöße in Caracas

Hunderttausende Menschen gingen am Mittwoch im ganzen Land gegen die sozialistische Regierung auf die Straßen. Die Demonstranten zeigten Transparente mit der Aufschrift „Wir sind frei“ und skandierten „Sie wird stürzen, sie wird stürzen, diese Regierung wird stürzen“. In Caracas kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei, die nach Angaben von AFP-Journalisten Tränengas und Gummigeschoße in die Menge feuerte. Vermummte Demonstranten schleuderten Steine auf die Beamte. Nach Medienberichten wurden mehrere Demonstranten festgenommen.

Ausschreitungen in Caracas
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Hunderttausende demonstrieren im ganzen Land für eine Absetzung Maduros

Auch Maduros Anhänger gingen auf die Straßen, um die Regierung zu unterstützen. Der 23. Jänner ist ein symbolisches Datum für das Land, weil an diesem Tag 1958 der damalige venezolanische Diktator Marcos Perez Jimenez gestürzt wurde.

Ermittlungen angeordnet

Der Oberste Gerichtshof Venezuelas wies am Mittwoch die Staatsanwaltschaft an, gegen die Mitglieder des mehrheitlich aus Regierungsgegnern bestehenden Parlaments Ermittlungen einzuleiten. Dem weitgehend entmachteten Parlament warf das Gericht vor, sich missbräuchlich die Befugnisse des Staatschefs Maduro anzueignen. Die Ermittlungen sollten umgehend erfolgen, hieß es in einer verlesenen Erklärung.

Maduro hatte sich vor zwei Wochen für seine zweite Amtszeit vereidigen lassen. Zahlreiche Staaten, internationale Organisationen und die Opposition erkennen ihn allerdings nicht als legitimen Präsidenten an, weil die Wahlen im vergangenen Jahr nicht demokratischen Standards entsprachen.