Sicherheitsberater John Bolton
AP/Evan Vucci
Venezuela

Notiz löst Spekulation über US-Einsatz aus

Ein handgeschriebener Vermerk auf dem Notizblock von US-Sicherheitsberater John Bolton sorgt für Spekulationen über einen Militäreinsatz der USA in Venezuela. Bolton hielt den Notizblock auf einer Pressekonferenz so, dass der Vermerk darauf deutlich zu lesen war: „5.000 Soldaten nach Kolumbien“.

Angesichts der schweren Krise in Kolumbiens Nachbarland Venezuela sorgte die quasi in die Kameras gehaltene Notiz sofort für Diskussionen. Wollen die USA nun auch militärisch in Venezuela eingreifen und das durch eine Truppenverlegung nach Kolumbien vorbereiten? Die US-Regierung wollte militärische Schritte bisher explizit nicht ausschließen. US-Präsident Donald Trump hatte gesagt: „Alle Optionen sind auf dem Tisch.“

Gerätselt wird, ob Bolton mit seiner Notiz einen solchen Militäreinsatz in Aussicht stellen oder zumindest deutlicher als bisher damit drohen will. Das US-Verteidigungsministerium wollte sich dazu am Montagabend (Ortszeit) auf Anfrage nicht äußern und verwies ans Weiße Haus. Von dort hieß es mit Blick auf die Bolton-Notiz knapp, aber vielsagend: „Wie der Präsident gesagt hat: Alle Optionen sind auf dem Tisch.“

Kolumbien weiß nichts von US-Truppen

Die Regierung in Bogota hat keine Erklärung für die Bolton-Notiz: „Die Bedeutung und der Grund des besagten Vermerks sind uns nicht bekannt“, sagte der kolumbianische Außenminister Carlos Holmes Trujillo. Kolumbien habe mit den anderen Ländern der Lima-Gruppe den Interimspräsidenten Juan Guaido anerkannt, damit dieser einen Prozess einleiten könne, um die institutionelle und demokratische Ordnung in dem Land wiederherzustellen.

Sicherheitsberater John Bolton
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Zufall oder nicht? Der Vermerk auf Boltons Notizblock ist gut zu lesen

Kolumbien werde sich weiterhin mit politischen und diplomatischen Mitteln dafür einsetzen, Wahlen in Venezuela zu ermöglichen, sagte der Außenminister. Zudem werde Bogota weiter mit den USA über alle Themen von gemeinsamem Interesse reden und mit der „befreundeten Nation“ zusammenarbeiten.

US-Sanktionen gegen staatlichen Ölkonzern

In Venezuela tobt ein offener Machtkampf zwischen Präsident Nicolas Maduro und Guaido. Die US-Regierung hatte sich offensiv auf Guaidos Seite geschlagen und droht seit Tagen damit, alle denkbaren diplomatischen und wirtschaftlichen Hebel in Bewegung zu setzen, um Maduro zum Rückzug zu drängen.

Sanktionen gegen venezolanischen Ölkonzern

Die USA haben wirtschaftliche Sanktionen gegen den staatlichen Ölkonzern Venezuelas verhängt. Diese sollen in Kraft bleiben, bis es eine Übergangsregierung oder eine demokratisch gewählte Regierung gibt.

Bei der Pressekonferenz im Weißen Haus, an der auch Bolton teilnahm, kündigte die US-Regierung Sanktionen gegen den wichtigen Ölsektor Venezuelas an. Ins Visier wird der staatliche Ölkonzern PDVSA genommen. Öl aus Venezuela dürfe zwar unter dem Sanktionsregime weiterhin eingekauft werden, die Zahlungen müssten jedoch auf Sperrkonten fließen, wie US-Finanzminister Steven Mnuchin am Montag in Washington ankündigte.

Die Regeln sollen auch gewährleisten, dass US-Raffinerien, die direkt von Öllieferungen aus Venezuela abhängen, weiterbetrieben werden können. Auch Citgo, die US-Tochter von PDVSA, soll weiter Geschäfte machen dürfen, solange entsprechende Zahlungen auf Sperrkonten erfolgen und nicht der von den USA nicht mehr anerkannten sozialistischen Regierung unter Maduro zufließen.

Moskau: US-Sanktionen „illegal“

Russland verurteilte die neuen US-Sanktionen als „illegal“. „Die rechtmäßigen Behörden Venezuelas betrachten diese Sanktionen als illegal, und wir können diese Sichtweise vollständig unterstützen“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow in Moskau. Er warf der US-Regierung „offene Einmischung in Venezuelas innere Angelegenheiten“ vor. Russland werde seine Interessen „innerhalb des internationalen Rechtsrahmens“ schützen.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow kündigte an, Moskau werde zusammen mit anderen Mitgliedern der internationalen Gemeinschaft „alles in seiner Macht Stehende tun, um die rechtmäßige Regierung von Präsident Maduro zu unterstützen“. Die neuen US-Sanktionen verletzten „alle möglichen internationalen Normen“. Die USA hätten einen „Weg zu einem illegalen Regimewechsel“ eingeschlagen, kritisierte Lawrow.

Guaido greift auf Auslandsvermögen zu

Mit den neuen Sanktionen könnte Washington einerseits Maduro den Geldhahn zudrehen und andererseits Guaido Zugang zu den Öleinnahmen verschaffen. „Ab diesem Moment übernehmen wir die Vermögenswerte unserer Republik im Ausland“, teilte Guaido am Montag mit. Außerdem kündigte er an, ein neues Management für PDVSA und Citgo zu ernennen.

Juan Guaido
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Der oppositionelle Parlamentspräsident Guaido erklärte sich zum Übergangspräsidenten

Der Zugriff auf die Öleinnahmen würde Guaido als Interimspräsident handlungsfähig machen und ihm zusätzliche Legitimation bei den Venezolanerinnen und Venezolanern verschaffen. Obwohl er international erheblichen Rückhalt genießt, hat er bisher im Land selbst keine echte Machtposition.

Maduro will um Öltochter Citgo kämpfen

Präsident Maduro hingegen will seine wichtigste Einnahmequelle nicht kampflos aufgeben. Venezuela werde seinen Anspruch auf die PDVSA-Tochter Citgo vor Gerichten in den Vereinigten Staaten verteidigen, kündigte Maduro am Montag an. Die USA wollten Citgo von den Venezolanern „rauben“, sagte er. „Das ist ein illegaler Weg.“

Hauptquartier des Ölkonzerns PDVSA
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Das Hauptquartier des staatlichen Ölkonzerns PDVSA

Der Ölsektor ist das Rückgrat der Volkswirtschaft in Venezuela. In dem Land lagern die größten Ölreserven der Welt. Die Volkswirtschaft hängt zu rund 90 Prozent von den Einnahmen aus dem Öl ab, wobei die USA der größte Abnehmer sind. Mehr als 40 Prozent des Rohöls aus Venezuela werden in die USA exportiert.

Allerdings sei die staatliche Ölgesellschaft PDVSA seit Langem ein Vehikel für Korruption, sagte Mnuchin. Die USA, selbst einer der größten Ölproduzenten der Welt, haben damit nach dem Iran das zweite große Ölland mit Sanktionen belegt. Einen Rohstoffengpass befürchtete Mnuchin nicht. „Wir sind sehr zuversichtlich, dass es genug Ausstoß gibt, sodass wir kurzfristig keine großen Auswirkungen spüren werden.“

35 Tote binnen einer Woche

Nach einem gescheiterten Aufstand von Nationalgardisten und Protesten der Opposition hatte sich Guaido am Mittwoch zum Interimspräsidenten erklärt. Seither wurden nach Angaben von Aktivisten 35 Menschen getötet. Es liege eine Liste über alle Opfer vor, „mit Vornamen, Nachnamen, Ort und mutmaßlichen Tätern“, sagte der Leiter der Menschenrechtsorganisation Provea, Rafael Uzcategui, am Montag in Caracas.

Nach Informationen des UNO-Menschenrechtsbüros kamen bei den jüngsten Unruhen innerhalb von drei Tagen mindestens 26 Menschen ums Leben. Die Regierungsgegner seien nach glaubwürdigen Berichten zwischen 22. und 25. Jänner von Angehörigen der Streitkräfte oder bewaffneten Regierungsanhängern erschossen worden, berichtete ein Sprecher der UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte am Dienstag in Genf. Nach Informationen des UNO-Büros wurden weitere fünf Menschen bei illegalen Razzien der Streitkräfte in ärmeren Stadtteilen getötet. Ein Mitglied der Nationalgarde sei Berichten zufolge von einem Bewaffneten getötet worden.

Nicolas Maduro
APA/AFP/Marcelo Garcia
Maduro will Präsident Venezuelas bleiben, den Rückhalt des Militärs hat er

Nach Angaben des UNO-Menschenrechtsbüros wurden zwischen 21. und 26. Jänner zudem mindestens 850 Menschen in Gewahrsam genommen, darunter 77 Minderjährige. Am Mittwoch seien innerhalb eines Tages 696 Menschen festgenommen worden, so viele wie seit 1999 nicht mehr an einem einzigen Tag.

Paralleles Wechselkurssystem

Inmitten der politischen Krise ließ die Zentralbank unterdessen ein paralleles Wechselkurssystem zu. Seit Montag darf das private Geldhaus Interbanex Devisengeschäfte in dem sozialistischen Land abwickeln. Am ersten Handelstag legte die Bank den Wechselkurs auf 3.200 Bolivar pro Dollar fest. Das bedeutete eine Abwertung von knapp 35 Prozent gegenüber dem offiziellen Wechselkurs der Zentralbank von 2.084 Bolivar pro Dollar.

Der Interbanex-Kurs entspricht in etwa dem Schwarzmarktpreis. Der Wechselkurs werde künftig von Angebot und Nachfrage bestimmt, teilte das Unternehmen mit. Venezuela steckt in einer tiefen Wirtschaftskrise. Für das laufende Jahr rechnet der Internationale Währungsfonds (IWF) mit einer Inflationsrate von 1,37 Millionen Prozent, das Bruttosozialprodukt dürfte laut der Prognose um weitere 18 Prozent einbrechen.

Kurz fordert Neuwahlen

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) forderte „freie und faire Neuwahlen“. Sollte „Maduro auf diese Forderung nicht eingehen, werden wir Guaido, so wie es die venezolanische Verfassung auch vorsieht, als rechtmäßigen Übergangspräsidenten Venezuelas anerkennen“, sagte Kurz in der deutschen „Bild“-Zeitung (Dienstag-Ausgabe). Laut Kurz sollte in dem Fall auch „eine Ausweitung der gezielten EU-Sanktionen gegen weitere Mitglieder des Maduro-Regimes“ angedacht werden, „um den Druck zu erhöhen“.

Die Lage sei „dramatisch“, so der Kanzler. Mit „freien und fairen Neuwahlen“ könnte eine weitere Eskalation oder gar Blutvergießen auf den Straßen verhindert werden. Auf die Frage, ob er mit einer US-Intervention rechne, antwortete Kurz: „Wir müssen mit unseren Partnern dringend eine politische Lösung für diese verfahrene Krise finden.“

EU-Außenminister beraten am Donnerstag

Die EU-Außenminister – darunter FPÖ-Ministerin Karin Kneissl – wollen am Donnerstag über die Venezuela-Krise beraten, wie eine Kommissionssprecherin in Brüssel sagte. Mehrere EU-Staaten (Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Spanien) hatten Maduro eine Frist von acht Tagen gesetzt, um Neuwahlen auszurufen. Andernfalls wollen auch sie Parlamentspräsident Guaido als Interimspräsidenten anerkennen. Die Frist läuft am Sonntag aus. Maduro hatte die Frist aber zurückgewiesen: „Niemand kann uns ein Ultimatum stellen.“