Shi Jinsong, Lack Pine Tree, 2011, Holz
Shi Jinsong
Kunst aus China

Der Widerstand blüht im Verborgenen

Der Schweizer Uli Sigg hat in den vergangenen Jahrzehnten die weltweit größte Sammlung chinesischer Gegenwartskunst zusammengetragen. Teile davon sind nun bei der Ausstellung „Chinese Whispers“ im Wiener MAK zu sehen. Trotz strenger Zensur ist die Sozialkritik in vielen Werken allgegenwärtig – der Widerstand blüht im Verborgenen.

Der bekannteste zeitgenössische Künstler Chinas ist wohl Ai Weiwei. Über ihn stolpert man auch in der von Bärbel Vischer kuratierten Ausstellung im MAK – wenn man nicht aufpasst, im wahrsten Sinne des Wortes: Mitten in einem der Ausstellungsräume liegt der lebensecht aussehende, aus Fieberglas und Silikon gebildete Körper Ais mit dem Gesicht voran auf dem Parkettboden. „The Death of Marat“ heißt die Arbeit, sie stammt vom Künstler He Xiangyu.

Kritische Künstlerinnen und Künstler haben es in China nicht leicht. Ai wurde selbst für mehrere Monate lang eingesperrt und für vier Jahre mit einem Reiseverbot belegt. Viele andere Kunstschaffende bekamen es mit der strengen chinesischen Zensur zu tun. Einige der im MAK gezeigten „Werke dürfen in China gar nicht ausgestellt werden“, so Vischer. Die Gemälde und Videoarbeiten von Liu Ding etwa, in denen er den sozialen Realismus und die Aufarbeitung der Kulturrevolution mit Sarkasmus untersucht. Und auch „The Death of Marat“.

Exponat aus der Ausstellung CHINESE WHISPERS
He Xiangyu, Foto: Yangwei Photo Studio
„The Death of Marat“ – den toten Ai Weiwei gibt es im MAK zu sehen – in China darf das Werk nicht gezeigt werden

„Wie China tickt“

Die Schau im MAK bietet einen kleinen Einblick in ein Land, dass auf dem Weg zur dominanten Macht des 21. Jahrhunderts ist. Bis zum 100-jährigen Staatsjubiläum 2049 will China technologisch, sozial und militärisch auf Augenhöhe mit den USA sein. Der Weg dorthin werde aber nicht über die Etablierung einer Demokratie nach dem Vorbild der westlichen Industrienationen führen, wie Chinas Präsident Xi Jinping immer wieder klar gemacht hat.

„Chinese Whispers“ im Wiener MAK

Der Schweizer Uli Sigg hat mit mehr als 1.200 Kunstwerken wohl eine der bedeutendsten Sammlungen zeitgenössischer chinesischer Kunst geschaffen – ein Teil dieser Objekte ist nun im Wiener MAK zu sehen.

Man müsse sich Gedanken machen, „wie China tickt“, so MAK-Chef Christoph Thun-Hohenstein. Die Ausstellung soll dazu einen kleinen Beitrag leisten. 200 Objekte werden gezeigt. Neben jenen aus der Sammlung Siggs auch welche aus den umfangreichen Beständen des MAK.

Streifzug durch die Jahrhunderte

Wiederkehrendes Thema der Ausstellung ist so auch die Verbindung von antiker und neuer Technik – Hölzer, Papiere, Bearbeitungsformen aus den alten Kaiserdynastien werden kombiniert mit Medienkunst aus jenem Land, das in manchen Bereichen der künstlichen Intelligenz die USA und Europa schon hinter sich gelassen hat.

Exponat aus der Ausstellung CHINESE WHISPERS
Wang Xingwei
Wang Xingweis „My Beautiful Life“: Edvard Munchs „Der Schrei“ beeinflusste das Gemälde der Einsamen auf der Brücke

Feng Mengbo hat aus „Geheimtinte“, alten Kalligraphietechniken und digitaler Verarbeitung eine tapetenartige Wand geschaffen. Gao Weigang dekliniert Marmor in Form, Farbe und Oberflächenbehandlung als langsam verlaufende, den Boden bedeckende Fläche von alt nach neu, archaisch nach glatt geschliffen, dunkel nach hell. Shao Fan hat seinen „King Chair“ gebaut, indem er einen Stuhl aus der Ming-Dynastie in der Mitte zersägte und einen neuen Designerstuhl einfügte.

Exponat aus der Ausstellung CHINESE WHISPERS
Ai Weiwei, Foto: Bruno Bühlmann, Foto Jung, Sursee/Schweiz
Der Hingucker in der Ausstellung: Ai Weiweis „Descending Light with A Missing Circle“ (2017)

Während die politische Führung in Peking die westliche Demokratie als Modell für das eigene Land ablehnt, ist der westliche Einfluss in anderen Bereichen deutlich spürbar. Die Vorliebe der chinesischen Oberschicht für französische Luxusgüter hat die Künstlerin Miao Ying in der Videoinstallation „Reve Chinois“ (zu Deutsch: „Chinesischer Traum“) kritisch beleuchtet. Brad Pitt trifft darin Präsident Xi.

Kommunismus und digitaler Kapitalismus

Für den Schweizer Sammler Sigg sind die Unterschiede zwischen China und dem Westen dennoch „fundamental“, wie er im Interview mit „kultur.montag“ sagte. „Es beginnt bei der Schrift, über die Essensinstrumente, es setzt sich fort im Denken, es ist ein anderer Prozess, wie man an Probleme herangeht“, so Sigg, der als Wirtschaftsjournalist und Unternehmer gearbeitet hat und in den 1990er Jahren Schweizer Botschafter in Peking war.

Ausstellungshinweis

„Chinese Whispers: Neues aus der Sigg Collection“, MAK, bis 26. Mai, mittwochs bis sonntags 10.00 bis 18.00 Uhr, dienstags bis 18.00 Uhr, montags geschlossen.

Europas Blick auf China schwankt zwischen Bewunderung und Furcht. In China treffen autoritärer Kommunismus und digitaler Kapitalismus aufeinander. Als weltweiter Wirtschaftsmotor ist China auch für die EU wichtig geworden. In vielen Städten haben Onlinebezahlsysteme das Bargeld verdrängt. Auf der anderen Seite arbeitet das Regime am Ausbau des Sozialkreditsystems, mit dem alle Aspekte des Lebens der Bürgerinnen und Bürger überwacht werden. Im Westen des Landes haben die chinesischen Behörden bis zu eine Millionen Menschen aus der uigurischen Minderheit in Umerziehungslager gesteckt.

Kunstsammler Uli Sigg im Interview

Der Schweizer Sammler und Chinakenner Uli Sigg sprach in „kultur.montag“ über die vielen Facetten eines Landes, in dem autoritärer Kommunismus auf digitalen Kapitalismus trifft.

Die Schau im MAK erlaubt einen vorerst letzten Blick auf die umfangreiche Sammlung Siggs. Der Schweizer hat einen großen Teil seiner Objekte dem Museum M+ in Hongkong geschenkt, das dieses Jahr seine Pforten öffnen wird.