Autobahn
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Deutschland

Merkel lehnt Tempolimit auf Autobahnen ab

Deutschlands Autobahnen bleiben weitgehend ohne Tempolimit. Die in den vergangenen Tagen heftig geführte Debatte über eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen drehte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Montag ab.

Die Regierung plane kein allgemeines Tempolimit auf deutschen Autobahnen, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. „Das steht auch nicht im Koalitionsvertrag.“ Beim deutschen Straßennetz gebe es jetzt schon „auf einem großen Teil“ Geschwindigkeitsregeln. Es gebe „intelligentere“ Maßnahmen für mehr Klimaschutz im Verkehr.

Ausgelöst worden war die Debatte von ersten Überlegungen einer Klimaarbeitsgruppe der deutschen Regierung. Als eine der Klimaschutzmaßnahmen war eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 130 km/h überlegt worden. Andere Vorschläge waren etwa höhere Spritsteuern und eine Quote für Elektroautos. Seibert will nun die endgültigen Ergebnisse der Arbeitsgruppe abwarten. „Wir müssen natürlich die Treibhausgase im Verkehrsbereich reduzieren“, sagte der Regierungssprecher.

Kritik an Umweltministerin

Selbst ein Sprecher des Umweltministeriums sagte, dass ein „Tempolimit für die Klimabilanz sehr wenig bringt“. Nach bisherigem Erkenntnisstand sei ein Tempolimit somit kein „herausragendes Instrument für den Klimaschutz“. SPD-Umweltministerin Svenja Schulze stand nach einem ZDF-Auftritt Sonntagabend in der Kritik. Sie musste sich dem Vorwurf stellen, keine klare Haltung in dieser Frage zu vertreten.

Sie hatte in der ZDF-Sendung mehrmals auf die Klimaschutzarbeitsgruppe und auf Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) verwiesen, ohne zu beantworten, wie sie selbst dazu steht. Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth verteidigte die Ministerin: „Es war absolut richtig, dass Svenja Schulze die Frage nach dem Tempolimit offen gelassen hat. Klimaschutz im Verkehr ist weitaus komplexer“, schrieb er.

Eine Absage an ein Tempolimit sei jetzt „genauso falsch wie Zustimmung“, sagte er noch vor der Veröffentlichung der Absage des Tempolimits durch die Kanzlerin. Die SPD hatte 2007 eigentlich an einem Parteitag mit knapper Mehrheit beschlossen, sich für ein Tempolimit von 130 km/h einzusetzen.

„Gegen jeden Menschenverstand“

CSU-Verkehrsminister Scheuer hatte sich strikt gegen ein Tempolimit ausgesprochen. Das sei „gegen jeden Menschenverstand“. Unterstützung erhielt er von Stauforscher Michael Schreckenberg von der Universität Duisburg-Essen. Er bezeichnete ein Tempolimit als „nicht zielführend“. Es gebe drei Argumente, die man für ein Tempolimit anführe: „Das erste ist, Staus zu vermeiden. Das ist aber Quatsch. Die Entstehung von Staus ist nicht primär davon abhängig, ob ich 120 oder 160 fahre.“

Das zweite Argument sei der geringere CO2-Ausstoß. „Doch auch dieses Argument ist nicht haltbar, da sich die Fahrzeugtechnik und damit der Kraftstoffverbrauch verbessert haben. Das dritte ist die Verkehrssicherheit. Aber ob ich mit Tempo 100 oder 160 vor den Baum fahre – ich bin in beiden Fällen tot“, so der Stauforscher. Deutschland ist bisher das einzige Land in Europa ohne flächendeckende Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen.

Grafik zeigt Tempolimits in Europa
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/ÖAMTC

„Irrationale“ Debatte

In der Expertenkommission sitzen Vertreterinnen und Vertreter unter anderem des deutschen Autofahrerclubs ADAC, der Industrie, des Autoverbands VDA, von Volkswagen, Deutscher Bahn und Umweltverbänden. Entsprechend heterogen wurde auch die Debatte geführt. Der frühere Vorsitzende der deutschen Grünen, Cem Özdemir, sagte, ein Tempolimit sei ein „Gebot der Vernunft“. Die Debatte werde in Deutschland „irrational“ geführt.

Die Befürworter eines Tempolimits sehen darin einen Weg zu weniger Schadstoffausstoß, weniger Unfällen und einem besseren Verkehrsfluss. Gegner einer Geschwindigkeitsbegrenzung wie der ADAC sehen darin keinen Grund. In Ländern wie Österreich, das ein 130-km/h-Limit auf Autobahnen habe, sei der Verkehr nicht sicherer. Es sei sinnvoller, auf Strecken, die für Unfälle besonders anfällig sind, die Geschwindigkeit zu beschränken.

ADAC: Geringer Effekt für Klimaschutz

Auch der Effekt für den Klimaschutz sei gering, meinte der ADAC und verwies in der aktuellen Debatte auf eine Studie des deutschen Umweltbundesamtes (UBA), laut der sich bei Tempo 120 die CO2-Emissionen um neun Prozent reduzieren – bezogen auf den Pkw-Verkehr auf Autobahnen. Im Jahr könnten so rund drei Millionen Tonnen CO2 eingespart werden – zu wenig für den ADAC.

Die zitierte UBA-Studie stammte allerdings aus dem Jahr 1999, die zugrundeliegenden Daten waren also mehr als 20 Jahre alt. Neuere Untersuchungen dazu gab es schlicht nicht. Der ADAC untersuchte aber selbst, wie sich Tempo 30 im Vergleich zu Tempo 50 auf die Emissionen auswirkt. Sein Ergebnis: Tempo 30 führt aus Sicht des ADAC weder zur Reduzierung der Stickoxid- noch der CO2-Emissionen.

CO2-Ausstoß im Autoverkehr gestiegen

Sicher ist – laut deutschem Statistischen Bundesamt –, dass der CO2-Ausstoß im Autoverkehr in den vergangenen Jahren gestiegen ist (zwischen 2010 und 2017 um 6,4 Prozent). Im Jahr 2017 war zudem laut dem Bundesamt mehr als ein Drittel der Autobahnunfälle auf zu schnelles Fahren zurückzuführen. Bis Ende März sollen nun die Ergebnisse des Gremiums vorliegen. Das Tempolimit wird vermutlich nicht mehr unter den Vorschlägen für Klimaschutzmaßnahmen sein.