Juan Guaido
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Venezuela

Guaido setzt auf Macht der Straße

Im offenen Machtkampf mit Präsident Nicolas Maduro setzt Venezuelas Oppositionschef Juan Guaido weiter auf die Macht der Straße. Der 35-Jährige, der sich vergangene Woche bei Massenprotesten zum Interimspräsidenten des Landes erklärte, kündigte am Sonntag neue Großdemonstrationen für ein „freies Venezuela“ an.

Guaido will damit einem von mehreren EU-Staaten gestellten Ultimatum Nachdruck verleihen. Maduro erteilte der Forderung aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Spanien, bis 3. Februar eine Neuwahl auszurufen, am Wochenende eine klare Absage.

In einem auf Twitter verbreiteten Video kündigte Guaido zunächst für Mittwoch Demonstrationen und schließlich für Samstag, den Tag vor Auslaufen des Ultimatums, eine „große Mobilisierung in ganz Venezuela und auf der ganzen Welt“ an. Gleichzeitig rief Guaido die Armee auf, sich „an die Seite des Volkes zu stellen“.

Das von Guaido angeführte und von Maduro weitgehend entmachtete Parlament veröffentlichte auch ein Amnestiegesetz, das Militärs Straffreiheit zusichert, wenn sie sich an der Wiederherstellung der demokratischen Ordnung beteiligen. „Verteilt es an die Soldaten in eurer Familie, unter euren Freunden und Nachbarn“, schrieb Guaido dazu. Oppositionelle Abgeordnete und Studentenführer übergaben das Dokument an Beamte der Nationalgarde.

Verweis auf humanitäre Hilfe

Man bitte alle Venezolanerinnen und Venezolaner, ihre Häuser und Arbeitsplätze zu verlassen, um am Mittwoch vom Militär die Zulassung von humanitärer Hilfe zu fordern, hieß es zudem in einem Twitter-Beitrag des Parlaments.

„Humanitäre Hilfe steht im Zentrum unserer Politik, und wir arbeiten jetzt an der Logistik“, sagte Guaido. „Wir glauben, das wird ein neues Dilemma für das Regime und die Streitkräfte. Sie müssen sich entscheiden, ob sie auf der Seite des Volkes stehen und das Land heilen wollen oder ob sie es ignorieren werden. Ich glaube, wir schaffen es, sie werden die Hilfe reinlassen.“

„Immer loyal, niemals Verräter“

Im laufenden Machtkampf spielt das Militär eine Schlüsselrolle. Die Führungsriege hält bisher demonstrativ zu Maduro, doch in den unteren Rängen herrscht offenbar zunehmend Unzufriedenheit. Zuletzt kam es mehrfach zu kleineren Aufständen von Soldaten. Am Wochenende kündigte der Militärattache der venezolanischen Botschaft in Washington Maduro die Gefolgschaft auf und schloss sich Guaido an.

Venezuelas Präsident Maduro
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Im Laufschritt durch Kaserne: Maduro zusammen mit Verteidigungsminister Vladimir Padrino

Maduro will dennoch keine Zweifel daran aufkommen lassen, wer der wahre Oberbefehlshaber der Nationalen Bolivarischen Streitkräfte ist. So besuchte er am Sonntag unter anderem die 41. Brigade in der Kaserne Paramacay. Bei einer Übung lief der Staatschef dabei im Laufschritt an der Seite von Verteidigungsminister Vladimir Padrino durch die Kaserne. Er fuhr ein Militärboot und zeigte sich auf einer Marinebasis Arm in Arm mit Soldaten. „Immer loyal, niemals Verräter“, lautete der Ruf der Soldaten.

„Heikle Angelegenheit“

Nach Aussage von Guaido führe auch die Opposition Gespräche mit Militärs und zivilen Regierungsvertretern. „Das ist eine sehr heikle Angelegenheit, bei der es auch um die persönliche Sicherheit geht. Wir treffen sie, aber diskret“, sagte Guaido in einem Interview der „Washington Post“.

Umstrittene Wiederwahl

Nicolas Maduro wurde am 10. Jänner vor dem obersten Wahlgericht für seine zweite Amtszeit vereidigt. Laut amtlichen Ergebnissen erreichte der Nachfolger des 2013 verstorbenen Hugo Chavez bei der Wahl im Mai 2018 68 Prozent. So wie die Opposition erkennen auch die EU, die USA und viele lateinamerikanische Länder das Ergebnis nicht an.

Offen unterstützt wird Guaido neben etlichen lateinamerikanischen Ländern unter anderem von den USA. Weil die USA ihn umgehend anerkannten, brach Maduro die diplomatischen Beziehungen zu Washington ab und forderte US-Diplomaten zum Verlassen des Landes auf.

Der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Donald Trump, John Bolton, warnte am Sonntag mit scharfen Worten vor Gewalt gegen die Opposition oder US-Diplomaten in Venezuela. Jede Form von Gewalt oder Einschüchterungen gegen US-Diplomaten, Guaido oder das von der Opposition dominierte Parlament wären ein „schwerer Anschlag auf den Rechtsstaat“ und hätten eine „signifikante Antwort“ Washingtons zur Folge, schrieb Bolton auf Twitter

Auch Israel und Australien hinter Guaido

Am Sonntag und Montag stellten sich auch Israel und Australien hinter Guaido. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu sagte in einem Onlinevideo, er erkenne „die neue Führung in Venezuela“ an. Australiens Außenministerin Marise Payne sagte, ihr Land erkenne Guaido bis zu Neuwahlen als Interimspräsidenten an und unterstütze ihn. Sie forderte einen „Übergang zur Demokratie in Venezuela so bald wie möglich“. Wichtig sei eine „friedliche Lösung“ des Konflikts.

Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini rief Maduro zu freien, transparenten und glaubwürdigen Wahlen auf. Andernfalls werde die EU in den nächsten Tagen in der Frage der Anerkennung der Regierung reagieren. Von einer Achttagesfrist war in Mogherinis Erklärung vom Montag zwar keine Rede. Die EU-Außenbeauftragte unterstrich jedoch die einheitliche Haltung der 28 EU-Staaten. Diese sei auch nicht unvereinbar mit Positionen einzelner Mitgliedsländer, wie Mogherini wohl mit Blick auf das von einigen EU-Mitgliedern gestellte Ultimatum anmerkte.

Russland wirft USA Putschversuch vor

Venezuelas Außenminister Jorge Arreaza wies in einer hitzigen Debatte im UNO-Sicherheitsrat unterdessen die Forderungen als „kindisch“ zurück. Europa habe nicht die Macht, einem souveränen Volk eine Frist oder ein Ultimatum zu setzen. Auch Venezuelas Verbündeter Russland, der massiv in die Ölindustrie des OPEC-Landes investiert hat, kritisierte den europäischen Vorstoß. Zugleich warf der russische UNO-Botschafter Wassili Nebensia den USA vor, einen Putschversuch in Venezuela zu unterstützen. Neben Russland und China halten auch Bolivien, Kuba, Nicaragua und die Türkei weiter zu Maduro.